Kein Chaos mehr, aber auch weiter kein Vertrauen in die Apotheken

Die Warnungen der ABDA vor einem drohenden Versorgungschaos durch neue Austauschregeln wurden offenbar gehört. Doch der gestern bekannt gewordene Gesetzentwurf für das Lieferengpassgesetz berücksichtigt die Vorschläge der Apotheker nur teilweise. DAZ-Redakteur Thomas Müller-Bohn erläutert in einem Kommentar, wo der neue Entwurf zwischen dem ursprünglichen Plan des Ministeriums und der Apothekerposition einzuordnen ist.

Ja, das Bundesgesundheitsministerium hat offenbar zugehört. Im jetzt vorliegenden Gesetzentwurf für das ALBVVG werden die Hürden für den Arzneimittelaustausch aus dem Referentenentwurf wesentlich verringert. Und zugleich Nein, der neue Entwurf ist weiterhin kein Ausdruck des Vertrauens in die Arbeit der Apotheken, sondern er gibt den Krankenkassen wieder ähnliche Retaxmöglichkeiten wie vor der Pandemie.

Ministerium liefert Kompromiss

Die ABDA hatte vor einem Versorgungschaos durch die ursprünglich geplanten Regeln gewarnt und dies gut begründet. Ideal wäre die Verstetigung der geltenden Corona-Ausnahmen. Grundlage für den Austausch sind dabei die Arzneimittel, die in der jeweiligen Apotheke vorrätig sind. Gemäß dem Referentenentwurf sollte künftig aber nur ausgetauscht werden dürfen, wenn das Arzneimittel auf einer rein bürokratisch ohne Bezug zur jeweils aktuellen Versorgungslage ermittelten Liste steht. Offenbar haben die Warnungen der ABDA vor dieser weltfremden Liste und ihren Folgen gewirkt. 

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Doch das Ministerium hat mit einem Kompromiss geantwortet. Ein Austausch soll demnach künftig möglich sein, wenn das Arzneimittel bei zwei Großhändlern nicht lieferbar ist. Die Formulierung entspricht der Definition für Nicht-Verfügbarkeit im Arzneiliefervertrag. Dabei wird übersehen, dass für die Nicht-Verfügbarkeit von Rabattarzneimitteln in der jüngsten Vertragsfassung eine einzige Abfrage ausreicht. Die Bedingung im neuen Entwurf ist damit strenger als im Vertrag. Der dann vorgesehene Austauschspielraum ist hingegen weiter und entspricht im Prinzip der Übergangsregel, die ab Ostern gilt. Insbesondere soll der Austausch dann ohne ärztliche Rücksprache möglich sein. Die Möglichkeit zum Aut-simile-Austausch nach ärztlicher Rücksprache soll allerdings entfallen.

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Mit der lebensfremden Liste und den unzähligen überflüssigen Arztkontakten wären die schlimmsten Belastungen beseitigt – und zugegeben, es geht jetzt nicht mehr darum, Kontakte zu vermeiden und unbedingt mit dem auszukommen, was in der Apotheke vorhanden ist. Doch auch diese weitere Erleichterung hilft derzeit die Lieferengpässe zu bewältigen. Außerdem haben die Apotheken drei Jahre lang bewiesen, dass diese Vorgehensweise für die Krankenkassen wirtschaftlich gut funktioniert. Das hat die Abgeordneten des Bundestages bei der Übergangsregel offenbar überzeugt, aber in den Regierungsentwurf hat es dieser Punkt nicht geschafft. Außerdem enthält der neue Entwurf keinen Ausschluss mehr für Beanstandungen der Krankenkassen beim Arzneimittelaustausch. Damit wird erneut die Tür für die Suche nach formalen Fallstricken bei der Rezeptbelieferung weit geöffnet. Die vielen Lieferengpässe versprechen den Kassen reichlich Möglichkeiten, dass sich die Apotheken irgendwo im Regelungsdickicht verfangen.

Wo bleibt das Vertrauen in die Apotheken?

Wenn das alles so kommt, wäre zwar das ganz große Chaos abgewendet, aber neues Vertrauen in die Apotheken nach den Erfahrungen mit der Pandemie zeigt sich hier nicht. Die Krankenkassen könnten wieder kontrollieren, was sich vom Schreibtisch aus gar nicht erkennen lässt. Für die Apotheken wird der Schutz vor Retaxationen dann wichtiger denn je. Diese müssen endlich neu geregelt und Null-Retaxationen komplett verboten werden. Das parlamentarische Beratungsverfahren für dieses neue Gesetz wäre eine gute Gelegenheit dafür.

Droht neues Abrechnungs-Chaos durch Großhandelsgebühr?

Als weiteren apothekenrelevanten Punkt enthält der neue Gesetzentwurf weiterhin die viel diskutierte 50-Cent-Gebühr für solche Lieferengpässe, die mit einem Austausch zu beheben sind. Für die übrigen, viel aufwendigeren Lieferengpässe ist hingegen immer noch kein Zusatzentgelt vorgesehen. Zusätzlich soll nun aber der Großhandel 20 Cent für jedes Arzneimittel erhalten, das in der Apotheke ausgetauscht wird. Es scheint, als wolle das Ministerium als Ausgleich für das verhinderte Austausch-Chaos ein neues Abrechnungs-Chaos auslösen. Beabsichtigt ist möglicherweise eine Entschädigung für die Mühe des Großhandels bei einer Nicht-Verfügbarkeitsabfrage. Da der Austausch dann aber auch mit einem Arzneimittel aus dem Warenbestand der Apotheke erfolgen kann, müsste dessen Rechnung nachträglich korrigiert werden. Dies zu organisieren, würde wahrscheinlich weit mehr als 20 Cent pro Packung kosten. Dieser Ansatz ist bestenfalls mit viel Freiraum für eine pauschale Abrechnung zu retten. Auch an dem nun vorliegenden Entwurf bleibt also noch viel zu tun.


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