Kampf um die Nährwert-Ampel



Seit vielen Jahren kämpfen Verbraucherschützer für ein Gesetz zur farblichen Kennzeichnung von Lebensmitteln. Doch Lobbyisten und Politiker widersetzen sich

Hilfe im Supermarkt: Eine Nährwert-Ampel könnte die Auswahl gesunder Lebensmittel erleichtern

Ginge es nach Sarah Häuser, würde Einkaufen so aussehen: Beim Gang durch den Supermarkt wäre es nicht mehr nötig, Produkte aus den Regalen zu nehmen, um im Kleingedruckten etwas über den Zucker-, Fett- oder Salzgehalt zu erfahren. Stattdessen würden dem Konsumenten auf der Vorderseite der Verpackungen farbige Punkte ins Auge springen.

Grün für Lebensmittel mit wenig Zucker, Salz und gesättigten Fettsäuren. Gelb für moderate Mengen dieser ungesunden Inhaltsstoffe. Und Rot, wenn sehr viel davon im Produkt steckt. Nie wieder müsste jemand die Rückseite von Müslipackungen studieren, um den Zuckergehalt zu prüfen. Oder zu Hause feststellen, dass die Fertigpizza ein salziger Fehlgriff war. "Ich könnte auf einem Blick erkennen, wie gesund der Inhalt meines Einkaufswagens ist", sagt die Sprecherin des Vereins Foodwatch, der sich für die Rechte von Verbrauchern einsetzt.

Viele wünschen sich mehr Orientierung

Mit diesem Wunsch ist Sarah Häuser nicht alleine. Eine repräsentative Umfrage des Verbraucherzentrale Bundesverbandes zeigt: 78 Prozent der Deutschen würden eine solche Kennzeichnung begrüßen. Trotzdem ist eine Nährwert-Ampel für Lebensmittel, wie es sie aktuell zum Beispiel in Groß­­britannien, Frankreich und Chile gibt, derzeit für Deutschland nicht in Sicht.

Obwohl Verbraucherschützer schon seit Jahren für eine transparentere Kennzeichnung kämpfen, haben es nur vage Formu­lierungen dazu in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung geschafft. Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und ­Landwirtschaft, stellte gleich zu Beginn ihrer Amtszeit klar: "Die ­Ampelkennzeichnung bringt nur ­Verwirrung." Damit vertritt sie die Linie der Union.

"Die Nährwert-Ampel würde den Verbraucherschutz verbessern"

"Die farbliche Nährwert-Kennzeichnung verarbeiteter und verpackter Lebensmittel wäre ein echter Fortschritt für den Verbraucherschutz", widerspricht Carolin Krieger, Referentin für Ernährungspolitik beim Verbraucherzentrale Bundesverband. In Studien habe sich das Ampel-Prinzip als besonders verständlich erwiesen.

Und die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass es funktioniert: Dort kaufen die Menschen weniger ungesunde Lebensmittel, während die Konzerne ihre Rezepturen gesünder gestalten, um weniger rote Punkte zu kassieren. "Vor dem Hintergrund, dass unsere Gesellschaft zunehmend mit Übergewicht und Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes oder Arteriosklerose kämpft, ist ein solcher Schritt auch bei uns überfällig. Wir brauchen mehr Transparenz und Orientierung für Verbraucher im Supermarkt."

Verwirrung durch die Farben befürchtet

Das sieht die Lebensmittelbranche anders. "Diese Transparenz gibt es bereits", sagt Manon Struck-Pacyna vom Spitzenverband der Lebensmittelwirtschaft (BLL). Schließlich sei innerhalb der EU seit Ende 2016 eine Nährwerttabelle auf der Rückseite von Verpackungen Pflicht. "Diese enthält Informationen zu Kohlenhydraten, Zucker, Gesamt-Fettgehalt, Fettsäuren, Eiweiß und Salz genauso wie den Kaloriengehalt. Objektiver und sachlicher geht es nicht", sagt die BLL-Sprecherin.

Sie empfindet die Diskussion über die Ampel als überzogen und fürchtet eine Verunsicherung der Verbraucher. "Die Farben liefern fragwürdige Bewertungen und können so zu fehlgeleiteten Kaufentscheidungen führen." Light-Getränke etwa würden nach dem Ampel-Prinzip "Grün" für den Zuckergehalt bekommen, Fisch-Fertiggerichte ein "Rot" in Sachen Fette. Ist das Modell also zu simpel für ein komplexes Thema wie Ernährung?

Viele Ärzte befürworten die Nährwert-Ampel

"Es geht uns nicht um Kaufempfehlungen, sondern um verständliche Informationen", betont Verbraucherschützerin Krieger. "Wir wollen die bisherigen Angaben in einen Bezug setzen, denn viele Verbraucher haben keine Vorstellung davon, welche Mengen bestimmter Stoffe bedenklich sind."

Das sehen auch viele Ärzte so. Sie sorgen sich um die steigende Zahl von Patienten, die unter chronischen Erkrankungen leiden. "Bei der Entstehung von Diabetes, Adipositas und Herzkrankheiten spielt die Ernährung eine entscheidende Rolle, und Studien zeigen, dass viele Lebensmittel gesundheitlich problematisch sind", sagt etwa Professor Martin Wabitsch von der Universitätsklinik Ulm.

Zwar spielen auch Gene, Bewegungsmangel, Bildung und Lebensstil eine Rolle, doch der Zusammenhang zwischen Gesundheit und Ernährung lasse sich nicht von der Hand weisen. Das Thema macht ihn wütend: "Es ist unverantwortlich, wie offensiv die Industrie für ungesunde Lebensmittel wirbt und eine transparente Kennzeichnung verweigert."

Offener Brief an die Bundeskanzlerin

So sieht das auch ein Bündnis aus 15 Ärzteverbänden, Krankenkassen und Verbraucherschützern, das sich Anfang Mai in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel wandte. Das  Anliegen: der Kampf gegen ungesunde Ernährung. Die Forderungen: eine Ampelkennzeichnung und eine Zuckersteuer, die Beschränkung von Lebensmittelwerbung für Kinder und gesündere Standards für die Verpflegung in Schulen und Kitas.

"Ich glaube, es tut sich etwas", sagt  Krieger. Um ein einheitliches System zu schaffen, sei jedoch die Politik am Zug. Zwar haben Marktriesen wie Nestlé oder Unilever zwischenzeitlich eine eigene Ampel eingeführt. Doch das Pro­­blem dabei: "Die Konzerne beziehen ihre Angaben auf unrealistische Por­­tionsgrößen und rechnen sich ihre Produkte gesund – selbst bei Nutella, das zu fast 90 Prozent aus Zucker und Fett besteht, zeigt die Industrieampel nicht rot", sagt Sarah Häuser von Foodwatch.

Ampel nach französischem Vorbild

Besser machen will es in Zukunft Danone. Der Konzern kündigte kürzlich an, seine Produkte in Deutschland ab 2019 mit einer Ampel nach französischem Vorbild zu versehen und die Angaben einheitlich auf 100 Gramm zu beziehen. Ein Schritt in die richtige Richtung, findet Häuser. "Jetzt brauchen wir nur noch den gesetzlichen Rahmen, damit alle mitziehen."

Ob das passiert, wird sich im kommenden Jahr zeigen. Bis Sommer 2019 untersucht und bewertet die EU-Kommission alle bestehenden Kennzeichnungs-Systeme, dann soll das Thema neu diskutiert werden. Gut möglich, dass die Ampel dann auf Grün umspringt.

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