Quell des Lebens(stern+)

Der Blaue Planet wirkt aus der Entfernung noch schöner, noch schützenswerter, noch atemberaubender. Für jene knapp 600 Erdenbürger, die das Privileg hatten, aus dem All auf die Erde zu schauen, veränderte diese Perspektive ihr Leben. Wieder auf dem Boden, sprechen ausnahmslos alle von der Demut, die sie ergriff. Von der Farbe Blau und von dem Gefühl, sich daran nicht sattsehen zu können. Von dem Zauber, der sich einstellt und der bleibt als Mitbringsel aus dem Weltraum.

Der Deutsche Thomas Reiter verbrachte 350 Tage dort oben, erst Mitte der 90er Jahre an Bord der russischen Raumstation Mir, Jahre später dann noch einmal auf der ISS. Wie er an Bord über das grandiose Naturschauspiel 400 Kilometer tiefer immer und immer wieder aufs Neue staunte, 5525 Mal umrundete Reiter die Erde, "die Faszination hörte nie auf". Der Amazonas mit seinen Nebenflüssen in einem Ozean aus Wald. Aber eben auch Rhein, Main, Weser und Elbe als glänzende Bänder. Die klaren Bergseen im Himalaya und die rötlich schimmernden in den Anden. Aber eben auch das Zwischenahner Meer vor Reiters Haustür bei Oldenburg. Wasser in allen Farben und Schattierungen, endlos wirkend beim Überfliegen der Weltmeere, 1,4 Milliarden Kubikkilometer insgesamt da unten, davon 97,5 Prozent Salzwasser und 2,5 Prozent gefroren, scheinbarer Überfluss.

Und oben an Bord, welche Ironie, exakt das Gegenteil. "Wertvolles, knappes Gut", sagt Reiter. Gerade mal fünfeinhalb bis sechs Liter pro Kopf und Tag, gewonnen aus dem Kondensat der Atemluft, natürlich auch aus dem eigenen Urin. Kein Tropfen darf hier vergeudet werden. Ein ständiger Wasserkreislauf in diesem Mikrokosmos und per se dem auf der Erde nicht unähnlich, wo sich dieser Zyklus seit mehr als vier Milliarden Jahren wiederholt. Der Kreislauf des Wassers – verdunsten, niederregnen, zu Flüssen und Meeren wachsen und wieder verdunsten.

H2O steckt voller Geheimnisse

H2O lautet die chemische Bezeichnung für dieses Molekül, zwei Wasserstoffatome, eines aus Sauerstoff, fachsprachlich korrekte, aber eher ironische Bezeichnung Dihydrogenmonoxid. In Tat und Wahrheit aber die wunderlichste und großartigste Verbindung im Universum, die Formel des Lebens. Und zugleich eine physikalische Anomalie, weil: die einzige chemische Verbindung auf Erden, die in der Natur in sämtlichen Aggregatzuständen daherkommt, als Gas, Eis und flüssig.

H2O steckt voller Geheimnisse. Vormals heißes Wasser gefriert merkwürdigerweise schneller als zuvor kaltes, was ein tansanischer Schüler 1963 in einem Klassenexperiment wiederentdeckte. Dieses Paradoxon trägt seither seinen Namen: Mpemba-Effekt, den hier zu erklären vermutlich eine Physikstunde dauern würde.

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Der Wasserkiosk

Und wenn Wasser dann einmal gefroren ist, treibt es – noch so ein Spleen – auf seinen flüssigen Geschwistermolekülen, weil es beim Abkühlen nicht schrumpft, sondern sich ausdehnt. "Ein Festkörper sollte nicht auf seiner eigenen Flüssigkeit schwimmen – aber täte Wasser dies nicht, gäbe es kein Leben auf der Erde", schreibt in seinem Essay "Am Anfang war das Wasser" der Brite Alok Jha, Autor des Standardwerks "The Water Book". "Diese Eigenschaft war für fragile, ums Überleben kämpfende Organismen lebensnotwendig. Sie erlaubte es unseren frühen ‚Urahnen‘, sogar während der Eiszeiten auf dem Grund von Seen und Ozeanen am Leben zu bleiben." Aus dieser Ursuppe entwickelte sich der Mensch, der selbst zu 70 Prozent aus Wasser besteht, und er siedelte vorzugsweise am Wasser. Hochkulturen erblühten erst durch Wasser, die römischen Aquädukte, Thermen und Zisternen sind prächtige Zeugnisse dieser Zeit. Und Hochkulturen verblühten durch Wassernot wie die Maya, die eine anhaltende Dürreperiode nicht überstanden. Das Leben steht und fällt mit: H2O.

Wasser fällt in Massen. Oder Wasser fehlt in Massen. Und zusehends gerät das gesunde Maß aus dem Lot. Deutschland erlebte nach drei Dürrejahren in Folge die Katastrophenflut in diesem Sommer. Zwei Seiten derselben Medaille: Klimawandel. Während NRW und Rheinland-Pfalz versanken, litten simultan viele andere Regionen Deutschlands und auf der ganzen Welt unter Dürre und Trockenheit. Der Colorado River schwindet, er speist den Lake Mead, den gigantischen Stausee bei Las Vegas, Lebensader für mehr als 20 Millionen US-Bürger, dessen Level dem historischen Tiefststand entgegendümpelt. In Südamerika vertrocknet der Paraná-Fluss und lähmt Paraguay, Argentinien und Brasilien; in Europa brannten Griechenland und Italien. Auch das ein Zirkel der Extreme, an den wir uns gewöhnen müssen, solange die Temperaturen steigen und damit alte Gewissheiten wie die Polkappen schmelzen und die Meeresspiegel nach oben treiben und in einer menschgemachten Sintflut ganze Länder von der Landkarte zu verschwinden drohen. Oder zu verdorren.

Konflikte und Kooperation

Wir begeben uns zum Zwecke der Bestandsaufnahme auf eine Reise rund um den Blauen Planeten. Eine Reise rund um Wasser und Wassermangel, es geht um Konflikte und um Kooperation. Um Forschung und Hilfe zur Selbsthilfe. Sie führt uns in die Wüsten Zentralasiens, in die Grenzregion von Äthiopien und Sudan und zurück nach Deutschland, das Land der Talsperren. Und am Ende zu einem Fußballprofi, der die Wahrheit früher auf dem Platz suchte und sie in Schulen und Dörfern Afrikas fand.

Ökobilanz


Der Nachhaltigkeitscheck: Wasser aus dem Hahn oder aus der Flasche?

Die Exkursion beginnt in der kasachischen Steppe in der Region Mangistau, von der Fläche her etwa so groß wie Griechenland, die diesen Sommer von einer bis dato nie gekannten Trockenheit heimgesucht wurde. Karg ist dieses Land immer. Aber Schneeschmelze und Regen lassen im Frühjahr normalerweise Grasbüschel auf dem Boden wachsen. In diesem Jahr war nichts normal. In diesem Jahr blieb der Regen fast vollkommen aus: Statt der üblichen 50 bis 80 Millimeter Niederschlag fielen im Frühjahr gerade mal 0,6 Millimeter. Im Mai stieg die Temperatur auf 40 Grad, im Juni schlugen die Viehbauern Alarm. Einer von ihnen heißt Schanibek Koschyk und stammt aus dem Dorf Ondy. Er und seine Kollegen züchten hier vornehmlich Schafe, Kamele, Pferde und Rinder.

Der Bauer Koschyk berichtete dem kasachischen Radiosender Azzatyq, wie erst die Kamele keine Milch mehr gaben und Pferde ihre Fohlen nicht mehr nähren konnten. Sie starben als Erste. Im Juli verendeten Tausende Tiere. Fotos in den sozialen Netzwerken zeigen darbende Tiere, die wie Skelette aussehen, und Kadaver, die im Sand liegen. Wer es sich leisten konnte, brachte seine Herden in andere Regionen des Landes. Andere versuchten, das Vieh zu verkaufen, fanden aber keine Abnehmer. Die Futterpreise stiegen, und bereits im Juni begann Bauer Koschyk, Pappkartons in Wasser aufzulösen und den Brei an seine hungernden Tiere zu verfüttern. Dann wurde selbst die Pappe knapp.

Zentralasien ist weit entfernt von Mitteleuropa; Kasachstan, Tadschikistan oder Usbekistan schaffen es selten in den Nachrichtenfluss des Westens. Das gilt auch für das Leid von Mensch und Tier durch Regenmangel. Und das gilt selbst dann, wenn – wie im April – der Kampf ums Wasser eskaliert. Eine Wasserverteilerstation im Grenzgebiet zwischen Tadschikistan und Kirgisistan löste einen bewaffneten Konflikt aus. Mehr als 40 Menschen starben, etwa 200 wurden verletzt, Tausende mussten evakuiert werden, Wohnhäuser wurden zerstört, weil Bewohner beider Staaten ans Wasser wollten, um ihre Felder zu bewässern. Erst bewarfen sie sich mit Steinen. Später beschossen sie sich mit Gewehren. Schließlich rückten die Streitkräfte beider Länder aus und feuerten aus Mörsern, mit Raketenwerfern und aus Kampfhubschraubern.

Alles andere als nachhaltig

Man muss wissen: Die Erde ist zwar zu mehr als zwei Dritteln von Wasser bedeckt, aber nicht mal ein Prozent ist als Süßwasser für uns nutzbar. Von diesem einen Prozent verbraucht der Mensch sieben Prozent, 23 Prozent fließen in die industrielle Nutzung, der überwältigende Teil von 70 Prozent versickert in der Landwirtschaft. Das ist alles andere als nachhaltig. Im Exzess und exemplarisch für viele Regionen der Welt, wir bleiben deshalb in Zentralasien, zu besichtigen in Usbekistan.

Stalin verwandelte die damalige Sowjetrepublik in eine gigantische Baumwollplantage, und das ist sie bis heute. Der Rohstoff wurde seinerzeit auch als Basis für Sprengstoff genutzt. Tausende Kilometer Bewässerungskanäle leiteten das Wasser aus den Flüssen Syr-Darja und Amu-Darja auf die staubigen Felder um. Den Aralsee, den sie einst füllten, erreichen sie nur noch als Rinnsale. Baumwollanbau in wasserarmen Regionen ist gleich doppelter Irrsinn – ökonomisch und ökologisch. Die Produktion eines T-Shirts aus Baumwolle verschlingt 4100 Liter Wasser, die einer Jeans mehr als 10.000 Liter. Der Rest ist ein Rechenexempel. Die Folgen solchen Raubbaus sind am Aralsee zu beobachten. Oder präziser: an dem, was von ihm noch übrig ist.

Auf Russisch ist der Aralsee übrigens kein See. Sondern ein Meer, er kam den Menschen früher offenbar so groß vor wie ein Ozean. Er war der viertgrößte See der Erde, gefüllt mit Salzwasser, auf einer Fläche anderthalbmal so groß wie die Schweiz. Die Anwohner der Dörfer und Städte lebten vom Fischfang. Gegenwärtig sind vom Aralsee noch zwei kleine Teile übrig – zwölf Prozent der einstigen Fläche. Zwei Pfützen vergleichsweise. Einige der Fischerdörfer liegen mittlerweile mehr als 100 Kilometer vom Wasser entfernt. Die Bilder von Kähnen, die in der Steppe verrosten, illustrieren eine der größten Umweltkatastrophen der vergangenen 100 Jahre. 40 000 Menschen verloren ihre Jobs, die Dörfer und Städte verödeten.

Die Wüste lebt und bebt nur noch einmal im Jahr. Auf dem alten Schiffsfriedhof in Mujnak, 150 Kilometer vom Ufer, organisieren junge Usbeken in jedem Mai ein Techno-Festival. Künstler, Unternehmer, Musiker reisen in den Wüstenort und wollen an den See erinnern. An das Meer. An das, was einmal war. "Stichija" heißt das Festival. Das ist russisch für Naturgewalt.

900 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser

Keine Ressource ist so ungleich verteilt wie Wasser. Kanada hat 10.000-mal mehr Wasser zur Verfügung als Kuwait; knapp 900 Millionen Menschen haben keinen oder nur unzureichenden Zugang zu sauberem Wasser, mehr als zwei Milliarden leben in Staaten mit Wasserstress. Das birgt Konfliktpotenzial, natürlich. Der erste überlieferte Zoff ums Wasser reicht zurück ins Jahr 2500 vor Christus. Eanatum, der König von Lagasch, ließ dem Nachbarstaat Umma das Wasser von Euphrat und Tigris abgraben.

Fotografie


In der Karibik tummeln sich riesige Makrelenschwärme – ein wunderschönes Naturschauspiel

Der mutmaßlich bekannteste Konflikt der Gegenwart trägt den Namen GERD und liegt im Westen Äthiopiens an der Grenze zum Sudan – der Grand Ethiopian Renaissance Dam. GERD ist ein Koloss, ein Megabau. Mit einem Speicherraum für 74 Milliarden Kubikmeter Wasser zählt der Staudamm zu den größten des Kontinents, befüllt vom Blauen Nil, der im äthiopischen Tanasee entspringt und bei Khartum in den Hauptfluss mündet. Seit Baubeginn des Damms 2011 streiten Äthiopien und Ägypten über das Projekt. Die Äthiopier wollen mit GERD Strom erzeugen, den das Land dringend braucht. Die Anrainerstaaten, allen voran Ägypten eben, sorgen sich um ihre Wasserversorgung und drohen unterschwellig sogar mit Krieg.

Man fragt daher nach bei einem Experten, der sich a) in der Region gut auskennt und b) darüber an der American University in Beirut auch lehrt. Er heißt Martin Keulertz und ist Dozent für Wassermanagement, Landwirtschaft und Ernährungssicherheit. Keulertz relativiert zunächst einmal das Verdikt von Boutros-Ghali. "Aus wissenschaftlicher Perspektive ist die Wasserkriegs-Theorie nicht haltbar. Sie hat sich in der Realität bislang weltweit nicht bewahrheitet."

Wasser, spricht der Forscher, sei nämlich eine Ressource, über die Staaten gut miteinander verhandeln können. Und zur historischen Einordnung des Ganzen: "Die Kriegsrhetorik hat in Ägypten bereits Ende der 70er Jahre begonnen und wurde dann vielfach aufgegriffen. Der äthiopische Damm findet jetzt viel Beachtung, aber er ist schon seit den 80er Jahren geplant. Es wird circa noch fünf bis sieben Jahre dauern, bis er befüllt ist. In der Zwischenzeit bekommt Ägypten möglicherweise weniger Wasser. Allerdings übernutzen die Ägypter ihren Anteil am Nil, der ihnen über die Kolonialverträge zugeschrieben wurde, seit Jahrzehnten."

Keulertz will damit das Thema Zwist nicht kleinreden. Es ist aber so, dass inzwischen die meisten Fachleute eher auf die verbindende Kraft des Wassers verweisen. Christiane Fröhlich forscht am Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien und arbeitet gerade daran mit, im jordanischen Amman ein Zentrum für Klimawandel aufzubauen. Sie hat Bücher über Wasser und Konflikte geschrieben, entlangerzählt an Nil, Euphrat und Tigris, Indus und Jordan. Die Nahostexpertin berichtet von Beispielen des sogenannten Environmental Peace Building, also friedensstiftender Umweltpolitik.

Die vereinende Kraft von Wasser

Ein Leuchtturmprojekt insbesondere das der "Good Water Neighbours" im Jordanbecken. "Da wurden elf palästinensische, neun israelische und acht jordanische Gemeinden jeweils mit einer benachbarten Gemeinde aus einem anderen politischen Lager verpartnert." Es saßen plötzlich Erzfeinde an einem Tisch, alle von identischen Zwängen und Nöten getrieben, und nutzten gewissermaßen den Wasserweg für Dialog und Kooperation über nationale, politische und ideologische Grenzen hinweg. Am Ende gaben 78 Prozent der Befragten aus den 28 beteiligten Dörfern und Gemeinden an, nunmehr eine positivere Sicht auf den Nachbarn zu haben. "Jordanien als eines der wasserärmsten Länder der Welt und Israel lieben sich jetzt nicht gleich innig", sagt Fröhlich. Aber beim Wasser funktioniere die Zusammenarbeit verhältnismäßig gut. Ähnlich im Übrigen wie im Fall der alten Rivalen Indien und Pakistan beim Lebensspender Indus, "ich bin erstaunt, wie tragfähig das ist". Das widerlegt nun nicht zwangsläufig die damalige Prognose Boutros-Ghalis, sehr wohl aber deren Unausweichlichkeit.

Die vereinende Kraft von Wasser hat sich auch im Zentrum Europas als Win-win-Geschichte erwiesen. Und zwar beim deutschesten aller Flüsse: dem Rhein. Dietrich Borchardt, einer der profiliertesten Hydrologen hierzulande, gerät ins Schwärmen, wenn er darüber referiert, wie die beiden Erzfeinde Deutschland und Frankreich über den Fluss zueinanderfanden. "Der Rhein war nach dem Krieg und Wirtschaftswunder der dreckigste Fluss der Welt und zugleich Grenze zwischen zwei Nationen, die sich über Jahrhunderte die Köpfe eingeschlagen hatten. Aber dann war es möglich, mit grenzübergreifender Anstrengung den Rhein rein zu bekommen." Das Projekt eine Art Vorläufer der europäischen Einigung. Man nannte es auch blaues Wunder. "Ja", sagt Borchardt, "es gibt selbstverständlich Verteilungskämpfe und Konflikte um Wasser." Kurze Pause. "Aber das Potenzial der Kooperation übertrifft die Konflikte um ein Vielfaches."

Das Wort Wasser stammt vom althochdeutschen "Wazzar" ab, was so viel wie alles "Fließende" und "Feuchte" bedeutet. Und man kann sagen, dass dieser Dietrich Borchardt ganz in seinem Element ist, wenn er über alles Fließende und Feuchte spricht. Wann immer es in Deutschland zu trocken oder zu feucht ist, wird Borchardt als Wassermann im Fernsehen befragt. Er leitet am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Magdeburg den Bereich Wasserressourcen und Umwelt. Sein Institut hat einen Dürremonitor ins Netz gestellt, der – täglich aktualisiert – über den Feuchtigkeitsgrad deutscher Böden informiert. Zuweilen klingt der Professor wie ein Banker, weil er gern von Saldo und Wasserguthaben und Wasserbilanzen spricht. Aber er verfällt dabei nicht in Alarmismus. Es sei wie so vieles im Leben vor allem eine Frage des richtigen Managements. Grundsätzlich stehe der Menschheit genügend Wasser zur Verfügung, "wir gehen nur nicht vernünftig und nachhaltig genug damit um". Das gelte für "Failed States" mit korrupten Regierungen ebenso wie hierzulande.

Trockenheit in Deutschland


Der Vogelsberg braucht sein Wasser. Trotzdem wird es nach Frankfurt gepumpt. Warum?

Borchardt kann sich wunderbar in Rage und dann wie ein Wasserfall reden. "Deutschland ist eines der wenigen Länder weltweit, in denen man 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche den Wasserhahn aufdrehen kann und Wasser bester Qualität bekommt. Dadurch wird es gefühlt zur Selbstverständlichkeit." Die es aber selbstverständlich nicht sei. Die Hitzesommer der vergangenen Jahre hätten gezeigt, "dass Wasser auch hier ein rares Gut werden kann". Der Nordosten ist besonders betroffen, aber auch die Mainachse zwischen Frankfurt und Würzburg. Atomkraftwerke mussten heruntergefahren werden, weil das Kühlwasser knapp wurde, die Rheinschifffahrt geriet ins Stocken.

Er fordert deshalb "Stresstests, Stresstests, Stresstests", um besser gewappnet zu sein für künftige Krisen, die so sicher kommen wie Ebbe und Flut. Und vor allem: "Mehr Bewusstsein." Von der Landwirtschaft, der Politik und den Verbrauchern. Wasser ist kostbar und billig zugleich. Manchmal fragt der Professor seine Studenten, ob sie eigentlich wüssten, was sie für Wasser bezahlen, "in der Annahme, dass die doch auf jeden Cent achten müssen". Er schaut regelmäßig in verdutzte Gesichter. Und rechnet vor. "Wir zahlen als Verbraucher im Schnitt 0,2 Cent pro Liter für Wasser von allerbester Qualität. Niemand muss also in den Supermarkt rennen und für das Zigfache Plastikwasser kaufen." Nachhaltigkeit fängt genau dort an.

“Das, was wir nach der Luft brauchen, ist Wasser.”

Die Reise führt weiter in den Westen der Republik. Deutschland ist das Land der Talsperren, und Nordrhein-Westfalen ist die Region mit der höchsten Talsperren-Dichte in Europa. Umstanden von Wäldern, die die Folgen der Wetterextreme abbilden. Ganze Mittelgebirgskuppen braun und krank, kahl gefressen vom Borkenkäfer, der es heiß und trocken mag. Die toten Bäume spiegeln sich in den malerischen Wasserspeichern, den Talsperren. Auch in einer der größten des Landes, der Großen Dhünn-Talsperre, 81 Millionen Kubikmeter Trinkwasser Inhalt für rund eine Million Menschen im Bergischen Land. Es ist ein warmer Tag Ende Juni, exakt zwei Wochen später kommt die Flut.

An diesem sonnigen Tag lernt man, dass Talsperren längst mehr sind als lediglich Gefäße für Rohwasser, sondern vor allem Hightech-Bauten mit gigantischen Pumpen und flach abfallenden Gängen unter dem Stausee zur Qualitätskontrolle. Es führt und erklärt Georg Wulf, der Chef des Wupperverbandes. Man schaut zunächst aus dem sogenannten Entnahmeturm senkrecht an blauen und grünen Rohren entlang 62 Meter in die Tiefe. Kurz darauf steht man draußen an der Reling vor einem eher unscheinbaren Rohr, das, wie man dann erfährt, kein schnödes Rohr ist, sondern einzigartig auf der Welt und auch einen einzigartigen Namen trägt: Thermorüssel. Dieser neun Meter lange Schnorchel ist mit einigem Grund der Stolz des Wupperverbandes. Er sorgt dafür, dass sich wieder Lachse ansiedeln im Fluss Dhünn, dem der Stausee seinen Namen verdankt. "Der Lachs", spricht Wulf, "war einst heimisch hier und vor allem in der Wupper." Aber dann verschwand er aus den bergischen Gewässern, auch weil der Rhein verschmutzte. Nun kommt der Edelfisch also wieder, und das hat, Wunder der Technik, mit ebenjenem Rüssel zu tun. Der ist dreh- und absenkbar und kann in der Sperre zielgenau jenes Wasser absaugen, das exakt der Temperatur der Dhünn entspricht, und es dahinein leiten. Weshalb dort Lachse laichen und andere Wanderfische und sich die Artenvielfalt verdreifachte, wie Wulf verzückt erklärt, "eine Renaissance". Als Pilotprojekt geplant und subventioniert von der EU, nunmehr ein Erfolgsprojekt.

Es zeigt, dass wir auch anders können, nämlich tatsächlich nachhaltig und rücksichtsvoll mit jenem Element umgehen, ohne das wir keine Woche überleben könnten. Wir treffen nun am Ende dieser Reise um den Blauen Planeten noch einen Mann, dessen Projekte exakt dafür stehen. 70 Kilometer von Dhünn-Talsperre und Thermorüssel entfernt lebt der Fußballprofi Neven Subotic. Er war zweimal deutscher Meister mit Borussia Dortmund und stand mit dem BVB im Champions-League-Finale. Er hat aber auch jenseits seiner stattlichen sportlichen eine außerordentliche Vita. Seine Eltern flohen in den 90er Jahren vor dem Bürgerkrieg aus Bosnien nach Deutschland. Als sie abgeschoben werden sollten, siedelten sie in die Vereinigten Staaten um. Subotic weiß aus eigenem Erleben viel über menschliche und ökonomische Härten. Er vergaß nie, wie seine Eltern schuften mussten, der Vater auf dem Bau, die Mutter als Putzfrau. Vor neun Jahren gründete er eine Stiftung. Er sagte sich seinerzeit: "Wenn ich etwas bewegen will in meinem Leben, muss ich das neu analysieren." Und diese Selbstanalyse in einem der reichsten Länder der Welt mündete in seinem Einsatz für globale Gerechtigkeit. "Sehr unromantisch, eher ein logischer Ansatz", sagt er. "Das, was wir nach der Luft brauchen, ist Wasser." So ging das los.

Die "Neven Subotic Stiftung" hat inzwischen Hunderte Brunnen für Schulen, Dörfer, Gemeinden gebaut in Äthiopien und neuerdings in Kenia und Tansania. Zweimal im Jahr bereist er die Region. Er lebt die Stiftung, denn eines hat er aus dem Fußball mitgenommen, "immer 100 Prozent". Er meint damit nicht jene 100 Prozent der Verwaltungskosten, die er aus eigener Kasse trägt, mehrere Hunderttausend Euro pro Jahr. Sondern auch, "dass wir uns zu 100 Prozent immer selbstkritisch hinterfragen, was wir tun und wie wir es tun". Subotic erzählt mit ruhiger Stimme, dass die Stiftung vor Ort mit lokalen Hilfskräften zusammenarbeitet. Und er erzählt mit bedrückter Stimme, dass zwölf Mitarbeiter einer Partnerorganisation im Bürgerkriegsgebiet von Tigray bei der Verteilung von Hilfsgütern ermordet wurden. Er führt Interviews mit Experten und Politikern, er produziert Videos. Die Stiftung hat mit ihren Brunnen bislang rund 130.000 Menschen Wasser gebracht und damit auch gewährleistet, dass Kinder die Schule besuchen konnten und eben nicht mehr stundenlang für den täglichen Bedarf zu Wasser-löchern laufen mussten.

Zurzeit ist dieser Neven Subotic vertraglos, er weiß nicht, ob es noch weitergeht mit der Fußballkarriere. "Aber ich weiß, dass es mit der Stiftung auf jeden Fall weitergeht." Er hat schließlich seine Berufung gefunden: Wasser. H2O. Zwei Wasserstoffatome, ein Sauerstoffatom. So simpel. So komplex. Und definitiv einzigartig.

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