Lieferengpässe – was die Pharmaindustrie laut EMA dagegen tun kann

In der Öffentlichkeit wird rege über Lieferengpässe diskutiert. Dabei wird deutlich, dass Arzneimittel-Engpässe ein globales Problem sind, das sich nicht allein auf nationaler Ebene bekämpfen lässt. Außerdem wird immer wieder betont, dass alle Akteure innerhalb der Lieferkette auf die Informationen der Pharmaindustrie angewiesen sind. Da erscheint es nur konsequent, dass die europäische Arzneimittelbehörde EMA jetzt Empfehlungen veröffentlicht hat, wie die Pharmaindustrie künftig gegen Engpässe (präventiv) vorgehen sollte.

Im Juli vergangenen Jahres veröffentlichte die europäische Arzneimittelbehörde EMA einen Leitfaden zur Verhinderung und Bewältigung von Engpässen bei Humanarzneimitteln. Er richtet sich nicht – wie man vielleicht erwartet hätte – an die Industrie und Behörden, sondern an Patientenorganisationen und Organisationen der Gesundheitsberufe. Weil diese aber bekanntlich am Ende der Arzneimittellieferkette stehen, ist es nur sinnvoll, dass die EMA Mitte Mai nun eine ähnliche Leitlinie auch für die Pharmaindustrie veröffentlicht hat. Diese enthält zehn Empfehlungen, die sich nicht nur an die Zulassungsinhaber, sondern auch an die Großhändler und Arzneimittel-Hersteller richten. 

Fünf der Empfehlungen hebt die EMA in einer Pressemitteilung besonders hervor:

1. Für mehr Transparenz sorgen

Die EMA fordert von der Pharmaindustrie eine möglichst frühzeitige Unterrichtung der zuständigen nationalen Behörden über potenzielle oder tatsächliche Engpässe – und eine Bereitstellung detaillierter Informationen, um die möglichen Auswirkungen besser vorhersagen und Präventivmaßnahmen ergreifen zu können.

2. Risiko-Strategien entwickeln

Die EMA empfiehlt Engpass-Management- und Engpass-Präventions-Pläne zu erstellen. Dazu heißt es in dem ausführlichen Dokument, dass Produktionsprobleme die häufigste Ursache für Engpässe darstellen. Ein Präventionsplan wäre also nicht nur für den Zulassungsinhaber, sondern auch auf Hersteller-Ebene (auch Lohnherstellung) wichtig und sollte produktspezifische Parameter berücksichtigen. Wiederum nicht zu berücksichtigen sei in einem solchen Plan aber, ob ein Engpass durch andere Anbieter aufgefangen werden könnte.

3. Lieferketten hinterfragen

Optimierungspotenzial sieht die EMA außerdem bei den pharmazeutischen Qualitätssystemen und empfiehlt eine Erhöhung der Widerstandsfähigkeit komplexer, multinationaler Lieferketten. Beispielsweise ist laut dem EMA-Dokument das „Just-in-time“- Versorgungsmodell infrage zu stellen oder zumindest mit einer guten Lagerhaltung zu unterstützen. Außerdem heißt es wörtlich: „Die Zulassungsinhaber und Hersteller sollten einen ausreichenden Notvorrat anlegen, um unerwartete Verzögerungen auszugleichen bei einem Wechsel des Herstellungsstandorts oder einer Eigentumsübertragung durch ihr Änderungsmanagement, insbesondere bei klinisch wichtigen Arzneimitteln.“

4. Kommunikation verbessern

Die rechtzeitige und akkurate Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren in der Arzneimittelversorgungskette wird in der EMA-Empfehlung in der Vermeidung von Engpässen als besonders wichtig hervorgehoben. Damit ist nicht etwa nur die Kommunikation zwischen Pharmaindustrie und Arzneimittelbehörden gemeint, sondern auch die interne Kommunikation zwischen verschiedenen Abteilungen einer Pharmafirma. Zudem wird darauf hingewiesen, dass Fehlinformationen zu zusätzlichen Problemen führen und Engpässe unnötig forcieren können. 

5. Auch die Fairness im Blick behalten

Es sollte laut EMA allgemeine Grundsätze zur Förderung einer fairen und gerechten Verteilung von Arzneimitteln geben, um den Bedürfnissen der Patienten gerecht zu werden. So könne eine nicht gleichmäßige Lagerhaltung Engpässe noch verschlimmern oder verlängern: „In einem beobachteten Fall wurde der Vorrat eines klinisch wichtigen Arzneimittels für fünf Monate in einem Monat von den Großhändlern aufgebraucht, was zu einem Engpass führte. Dies geschah, obwohl das Unternehmen als Reaktion auf die gestiegene Nachfrage zusätzliche Bestände zur Verfügung gestellt hatte. Dies bedeutete, dass das verfügbare Angebot nicht gerecht auf alle Apotheken und damit auf die Patienten verteilt wurde, die es benötigten“, wird in dem EMA-Dokument ein Beispiel ausgeführt. 

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Fair bedeutet laut der Leitlinie zudem auch, dass Zulassungsinhaber bei der Verteilung von Arzneimitteln zwischen verschiedenen Ländern nicht nur wirtschaftliche Aspekte im Falle eines Engpasses berücksichtigen sollten. Es sollte berücksichtigt werden, wo die Arzneimittel am dringendsten fehlen.

Entstanden sind die Empfehlungen laut EMA auf Basis von Analysen zu den Ursachen von Engpässen und auf Basis der Erfahrungen der Arzneimittelbehörden, außerdem seien Industrieverbände konsultiert worden.


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