Leben retten und die Umwelt schonen: Wie sich Kliniken für den Klimaschutz rüsten

Der Gesundheitssektor gehört zu den größten Klimaschädlingen. 4,4 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen stammen aus medizinischen Einrichtungen, in Deutschland sind es bis zu fünf Prozent. Konzepte und Ideen, wie sich das ändern ließe, gibt es viele. Was fehlt, ist das Geld. Die bereits knappen Mittel fließen deshalb vorrangig "in die notwendigsten Anschaffungen in der direkten Patientenversorgung", moniert der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, in einer Mitteilung. Dabei könnten Krankenhäuser als Großverbraucher "einen spürbaren Beitrag zum Klimaschutz leisten".

Deutschlandweit zählt das Statistische Bundesamt 1887 Krankenhäuser. Jährlich könnten sie sechs Millionen Tonnen CO2 einsparen – gäbe es keinen Investitionsstau bei der Sanierung und Modernisierung der Gebäude. So hat es der Umweltverband BUND berechnet.

Wie der ökologische Fußabdruck in der Gesundheitsversorgung trotzdem schrumpfen kann, zeigen unter anderem Kliniken im österreichischen Bundesland Vorarlberg. Dort tauschen die Landeskrankenhäuser ihre Narkosegase aus. Das besonders häufig eingesetzte Anästhetikum Desfluran gilt als der Klimakiller schlechthin. Studien zufolge wirkt das Gas mehr als 2500 mal so stark wie CO2. Eine Einrichtung konnte ihre Emissionen im vergangenen Jahr um 160 Tonnen senken; ein Minus von 94 Prozent, wie es im aktuellsten Jahresbericht der Klinik heißt.

Ähnliches belegt auch eine Studie, die 2020 im Fachblatt "Anästhesiologie & Intensivmedizin" erschien. Dafür hat die Klinik für Anästhesiologie im Landkreis Karlsruhe die Verwendung von Desfluran 2018 eingeschränkt. Die Studienautoren verglichen die Emissionen der Klinik mit denen es Vorjahres. Mitberechnet wurden zudem die Emissionen durch Fahrtwege der Angestellten und der Verbrauch von Einmalartikeln und Verpackungsmaterial.

Das Ergebnis: 2017 wurden 77 Prozent der gesamten Krankenhausemissionen durch den Einsatz volatiler Anästhetika wie Desfluran verursacht. Im Jahr darauf waren es nur noch 28 Prozent. Die Gesamtemissionen der Klinik reduzierten sich damit von knapp 400 Tonnen CO2 pro Jahr auf 126 Tonnen – ein Minus von 68 Prozent, wie die Forscher errechneten. "Die Verwendung von Desfluran sollte aus ökologischer Sicht dringend hinterfragt werden, solange keine effiziente Entfernung der volatilen Anästhetika aus der Abluft etabliert ist", fassen die Forscher ihre Studienergebnisse zusammen. Desfluran wird in der Klinik mittlerweile nicht mehr eingesetzt.

Anästhesie mit der größte Klimakiller in Kliniken

Anästhesie-Abteilungen zählen zu den größten Emittenten in Krankenhäusern. Narkosemittel verursachen bis zu zwei Drittel des Treibhausgasaustoßes eines Krankenhauses. Bei einer siebenstündigen Narkose mit Desfluran oder Lachgas fließen ungefähr zwei Liter Frischgasluft pro Minute durch das Beatmungsgerät des Patienten. Die Gase werden nicht im Körper verarbeitet, sondern direkt wieder ausgeatmet und über das Belüftungssystem im OP-Bereich direkt in die Umwelt abgeleitet. Dabei wird in etwa so viel CO2 ausgestoßen wie bei einer Autoreise von Norwegen nach Südafrika, heißt es in einer Studie, die im "Hessischen Ärzteblatt" erschien.

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Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin zufolge werden jährlich 17 Millionen Narkosen in deutschen Krankenhäusern durchgeführt, dazu kommen Tausende weitere ambulante Narkosen.

Schottland ist das erste Land weltweit, das deshalb auf Desfluran verzichtet. Eine Alternative bietet Sevofluran, das als 20-mal weniger klimaschädlich gilt. Bis 2027 sollen auch andere Narkosegase nicht mehr eingesetzt werden, so ist es im schottischen "National Green Theatres Programme" vorgesehen. In Deutschland haben derweil zwei Kliniken der Helios-Kette getestet, wie die Narkosemittel recycelt werden können. Dafür wurde das Gas mit Aktivkohlefiltern abgefangen und von einem Dienstleister aufbereitet. Bis zu 90 Prozent des Anästhetikums konnte laut Helios wiederverwendet werden.

Nationale Klimastrategie für Krankenhäuser

Deutschlandweit bemühen sich medizinische Einrichtungen um einen klimafreundlicheren Arbeitsalltag. Das zeigt eine Befragung von über 200 Krankenhäusern der Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) für die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). 71 Prozent halten Klimaschutzmaßnahmen für notwendig. 38 Prozent der befragten Häuser haben Leitlinien und Zielvorgaben zur Energieeinsparung und Nachhaltigkeit festgelegt.

63 Prozent der befragten Kliniken sehen Verbesserungsmöglichkeiten bei der Energie- und Stromversorgung. Erdgas ist im Gesundheitswesen der dominierende Energieträger. Allerdings setzt die Hälfte der Kliniken mittlerweile auf Fernwärme oder leichtes Heizöl. 57 Prozent der befragten Einrichtungen erzeugen ihren Strom selbst, unter anderem mit Photvoltaikanlagen.

In einem vom Umweltbundesministerium geförderten Projekt wurde zuletzt ein nationaler Klimaschutzleitfaden für Krankenhäuser entwickelt. Der Kernvorschlag: Medizinische Einrichtungen sollen sogenannte Klimamanager einstellen, die Klimakiller aufspüren und Masterpläne für einen klimaschonenderen Krankenhausalltag zu erarbeiten. 70 Prozent der Kosten werden über einem Zeitraum von zwei Jahren von der "Nationalen Klimaschutzinitiative" übernommen. Laut DKI-Studie beschäftigen 30 Prozent der befragten Kliniken einen Klimamanager. In den meisten Fällen werden dessen Aufgaben aber noch von Krankenhausleitern übernommen.

Quellen: "Anästhesie & und Intensivmedizin", Landesärztekammer Hessen, Deutsche Krankenhausgesellschaft, Statistisches Bundesamt, Leitfaden Klimaschutz in Krankenhäusern verankern, Studie Klimaschutz in deutschen Krankenhäusern, Ärzteblatt.de, ORF, Helios

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