Isoglukose: Fragwürdige Süße



Die Lebensmittelindustrie kann seit Oktober 2017 so viel mit der preisgünstigen Isoglukose süßen, wie sie will. Ernährungsexperten sehen die Freigabe kritisch

Isoglukose kann verschieden viel Fruktose enthalten. Bei Fruktose-Glukose-Sirup sind es über 50 Prozent Fruktose

Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland ist zu dick, etwa zehn Prozent leiden an Typ-2-Diabetes, und etwa ein Drittel hat eine Fettleber. Schlimm genug. Die Politik sollte alles dafür tun, eine weitere Förderung dieser Entwicklung zu stoppen.

Mit der Liberalisierung des Zuckermarkts im Oktober 2017 gab die EU allerdings ein Signal in die andere Richtung: Bislang musste der Marktanteil der Isoglukose bei unter fünf Prozent liegen. Nun kann der meist aus Mais gewonnene "high fructose corn syrup" (HFCS), der in den USA schon lange in größeren Mengen verwendet wird, auch in Europa ohne Begrenzungen in der Lebensmittelherstellung eingesetzt werden – und ersetzt nach und nach den gewohnten Rübenzucker in vielen Getränken, Backwaren, Gemüsekonserven und weiteren Produkten.

Experten uneins, wie schädlich Isoglukose ist

Verschiedene Ernährungsexperten und Organisationen, wie die Deutsche Diabetes-Hilfe und die Deutsche Adipositas-Gesellschaft, sehen die Freigabe kritisch. Sie befürchten, dass das Risiko für Übergewicht, Typ-2-Diabetes, Fett­leber und Gicht steigt.

Die Lebens­mittelindustrie und das Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, das Max-Rubner-Institut (MRI), argumentieren dagegen, der im Vergleich zu Rüben- und Rohrzucker schneller und einfacher produzierte Sirup sei nicht schädlicher.

Variabler Anteil an Fruktose

Wo liegt der Unterschied? Der bekannte Haushaltszucker (Saccharose) besteht jeweils zur Hälfte aus Glukose und Fruktose. Bei den Sirupen unter dem Oberbegriff Isoglukose ist das Verhältnis variabel. Der Anteil an Fruktose kann zwischen 8 und 90 Prozent schwanken.

Der mutmaßlich höhere Anteil an Fruktose ist der Zankapfel. Denn diese wird vom Körper anders verarbeitet als Glukose und steht im Verdacht, sich in größeren Mengen nachteilig auf die Gesundheit auszuwirken. Sie fördert dann die Entwicklung einer Fettleber und erhöht den Harnsäurespiegel. "Viel Harnsäure führt bei entsprechend veranlagten Menschen etwa zu Gicht, steigert den Blutdruck, schädigt die Nieren", sagt Professor Andreas Pfeiffer, Leiter der Abteilung Klinische Ernährung des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung.

Stärkere Süßkraft

Zudem sind die beiden Bausteine Glukose und Fruktose in Isoglukose chemisch "Einfachzucker", also nicht miteinander verbunden, sodass der Zucker schneller vom Blut aufgenommen wird als Saccharose. Pfeiffer geht davon aus, dass auch dies nachteilig für den Stoffwechsel ist. Fruktose hat zudem eine stärkere Süßkraft. Während Saccharose bei einem Wert von 100 liegt, besitzt Fruktose mit 120 die stärkste Süße aller Zuckerarten. Mehr Fruktose im Essen könnte den Süßhunger der Konsumenten weiter fördern. "Menschen, die viel Süßes essen, stumpfen ab. Sie streben eine stärkere Süße an und nehmen auch andere Geschmäcker weniger stark wahr", sagt Experte Pfeiffer.

In anderen Ländern habe man zudem beobachtet, dass beim Austausch der Saccharose durch Isoglukose in einem Produkt nach und nach auch die Menge gesteigert worden sei, sagt der Pharmakologe Professor Martin Smollich von der Praxishochschule Rheine. "Der billige Sirup ersetzt dann auch andere Inhaltsstoffe, wie Ballaststoffe, Fette und Proteine. So werden Kosten gespart."

Starker Anstieg von Isoglukose in Europa erwartet

Nach einer Schätzung der EU wird sich die Isoglukose-Produktion bis 2025 mehr als verdreifachen. In den USA hat HFCS einen Marktanteil von annähernd 50 Prozent, wobei die Verwendung aufgrund von Gesundheitsbedenken rückläufig ist. So tauschte etwa die Fastfood-Kette McDonald’s 2016 werbewirksam die Isoglukose in ihren Brötchen aus.

In den USA wird laut dem MRI meist mit Varianten zwischen 42 und 55 Prozent Fruktose gesüßt. Dabei sei der Unterschied zur Saccharose gering und ernährungsphysiologisch nicht relevant, argumentiert das MRI, das das Bundesgesundheitsministe­rium berät. Bei Verwendung identischer Mengen seien die Wirkungen gleich. Denn die negativen Gesundheitseffekte der Fruktose würden frühestens eintreten, wenn mehr als ein Viertel der Nahrungsenergie darüber aufgenommen wird. Zu einer so hohen Menge werde es aber auch mit Isoglukose nicht kommen.

Tatsächliche Verwendung in Deutschland nicht bekannt

Die in Deutschland benutzte Isoglukose enthält laut dem Branchen-Verband der Getreide-, Mühlen und Stärkewirtschaft (VGMS) meist nur einen Anteil von bis zu 30 Prozent – also sogar weniger als Haushaltszucker. Isoglukose mit einem Fruktose-Gehalt von mehr als der Hälfte werde weder produziert noch verwendet, hieß es in einer Stellungnahme im Herbst 2017.

Ein halbes Jahr später konnte der Verband nicht beantworten, ob sich dies mittlerweile geändert habe und ob die Verwendung gestiegen sei. VGMS-Sprecherin Richeza Reisinger betont aber, dass die diversen Zuckervarianten nicht willkürlich und nicht ohne Weiteres ausgetauscht werden könnten. "Die verschiedenen Zuckerarten haben unterschiedliche Eigenschaften und Auswirkungen auf das Produkt und seinen Geschmack."

Verwirrung der Verbraucher

Verbraucher haben es nicht leicht, wenn sie herausfinden wollen, welcher Zucker in einem Produkt steckt. "Da steht nicht vorne ein Aufkleber ‚Achtung, Isoglukose‘ drauf", sagt Smollich. Sie müssen sorgfältig das Zutatenverzeichnis studieren, und auch dann bleibt unklar, wie hoch der Fruktose- Anteil genau ist.

Isoglukose wird in unterschiedlichen Bezeichnungen angegeben, zum Beispiel als Maissirup. Wenn von Glukose-Fruktose-Sirup die Rede ist, liegt der Fruktose-Anteil bei unter 50 Prozent. Beim Namen Fruktose-Glukose-Sirup ist es andersherum. Den größten Gefallen tun sich aber Konsumenten, wenn sie industriell hergestellte Lebensmittel mit zugesetztem Zucker – egal welchen Typs – so gut wie möglich meiden.

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