Wenn die Gefäße im Gehirn fehlgebildet sind, ist die Überlebensprognose oft schlecht. Ärzten ist nun zum ersten Mal eine erfolgreiche OP bereits im Mutterleib gelungen. Das kleine Mädchen kam ohne neurologische Probleme zur Welt. Wissenschaftler bewerten den Fall als „wirklich ermutigend“.
Mediziner in den USA haben erstmals erfolgreich einen Fötus noch in der Gebärmutter an den Hirngefäßen operiert. Über die erste Patientin der Studie berichten sie im Fachmagazin „ Stroke “.
Das Mädchen litt an einer Fehlbildung der Vena Galeni, einer Großhirnvene, die üblicherweise zu schweren gesundheitlichen Problemen führt. Durch das Gehirn fließt zu viel Blut in kurzer Zeit, vereinfacht gesagt. Das Herz versucht, seine normale Arbeit zu verdoppeln, indem es Blut in die Fehlbildung pumpt, das umgehend zurück zum Herzen fließt. Das erläutert Darren B. Orbach, der wissenschaftliche Leiter des Eingriffs, im Gespräch mit dem Fachjournal „ Medscape “. Das erste schwere Symptom bei Babys sei darum in der Regel eine Herzinsuffizienz kurz nach der Geburt. Weitere neurologische Beeinträchtigungen und Herz-Kreislauf-Komplikationen gehören ebenfalls zu den Folgen.
Das Team des Boston Children’s Hospital und des Brigham and Women’s Hospital operierte die 32-jährige Mutter und ihr Kind unter Überwachung durch Ultraschall. Um den erhöhten Blutfluss zu reduzieren, verschlossen die Operateure die fehlgebildeten Blutgefäße (Fisteln) mit sogenannten Coils.
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Die Vena-Galeni-Malformation ist zwar eine sehr seltene Fehlbildung (Häufigkeit schätzungsweise 1:60.000). Aber sie ist die häufigste angeborene Fehlbildung der Blutgefäße im Gehirn. Als Folge entsteht eine Kurzschlussverbindung zwischen dem arteriellen und venösen Kreislauf. Dadurch fließt zu viel Blut und unter hohem Druck in die Vena Galeni.
Ohne fachgerechte Behandlung sterben die Babys laut Orban in 90 Prozent der Fälle. Selbst bei denjenigen, die in einem spezialisierten Zentrum behandelt werden, liege die Sterblichkeitsrate bei 30 bis 40 Prozent. Diejenigen, die überleben, haben ein hohes Risiko für neurologische und kognitive Beeinträchtigungen.
Die Krankengeschichte des Mädchens
Die Diagnose einer Fehlbildung der Galen-Vene wurde in der 30. Schwangerschaftswoche anhand einer Überwachungsultraschalluntersuchung gestellt. Die genaueren Analysen zeigten, dass sie mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit „aggressive“ Beeinträchtigungen für das Neugeborene mit sich bringen werde, wie die Forschenden schreiben – mit schwerem Lungenhochdruck (pulmonale Hypertonie) und gestörter Funktion der rechten Herzkammer (rechtsventrikuläre Dysfunktion).
Das kleine Mädchen hatte also bereits im Mutterleib ein hohes Risiko für schwere Komplikationen.
So lief die Hirn-Operation im Mutterleib ab
Für die Operation wurde das Kind im Mutterleib so gedreht, dass der Kopf möglichst nahe an der Bauchwand lag. Damit beide keine Schmerzen spürten, bekam die Mutter eine Spinalanästhesie, das Mädchen eine Betäubung über den Hüftmuskel.
Unter Ultraschallkontrolle wurde eine spezielle Hohlnadel durch die Gebärmutterwand in die Fruchtblase in Richtung des Hinterkopfes des Fötus eingeführt. Mithilfe einer Rotationsbohrtechnik und sanftem Vorwärtsdruck gelangte die Nadel langsam durch den Schädel des Fötus. Nachdem die Nadel die Adern der Fehlbildung erreicht hatte, wurden diese mit Metallspiralen verschlossen.
23 der Coils setzten die Operateure ein. Im Ultraschall stellten sie direkt eine deutliche Verringerung des Blutflusses fest. Während der ganzen Operation wurde der Herzschlag des Fötus engmaschig überwacht. Nadel und eingeführte Katheter wurden als Einheit entfernt und die Mutter in stabilem Zustand in den Aufwachraum zurückgebracht.
So ging es mit dem Baby weiter
Das Baby kam zwei Tage nach dem Eingriff wegen eines Blasensprunges mit einem Geburtsgewicht von 1,9 Kilogramm als Frühgeburt auf die Welt. Es benötigte keine kardiovaskuläre Unterstützung oder postnatale Embolisation (ein Katheterverfahren, das den übermäßigen Blutfluss zum Gehirn und Herz blockiert). Die Vitalfunktionen waren durchgehend stabil. Die neurologische Untersuchung, einschließlich Aufmerksamkeit, Reflexe, Bewegungen und Fähigkeit zur Nahrungsaufnahme, war immer altersgerecht. Die körperliche Untersuchung des Neugeborenen ergab eine kleine, gut verheilte Einstichstelle an der Hinterkopfbehaarung.
„Wir erwarteten mit angehaltenem Atem die Geburt, um zu sehen, wie es dem kleinen Mädchen klinisch geht. Ich versuchte, meine Erwartungen zurückzuschrauben, aber es war schnell klar, dass sie sich gut entwickeln würde“, sagte Orbach, „jetzt ist sie zu Hause und muss in den ersten Wochen mit Sauerstoff versorgt werden, aber im Moment ist ihr neurologischer Status völlig intakt und sie sieht im Grunde wie jedes andere Baby aus. “
Bereits mehrmals sind Echokardiogramme (EKG) durchgeführt worden. Sie zeigten jeweils eine deutliche Verbesserung der Herzleistung. Auch auf neurologischer Seite sah es gut aus: Die Magnetresonanztomographie (MRT) zeigte keine Schädigung des Gehirns, sondern einen normalen neurologischen Befund.
Ob das Kind weitere Eingriffe brauche, sei noch unklar, wie der Mediziner erklärte. „Wir werden sie genau beobachten und entscheiden, ob eine weitere Behandlung notwendig ist, je nachdem, ob die Fehlbildung wächst oder nicht“, sagt Orbach. Auch Folgebeschwerden wie Lernschwierigkeiten und Krampfanfälle, die gelegentlich auftreten, würden bei der Langzeitbeobachtung untersucht.
Der Fall als „echte Pionierarbeit“
„Der entscheidende Fortschritt besteht darin, dass wir eingreifen können, bevor die physiologischen Ereignisse nach der Geburt zu einem lebensbedrohlichen Herzversagen führen“, bewertete der interventionelle Neuroradiologie Colin Derdeyn von der University of Iowa Health Care, der Vena-Galeni-Malformation an Neugeborenen behandelt, diesen ersten Fallbericht in einer Pressemitteilung der American Heart Association.
Gleichzeitig gab der Kardiologe zu bedenken, dass ein einziger erfolgreicher Fall nicht ausreiche, um daraus zu schließen, dass die Risiken des Verfahrens die Vorteile überwiegen.
Das betont auch Gary Satou, Direktor der pädiatrischen Echokardiographie am UCLA Mattel Children’s Hospital und Co-Direktor des UCLA Fetal Cardiology Program, der ebenfalls nicht an der Studie beteiligt war. Es müsse weiterverfolgt werden, ob ein klares Muster der Verbesserung sowohl der neurologischen als auch der kardiovaskulären Ergebnisse zu erkennen sei.
Derdeyn stellte dennoch fest, dass die positiven Veränderungen und die erzielte Verringerung des Blutflusses „wirklich ermutigend“ seien. Und ergänzte: „Das sind einige der aufregendsten und überraschendsten Aspekte dieses Fallberichts. Es ist eine echte Pionierarbeit, die sehr sorgfältig und verantwortungsvoll durchgeführt wurde.“
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