Seit drei Tagen hat der Mann Schmerzen im unteren Bauchbereich. Der 42-Jährige leidet aber nicht unter Übelkeit, Verstopfung oder Durchfall. Seine Körpertemperatur ist normal. Mit diesen Beschwerden sucht er die Notaufnahme des Hospital Son Llàtzer in Palma de Mallorca, Spanien, auf.
Die Mediziner dort notieren sich seine Krankengeschichte. Der Mann nimmt Hormone ein, weil ihm im Alter von 13 Jahren beide Hoden entfernt werden mussten. Erst vor zehn Tagen war er beim Arzt, der ihm wegen Verdachts auf Gonorrhö Antibiotika verschieben hatte. Gonorrhö, auch Tripper genannt, ist eine von Bakterien verursachte Geschlechtskrankheit. Männer leiden nach einer Ansteckung zu Beginn meist unter Ausfluss und Schmerzen beim Wasserlassen. In der Folge kann es zu Entzündungen, etwa an der Prostata, den Samenleitern oder Nebenhoden kommen. Durch Antibiotika heilt ein Tripper normalerweise schnell ab.
Als die Ärzte ihn abtasten, gibt er an, im mittleren und rechten Teil des Unterbauchs Schmerzen zu empfinden. In der rechten Leistengegend ertasten die Mediziner einen kleinen, härteren Bereich. Dort hat der Patient auch Druckschmerz. Sie vermuten, dass es sich um einen geschwollenen Lymphknoten handelt.
Ein Bluttest deutet darauf hin, dass der Mann irgendwo im Körper eine Entzündung hat: Der Wert des sogenannten C-reaktiven Proteins sowie die Zahl der weißen Blutkörperchen sind erhöht.
Anzeichen eines Leistenbruchs
Der Patient wird deshalb einem Ultraschall unterzogen. Dort zeigen sich Anzeichen für einen Leistenbruch. Bei diesem ist eine Lücke in der Bauchwand entstanden, in die dann Teile innerer Organe rutschen können. Es bildet sich ein sogenannter Bruchsack, in dem zum Beispiel ein Stück des Darms gefangen sein kann.
Der Radiologe erkennt beim Ultraschall tastsächlich eine längliche Struktur, die schmerzt, wenn darauf Druck ausgeübt wird. Allerdings kann er sich kein hinreichend gutes Bild der Situation machen. Deshalb folgt eine Computertomografie (CT). Dort sehen die Experten einen entzündeten Blinddarm, dessen Spitze im Leistenbruch gefangen ist. Dieses vergleichsweise seltene Phänomen wird als Amyand-Hernie bezeichnet.
Um diese Diagnose zu bestätigen und den entzündeten Blinddarm zu entfernen, operieren die Ärzte den Patienten. Sie machen dies mit einer minimalinvasiven Methode, einer Bauchspiegelung, bei der nur ein kleiner Schnitt in der Bauchdecke nötig ist.
Allerdings finden sie bei dem Eingriff nicht das vor, was sie erwartet haben. Zum einen hat der Mann keinen Leistenbruch. Zum anderen ist der Blinddarm des 42-Jährigen überhaupt nicht entzündet und er steckt auch nicht in einem Bruchsack, sondern sitzt heil und gesund genau dort, wo er hingehört.
Längliche, entzündete Struktur
Es gibt jedoch die längliche, geschwollene Struktur, die schon im Ultraschall auffiel. Nur handelt es sich dabei nicht um den Blinddarm des Patienten. Es ist der rechte Samenleiter, der aussieht, als sei er entzündet. Da der Mann keine Hoden mehr hat, entscheiden sich die Ärzte, den Samenleiter zu entfernen und eine Probe in der Pathologie untersuchen zu lassen. Danach beenden sie den Eingriff.
Als sie nach der OP mit dem Patienten sprechen, gibt er zu, die Antibiotika nicht eingenommen zu haben. Die Pathologie bestätigt, dass der Samenleiter entzündet war. Damit ist klar, was passiert ist: Infolge der nicht therapierten Gonorrhö kam es zu der Entzündung, welche die Ärzte im Ultraschall und CT nicht richtig erkannten.
Die Ärzte verordnen dem Mann erneut Antibiotika, die er nun auch nimmt. Bereits am Tag nach der OP kann er die Klinik verlassen. Durchaus selbstkritisch schreiben die Ärzte im “International Journal of Surgery Case Reports”, dass der Fall illustriert, wie ein unzureichendes Arzt-Patienten-Gespräch in Kombination mit einem gewissen Übereifer, eine seltene Erkrankung zu behandeln, zu einem unnötigen chirurgischen Eingriff führen kann.
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