Die Apotheken könnten in Zukunft eine noch weitaus wichtigere Rolle im Gesundheitswesen spielen als bisher, meint der Gesundheitsökonom Professor David Matusiewicz. Als erste Anlaufstelle für die Menschen sollen sie dem Digitalisierungsexperten zufolge die Versorgungssteuerung übernehmen und durch Erweiterung ihrer Kompetenzen die Arztpraxen entlasten. Im Gespräch mit der DAZ skizziert er seine Vision der Apothekenwelt von morgen.
Der Gesundheitsökonom und Digitalisierungsfachmann Professor David Matusiewicz erwartet, dass die Apothekenzahlen hierzulande weiter sinken werden – aus seiner Sicht ist das kein Verlust: „Wir haben zu viele Apotheken in Deutschland“, sagte er der DAZ. Im ersten Teil des Beitrags erläuterte er, was nach der zu erwartenden Marktbereinigung im Zuge der Digitalisierung für eine Apothekenlandschaft übrig bleiben könnte und warum kleine, inhabergeführte Betriebe es schwer haben werden, zu bestehen.
Doch es gibt eine Welt danach, sagt er: Präsenzapotheken, die sich der digitalen Transformation stellen und sie überleben, winken Matusiewicz zufolge auch ganz neue Möglichkeiten. Das E-Rezept könne dazu beitragen, die Abläufe in den Apotheken zu verschlanken. Mindestens genauso interessant für die Betriebe sei jedoch, dass sie Zugriff auf die elektronischen Patientenakten ihrer Patientinnen und Patienten bekommen. „Mit den Informationen, die sie dort finden, können sie etwas tun, was heute keiner macht: Versorgungssteuerung.“
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„Wir haben zu viele Apotheken in Deutschland“
Der Datenschatz bringt seiner Einschätzung nach große Chancen für die Offizinen mit sich. Denn bei der Interpretation dieser Daten werden die Versicherten auch weiterhin auf die Unterstützung der Heilberufler angewiesen sein. „Die Apotheke wird künftig eine deutlich wichtigere Rolle im Gesundheitswesen einnehmen als bisher“, glaubt Matusiewicz. Sie könnte ähnlich wie in der Schweiz zur ersten Anlaufstelle für die Patientinnen und Patienten werden und durch Kompetenzerweiterungen die Arztpraxen entlasten. „Im Idealfall brauche ich dann zum Beispiel bei einem banalen Infekt gar keinen Arzttermin mehr“, sagt der Ökonom. Das Impfen in der Apotheke wertet er als einen ersten Schritt in diese Richtung. „Die Pandemie hat gezeigt, dass es durchaus Sinn ergibt, den Apotheken mehr Aufgaben und mehr Verantwortung zu übertragen.“
„Personal kann Know-how bisher nur bedingt einbringen“
Abgesehen davon, dass das pharmazeutische Personal über viel Know-how verfüge, das es bisher nur bedingt einbringen kann, entwickele sich neben dem ersten immer stärker auch ein zweiter Gesundheitsmarkt – der Consumer Market. „Die Leute sind auch gern bereit, mal ein paar Euro mehr zu auszugeben, wenn sie dafür schnell und einfach eine Lösung für ihr Problem bekommen“, meint Matusiewicz. Er sieht neue Geschäftsmodelle für die Apotheken daher auch im Selbstzahlerbereich. „Selbstoptimierung ist ein Trend, an dem auch Apotheken verdienen können. Wie verbessere ich meinen Schlaf? Was kann ich tun, um mein Wohlbefinden zu steigern, mich besser zu ernähren, mich mehr zu bewegen? Im Lifestyle-Bereich liegt großes Potenzial auch für die Apotheken.“
Der Ökonom hält es darüber hinaus auch für denkbar, dass Apotheken kleine Labore betreiben, in denen die Mitarbeitenden Blutwerte bestimmen. „Das ist heute noch der heilige Gral der Ärzte“, weiß er. „Aber wir bilden inzwischen Physician Assistens aus mit dem Ziel, dass sie einige Arzt-ähnliche Aufgaben übernehmen. Warum sollten das die Apotheken nicht können, wenn man die gesetzlichen Vorgaben entsprechend anpasst?“
„Rechtlich wird sich einiges lockern“
Zudem werden aus Sicht des Digitalisierungsexperten Kooperationen mit Start-ups zunehmend wichtig für die Betriebe. „Ich kenne einen Fall, da kann die Apotheke einfach ein Foto von meinem Hautbild machen und per App an den Dermatologen schicken. Am nächsten Tag bekommt die Apotheke den Arztbrief übermittelt, bei Bedarf inklusive einer Arzneimittelverordnung. Solche Modelle werden sich weiter ausbreiten – denn die einen haben ein tolles digitales Werkzeug, die anderen die räumliche Infrastruktur. Für die Apotheke kann das lukrativ sein, wenn man eine angemessene Vergütung für solche Services einpreist.“ Rechtliche Hürden sieht Matusiewicz gelassen. „Da wird sich einiges lockern in den kommenden Jahren.“
„Bezahlte Dienstleistungen sind ein erster Schritt in die richtige Richtung“
Apropos Vergütung: Der anstehende Wandel muss sich dem Gesundheitsökonomen zufolge auch in der Honorierungssystematik der Apotheken widerspiegeln. „Wir müssen unbedingt weg von der rein packungsbezogenen Vergütung“, sagt er. Dass mit den pharmazeutischen Dienstleistungen nun erstmals pharmazeutische Betreuungsangebote bezahlt werden, ist für ihn ein erster Schritt in die richtige Richtung. „Die Apotheken haben super ausgebildete Mitarbeiter, die im Arzneimittelbereich deutlich mehr Kompetenz mitbringen als Ärzte“, betont Matusiewicz. „Das ist eine wertvolle Ressource.“
Vor diesem Hintergrund stellt er auch infrage, ob ein Chroniker wirklich für jede Medikamentenverordnung seinen Arzt aufsuchen müsse. „Das Medikament braucht er ja sowieso. Und viele Fragen kann auch der Apotheker klären.“ Da Apotheken in der Vision des Ökonomen auch Laborwerte bestimmen dürfen, könnten sie die Verlaufskontrolle übernehmen. „Dann fände ich es auch okay, wenn sie sich an den Disease-Management-Programmen beteiligen und darüber eine Vergütung erhalten.“
Zur Person
David Matusiewicz Ökonom und Professor für Medizinmanagement an der FOM Hochschule. Seit 2015 verantwortet er als Dekan den Hochschulbereich Gesundheit & Soziales und leitet als Direktor das Forschungsinstitut für Gesundheit & Soziales (ifgs)
Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich des Gesundheitsmanagements bzw. Medizinmanagements und der Gesundheitsökonomie. Darüber hinaus unterstützt er als Gründer bzw. Business Angel technologie-getriebene Start-ups im Gesundheitswesen. Matusiewicz ist in verschiedenen Aufsichtsräten (Advisory Boards) sowie Investor von Unternehmen, die sich mit der digitalen Transformation des Gesundheitswesens beschäftigen.
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