Verschlimmbesserung statt Lösung

Die weit gefächerte Berichterstattung zum „Krebskartell“ warf vergangene Woche dunkle Schatten auf die Zytostatika-herstellenden Apotheker:innen – wenn nicht sogar auf alle Apotheken. Apotheker und DAZ-Gastkommentator Dr. Franz Stadler meint: Ja, die erzielbaren Margen sind bei manchen Wirkstoffen zu groß und ja, das System ist intransparent. Was wir aber brauchen, ist eine zukunftsfähige Lösung – keine „Verschlimmbesserung“.

Die Versorgung mit parenteralen Zubereitungen in der Onkologie ist sehr speziell. Doch es ist zu kurz gesprungen, einzelne Punkte herauszugreifen und schlagzeilenträchtig Schuldige zu benennen (meist „die gierigen Apotheker“), die selbst nur Teil des Spiels sind, oder stark vereinfachend von „Pharmagold“ zu sprechen.

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Das System ist komplex und muss grundlegend reformiert werden. Das fängt bei den völlig überhöhten (und komplett intransparenten!) Preisen patentgeschützter Wirkstoffe an, dem eigentlichen Ursprung der später (nach Patentablauf) zwischen den verschiedenen Playern (Krankenkassen, Ärzten, Apothekern, Zwischenhändlern, pharmazeutische Unternehmen) verhandelbaren Margen und endet bei einer unsäglichen Mischkalkulation, die gerade die Apotheker:innen immer wieder zwingt, mit „lukrativen“ Geschäften unrentable querzusubventionieren. Dazwischen liegt eine sich wiederholende Neiddiskussion, die zwar der Pharmaindustrie Umsatzrenditen (nach Abzug aller Kosten!) von bis zu 35 Prozent zugesteht, aber bei Zytoapotheken legale (!) Gewinne von unter 5 Prozent als unmoralisch darstellt, obwohl aus diesen Gewinnen alle Investitionen, die Instandhaltung, das gesamte Risiko (Zahlungsausfälle, Untergang der sehr teuren Ausgangsstoffe, Retaxen etc.) und nicht zuletzt der Lebensunterhalt des/der Inhaber:in bestritten werden muss. 

Gerade bei Zytoapotheken gab es sogar schon rückwirkende Preissenkungen, einen regulatorisch einmaligen Vorgang, der in jeder anderen wirtschaftlich handelnden Branche zurecht einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hätte, hier aber einfach „durchgezogen“ wurde. Das Risiko eine Zytoapotheke mit ihren extrem erhöhten Umsätzen zu betreiben ist also hoch und keineswegs mit einer „normalen“ Apotheke oder der Herstellung einer „normalen“ Rezeptur zu vergleichen. Wie gesagt, das rechtfertigt nicht jede Marge, zeigt aber die Notwendigkeit das gesamte System zu betrachten und nicht nur Teile herauszugreifen.

Wohnortnahe Versorgung funktioniert nur mit Mischkalkulation

Und hinter dem Ganzen steht der/die Patient:in: schwerkrank, mit dem Anrecht auf bestmögliche Versorgung. Spricht in der Darstellung des „Zytokartells“ jemand über den Zusammenhang von wohnortnaher Versorgung und Qualität? Menschlicher ist es zwar schon, wenn man Hospizpatienten für 50 Euro mit Schmerzpumpen bei einem Anfahrtsweg von 45 Minuten versorgt und dabei als Inhaber noch ein kleines Pläuschchen mit dem Sterbenden hält, aber ist das auch wirtschaftlich? Viele wohnortnahe Zytoapotheken haben das oder ähnliches schon immer getan – ganz ohne ausreichende Vergütung. Ohne Mischkalkulation und unter dem Gesichtspunkt der Gewinnmaximierung wird so etwas aber künftig kaum mehr stattfinden. 

Warum lässt man also MVZ-Strukturen mit Finanzinvestoren im Hintergrund zu? Warum redet kaum jemand über die langen Transportwege zentralisierter Strukturen, die weder eine patientenbezogene Adhoc-Herstellung (Patient:in sitzt bereits zur Dosisbestimmung in der Arztpraxis) zulassen noch die bei empfindlichen proteinhaltigen Wirkstoffen möglicherweise erhöhten Immunogenitäten/Toleranzentwicklungen berücksichtigen? Selbst wenn diese gewinnmaximierenden MVZ-Konstrukte künftig beschränkt werden sollten, wird es wahrscheinlich einen Bestandschutz geben – warum? Warum gibt man Ihnen stattdessen nicht fünf Jahre Zeit, alles rückabzuwickeln, und baut stattdessen wieder lokale Strukturen auf? Warum soll es nach Meinung der AOK (wem auch sonst?) wieder regionale Ausschreibungen der Zytoversorgung geben, obwohl völlig klar ist, dass eine onkologische Praxis nicht von mehreren verschiedenen zubereitenden Apotheken versorgt werden kann, ohne ein organisatorisches Chaos auszulösen und Qualitätsverluste hinzunehmen? Wie wollen die Krankenkassen dieses Mal sicherstellen, dass nicht Apotheken ohne Reinraumlabor („Strohapotheken“) die „regionalen“ Ausschreibungen gewinnen oder wollen sie das überhaupt? Und es gibt noch einige Fragen mehr, die man sich stellen kann.

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Vielleicht sollte endlich über eine grundlegende Neugestaltung des Systems der ambulanten Zytostatikaversorgung nachgedacht werden? Vielleicht sollte dabei von den Bedürfnissen der schwerkranken Patient:innen ausgegangen und erst in einem zweiten Schritt auf den wirtschaftlichen Aspekt eingegangen werden? Bereits 2017 habe ich für den Zytobereich ein Kommissionsmodell vorgeschlagen, das die zubereitenden Apotheken sowohl aus der Haftung für die sehr teuren Wirkstoffe herausnehmen (Risikoreduzierung) als auch deren Vergütung auf eine auskömmliche und indexierte Herstellpauschale (für ihre geleistete Arbeit!) beschränken würde. Gewinnerwartung korreliert eben direkt mit Risikobereitschaft. Über die detaillierte Ausgestaltung des Kommissionsmodels kann natürlich diskutiert werden – wenn man denn will. Vielleicht will man aber auch nur alle paar Jahre über die „riesigen“ Gewinnmargen der Zytoapotheken schwadronieren, vergängliche Schlagzeilen produzieren, die bekannten Fehler wiederholen und Lösungen letztlich verhindern…


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