Ob in den USA, in Russland, China oder anderswo: Unter den Lenkern großer Nationen finden sich auffällig oft Männer ab 70. Ist das ein Problem?
Schon als Joe Biden 2021 ins Weiße Haus einzog, war er der älteste US-Präsident aller Zeiten. Spätestens seit der 80-Jährige ankündigte, 2024 erneut zur Wahl antreten zu wollen, geht es immer wieder um ein Thema: sein Alter. Am Ende einer möglichen zweiten Amtszeit wäre der mächtigste Mann der Welt schließlich stolze 86.
Dabei ist Biden längst nicht alleine als Mann an der Spitze im Rentenalter. Einige der wichtigsten Politiker sind 70 oder älter, darunter die Staatenlenker von Russland, China, Indien, Brasilien, Südafrika und Israel. Sie bestimmen maßgeblich mit über das Schicksal der Welt.
Da stellt sich schnell die Frage: Wie fit und flexibel im Kopf kann „Mann“ im Alter eigentlich noch sein? Eine Ferndiagnose bei diesen mächtigen Männern verbietet sich, auch weil beispielsweise über Biden vergleichsweise viel bekannt ist, über den Gesundheitszustand des chinesischen Staatschefs Xi Jinping hingegen wenig. Trotzdem lohnt es sich, die körperliche und geistige Verfassung dieser Generation einmal genauer anzuschauen.
Hoher sozialer Status und gute Versorgung entscheidend
Zuerst die gute Nachricht: Insgesamt dürfte es heutzutage wohl einen höheren Anteil fitter älterer Männer geben als noch vor 20 oder 30 Jahren, sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit, Frank Sommer. „Auch dank medizinischer Aufklärung.“
Vorbeugung und ein längerer Erhalt der körperlichen und geistigen Fitness gelingen demnach aber vor allem eher wohlhabenden, gut gebildeten Männern. Es komme jedoch darauf an, Wissen über Ernährung und Bewegung auch umzusetzen. Spitzenpolitiker und andere mächtige Senioren dürften dabei besonders herausstechen, mit engmaschiger, sehr guter medizinischer Versorgung, vielleicht auch mit Privatköchen und -trainern. „Das ist eine so individuelle Betreuung, wie sie der Otto-Normalverbraucher nicht hat“, sagt Sommer.
Welche Krankheiten und Probleme im Alter häufig sind
Trotz aller Fortschritte: Mit zunehmendem Alter erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für chronische Krankheiten und Mehrfacherkrankungen. Einige Beispiele: Im Alter von 65 bis 74 hat laut einem älteren Bericht des Robert Koch-Instituts (RKI) mit Eigenangaben von Befragten hierzulande mehr als jeder zweite Mann Bluthochdruck, jeder vierte Arthrose.
Rund 18 Prozent sind Diabetiker. Knapp 14 Prozent berichteten, schon einmal einen Herzinfarkt gehabt zu haben. Ungefähr genauso hoch ist der Anteil der Männer dieses Alters, die jemals eine Krebsdiagnose erhielten. Die Demenzraten liegen laut Deutscher Alzheimer Gesellschaft bei Männern unter 75 in Europa deutlich unter fünf Prozent, sie steigen ab 80 auf über zehn Prozent.
Zu diesen ernsten Erkrankungen kommen noch Gesundheitsprobleme wie Stürze, Inkontinenz und Sinneseinschränkungen hinzu, die mit dem Alter deutlich zunehmen. Ein Beispiel: Zwischen 71 und 80 sei etwa jeder Dritte hochgradig schwerhörig. „Jenseits des 80. Lebensjahrs ist es mehr als jeder Zweite“, hält das Bundesforschungsministerium fest. „Spätestens ab dem 70. Lebensjahr können wir davon ausgehen, dass es zu einem relativ umfassenden Verlust an Muskelkraft und Muskelmasse gekommen ist“, erklärt Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln. Hauptursachen seien die in der Regel viel zu geringe muskuläre Belastung im Alltag und bei der Arbeit. Ausnahmen seien insbesondere jene Menschen ab 50/60, die regelmäßiges und vor allen Dingen intensives Muskeltraining betrieben.
Das chronologische Alter sagt nicht alles
Durchschnittswerte zur Gesundheit im Alter sind aber nur ein Aspekt. Denn Fachleute unterscheiden zwischen dem chronologischen Alter – basierend auf dem Geburtsdatum – und dem biologischen Alter, das abweichen kann. „Um es etwas überspitzt zu erklären: Es gibt 75-Jährige, die spielen dreimal in der Woche Tennis und fangen noch einmal ein zweites Studium an. Und es gibt Gleichaltrige, die kommen ohne Rollator nicht mehr über die Straße und können sich an die Namen ihrer Enkel nicht erinnern“, sagt Bernd Kleine-Gunk, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anti-Aging-Medizin. „Da gibt es große individuelle Unterschiede.“
Das chronologische Alter sei nur eine Zahl, entscheidend für die berufliche Leistungsfähigkeit sei das biologische, sagt Kleine-Gunk. Ihn ärgert es, dass die Debatte über das Alter mancher Regierungschefs manchmal recht negativ geführt wird: „Ich sehe da schon eine Form der Altersdiskriminierung, ein Abstempeln alter Menschen. Das ist nicht korrekt.“
Um im Kopf fit zu bleiben, sei es sogar förderlich, weiterhin das zu machen, was einem Spaß bereitet. „Wenn das der Beruf ist, dann ist es eine wunderbare Anti-Aging-Therapie.„ Noch positiver sei der Effekt, wenn Menschen dabei auch eine innere Überzeugung oder Vision verfolgen. Das könne Kräfte freisetzen. Umgekehrt gebe es keinen größeren Alterungsfaktor für Nervenverbindungen im Gehirn, als sich mit 65 dem Nichtstun zu verschreiben.
Der Psychologe Hans-Werner Wahl, Projektleiter am Netzwerk Alternsforschung der Universität Heidelberg, betont, dass es sich bei älteren Staatenlenkern um „eine Art Superselektion“ handele: Man sehe hier quasi die Fittesten, „Ausnahmen ihrer Spezies“, sicher keine Durchschnittsmänner. „Wenn man es so weit schafft, hat das viel mit Bildung zu tun. Auch mit vielen Routinen und Lebenserfahrung. Man weiß, wie man Dinge angeht, aber auch wie man Energie spart und sich Aufgaben einteilt“, sagt der Wissenschaftler.
Auch eine Frage der historischen Prägung?
Kehrseiten sind Wahl zufolge aber denkbar: Zum Problem könne möglicherweise die Prägung durch historische Erfahrungen werden. „Hochaltrige kommen ja gewissermaßen aus einer anderen Zeit.“ Das Verständnis für aktuelle gesellschaftliche Bedürfnisse und Entwicklungen könne alten Politikerinnen und Politikern daher schwerer fallen. Beziehungsweise sei ein intensiver Generationenaustausch notwendig, wenn man zwar Macht habe, aber wenig Wissen über nachfolgende Generationen, deren Werte und Präferenzen.
„Eine weitere Gefährdung sehe ich darin, dass speziell ältere Männer nach längerer Zeit in Machtpositionen zu Selbstüberschätzung neigen könnten“, sagt Wahl. „Und dass sie durch eine lange Zeit in dieser Rolle womöglich eher in Muster verfallen, die nicht gerade zu innovativen Lösungen auf neue Probleme führen.“ Eine „Enge des eigenen Denkens“ nennt er das. Auch Stress und hohes Tempo könnten belastend sein. „Wenn etwas mit hohem Alter nicht gut zusammengeht, dann sind es schnelle Entscheidungen, schnelles Handeln.“
Alte Politiker offenbar kein zunehmend vorkommendes Phänomen
Der Psychiater Hans Förstl von der Technischen Universität München schrieb 2020, dass das Durchschnittsalter politischer Führungskräfte in den vergangenen drei Jahrzehnten in den meisten Teilen der Welt nicht wesentlich gestiegen sei. Er nennt im Journal „Dementia and Geriatric Cognitive Disorders“ auch Beispiele, in denen über 90-Jährige solche Ämter bekleideten. Und listet historische Verdachtsfälle, in denen die Geisteskräfte bei Staatenlenkern offenbar nachließen. Diese Aufarbeitung will Förstl aber nicht als generelle Warnung vor Kandidaten über 65 verstanden wissen.
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