Viele Menschen wollen abnehmen – doch nicht bei allen klappt es. Oft steckt dahinter eine Domino-Reaktion, wissen die Mediziner Constanze und Martin Storr. Die beiden erklären, worauf es beim Gewichtsverlust ankommt.
Nachfolgend geht es vor allem um die Aspekte beim Abnehmen, die es zu beachten gilt, wenn keine andere Behandlung der Ursachen für Ihr Übergewicht möglich ist. Aber auch wenn das bestehende oder drohende Übergewicht medikamentös in den Griff zu bekommen ist, geben wir Ihnen mit diesen Tipps ein wirkungsvolles Instrument gegen dieses Problem in die Hand. Uns war wichtig, eine ganzheitliche Betrachtung des Themas zu ermöglichen und nicht nur auf Kalorienzählen und mehr Sport zu fokussieren. Dies wird dem komplexen Thema Übergewicht nicht gerecht. Hier erfahren Sie, wie Sie Ihre Selbstwahrnehmung schärfen und warum das so wichtig ist.
Seien Sie ehrlich zu sich selbst
Eine oftmals geäußerte Ansicht beim Abnehmen ist: „Ich esse doch gar nicht so viel.“ Das wirft sofort die Frage auf: Was empfindet jeder Einzelne als „gar nicht so viel“ und wie definiert man „viel“ und „gar nicht so viel“? Weiterhin interessant sind die Fragen: Wie ändert sich mein Kalorienbedarf und wie ändert sich das Abnehmen, wenn der Stoffwechsel etwa durch Medikamenteneinnahme oder Erkrankungen der Schilddrüse verändert ist? Mit diesen Fragen wollen wir uns im Folgenden beschäftigen.
Über die Experten
Constanze Storr ist Fachärztin für Allgemeinmedizin mit der Zusatzbezeichnung Ernährungsmedizin und arbeitet als Oberärztin am Max-Planck-Institut für Psychiatrie. Ihr ist die ganzheitliche Betreuung der Patientinnen und Patienten wichtig, denn Krankheiten sind meist nicht eindimensional, sondern oft multifaktoriell verursacht.
Martin Storr ist Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie am Zentrum für Endoskopie in Starnberg. Sein Schwerpunkt liegt auf der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit funktionellen Magen- und Darmerkrankungen, Nahrungsmittelunverträglichkeiten und chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Ernährungsfragen sowohl zu Über- als auch zu Untergewicht nehmen in seiner Sprechstundentätigkeit eine zentrale Rolle ein.
“Die geheimen Dickmacher – Wie Medikamente und andere versteckte Ursachen zu Übergewicht führen” von Constanze und Martin Storr.
Es kommt auf den tatsächlichen Verbrauch an
Ernährungsmedizinisch ist „zu viel“ definiert durch die Überschreitung des Grundumsatzes plus des täglichen Kalorienverbrauchs, angepasst an den eigenen Aktivitätslevel. „Zu viel“ ist demnach, mehr zu essen, als man tatsächlich verbraucht – das ist eine Rechengröße und hat nichts mit dem eigenen Empfinden zu tun.
Diese kühle Rechnerei ist vor allem dann wichtig, wenn zum Beispiel Medikamente eingenommen werden oder das endokrine System erkrankt ist, was den Stoffwechsel negativ beeinflusst. Leider gibt es bisher keine Untersuchungen und Empfehlungen, wie viel genau man reduzieren sollte, wenn dies der Fall ist.
Sie werden mit Ihrer Selbstbeobachtung jedoch bald ein Gespür dafür bekommen, was für Sie individuell zu viel ist, denn Sie sehen es ja an der Körperwaage. In Deutschland sind aktuell etwa 60 Prozent der Bevölkerung übergewichtig. Das bedeutet, dass in unserem Umfeld viele Menschen leben, die kontinuierlich diese Kaloriengrenze überschreiten, aus welchen Gründen auch immer.
Und das ist Teil des Problems: Wir können selbst gar nicht mehr wahrnehmen, dass wir eigentlich kontinuierlich zu viele Kalorien zu uns nehmen, weil alle dauerhaft zu viel essen und sich damit unsere Wahrnehmung von „normal“ und „viel“ verschoben hat. Fast jeder in Ihrem Umfeld isst zu viel. Wenn dann aber auch noch dick machende Medikamente oder andere Erkrankungen dazukommen, dann beginnt eine Spirale der Gewichtszunahme, die unüberwindbar erscheint.
Viele Patientinnen und Patienten nehmen dick machende Medikamente und wissen gar nicht um diese Nebenwirkung oder haben eine der oben angeführten Erkrankungen und ahnen demnach nicht einmal, was ihr Gewichtsproblem befeuert. Viele Faktoren, die sich gegenseitig beeinflussen, führen zu Übergewicht. Die gute Nachricht: Sie können diese Domino-Reaktion stoppen!
Selbstwahrnehmung und Selbstwirksamkeit
Selbstwahrnehmung ist der nächste Ansatzpunkt. In Studien wurde gezeigt, dass der Großteil der übergewichtigen oder gar fettleibigen Menschen ganz genau weiß, dass sie zu viel Gewicht auf Rippen und Bauch herumtragen. Nur den nächsten Schritt, den Ursachen auf den Grund zu gehen und sich klarzumachen, dass das eigene Essverhalten und der eigene Bewegungsmangel Multiplikatoren für die Gewichtszunahme sind, gehen viele der Betroffenen nicht.
Psychologisch ist es einfacher, die Umstände, also die dick machenden Medikamente oder ursächliche Erkrankungen, den Stress in der Arbeit, vielleicht familiäre Belastungen und manches andere dafür verantwortlich zu machen.
Oft fehlt auch die Überzeugung der sogenannten Selbstwirksamkeit. Fehlende Selbstwirksamkeit bedeutet, dass Menschen sich gar nicht mehr vorstellen können, dass sie allein durch eine Verhaltensänderung etwas an der eigenen Situation bewirken können.
Bei psychiatrischen Patientinnen und Patienten, die dick machende Psychopharmaka einnehmen, ist der fehlende Glaube an Selbstwirksamkeit noch ausgeprägter.
Wenn Sie Gewichtsprobleme in den Griff bekommen wollen, dann sollten Sie Ihren Glauben an Selbstwirksamkeit wiederherstellen. Sie haben es in der Hand, Sie können den Lauf der Dinge, Sie können Ihr Körpergewicht ändern. Sie benötigen keine Ausrede, denn diese stellt sich nur Ihrer Selbstwirklichkeit in den Weg, ist aber für alle anderen durchschaubar.
Änderungen sind möglich
In unserem Gehirn sind die Nervenverbindungen, die wir ständig benutzen, vergleichbar mit einer gut ausgebauten Autobahn. Nervenverbindungen, die wenig benutzt werden, gleichen wenig begangenen Waldwegen. Wenn wir beginnen, öfter die Waldwege zu benutzen, wandeln sie sich langsam zu viel befahrenen Autobahnen.
Unser Gehirn ist also sehr veränderbar, es verfügt über die sogenannte neuronale Plastizität. Welche Autobahnen Ihr Gehirn ausbaut, das haben Sie selbst in der Hand.
Da unser Gehirn kein von Geburt an starr festgelegtes Organ ist, sondern ständig Modifikationen unterworfen wird, sind wir durchaus in der Lage, Dinge, die uns selbst betreffen, auch zu ändern. Mit diesem Wissen wird nun klar, dass jeder und jede die Chance hat, am eigenen Gewicht etwas zu ändern, da es möglich ist, durch kleine Umgestaltungen und Richtungswechsel ungesundes Essverhalten zu überwinden und Aktivität in den Tagesplan zu integrieren. Und das können auch Sie!
Heutzutage gibt es zahlreiche Kalorienzähl-Apps, die man sich kostenlos aufs Smartphone herunterladen kann. Haben Sie sich schon so eine App heruntergeladen? Sie werden dort nach Gewicht, Körpergröße, Alter und Geschlecht sowie nach Ihrem Aktivitätslevel gefragt, das Programm schätzt dann Ihren Grundumsatz sowie den täglichen Kalorienverbrauch durch Aktivität. Denn dieser Aktivitätsverbrauch ist ja bei jedem anders. Wenn es Ihnen nicht liegt, jeden Schokoriegel sofort im Smartphone abzuspeichern, können Sie alternativ das altbewährte Ernährungstagebuch verwenden.
Für irgendeine Form der Auflistung sollten Sie sich aber entscheiden, sonst wissen Sie nicht einmal, wo Sie eigentlich stehen. Dabei ist es ausgesprochen wichtig, wirklich ehrlich zu sich zu sein. Viele Ernährungsberatungen arbeiten auch heute noch mit einem Tagebuch, lassen sich das Tagebuch von den Klienten und Klientinnen aber nicht zeigen, um das Ergebnis nicht zu verfälschen.
Denn wissen die Betroffenen, dass das Tagebuch anschließend gelesen wird, essen sie schon während der Aufzeichnungsdauer weniger. In der Fachsprache nennt man eine derartig motivierte Verhaltensänderung einen sogenannten Bias.
Die Smartphone-Apps haben den Vorteil, dass Sie nicht mühsam jede Kalorie, die Sie aufgenommen haben, selbst berechnen müssen, sondern die App erledigt das für Sie. Manche dieser Apps haben ebenfalls einen Abschnitt, bei dem man seine Bewegungseinheiten eintragen kann. Von daher raten wir Ihnen zu einer App-Erfassung, da es Ihnen die Status-quo-Erhebung deutlich erleichtert.
Noch ein abschließendes Wort zum Thema „Ehrlichkeit sich selbst gegenüber“. Ehrliche Introspektion (nach innen gerichtete Beobachtung) und Selbstreflexion (über sich selbst nachdenken) sind wichtige Elemente der Psychoanalyse, aber auch wichtige Elemente einer gesunden Lebensführung.
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