Munira Abdulla fiel nach einem Autounfall ins Koma, für 27 Jahre. Heute ist sie wieder bei Bewusstsein. Die gesamte Zeit an ihrer Seite: Sohn Omar. Jetzt erzählt der inzwischen 32-Jährige, wie er für seine Mutter sorgte und sie mit Youtube-Videos am Leben außerhalb der Klinik teilhaben ließ.
Omar Webair war vier Jahre alt, als seine Mutter ins Koma fiel. Auf dem Nachhauseweg von der Vorschule übersah sein Schwager einen Schulbus, Omar und seine Mutter saßen auf der Rückbank des Autos. Die Fahrzeuge kollidierten. Als Omars Mutter den Crash kommen sah, warf sie sich schützend auf ihren Sohn. Der kam mit Schrammen davon. Sie erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, fiel ins Koma – und wachte 27 Jahre nicht wieder auf. Bis jetzt, wie Webair diese Woche der arabischen Zeitung „The National“ erzählt hat. In einer Klinik in Bad Aibling, einem kleinen Ort 50 Kilometer südöstlich von München.
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„Meine Kindheit war überschattet von dem, was meiner Mutter passiert ist“
Dass seine Mutter im Koma liegt, davon erfuhr der Junge jedoch erst deutlich später, wie er nun im Interview mit der „Bild“-Zeitung erklärt. „Nach dem Unfall hat mich meine Familie ein ganzes Jahr im Unklaren gelassen. Niemand sagte mir, wo meine Mutter war“, erzählt der inzwischen 32-Jährige. Genauso alt war seine Mutter, als 1991 der Unfall in der arabischen Oasenstadt Al Ain unweit der Grenze zum Oman passierte.
„Ich habe viel geweint und sie vermisst“, sagt Webair. „Erst nach diesem Jahr offenbarten mir meine Verwandten, dass ich meine Mutter im Krankenhaus besuchen könne. Sie so zu sehen, war ein riesiger Schock für mich. Meine Kindheit war überschattet von dem Unfall und dem, was meiner Mutter passiert ist.“ Omar Webair
Seither besuchte Omar seine Mutter jeden Tag im Krankenhaus, begleitet von seiner Großmutter, wie er sagt. Stunden verbrachte er an ihrem Bett. Wie Gold seien die für ihn gewesen, erzählt er im Interview mit „The National“. „Je mehr Zeit verging, desto wertvoller wurde sie für mich.“
„Wir zogen Mama jeden Tag etwas Schönes an“
Über die Jahre suchte die Familie in ihrem Heimatland vergeblich Hilfe in verschiedensten Krankenhäusern. Auch Ärzte aus London konnten Munira Abdulla nicht helfen. Sie machten Omar genauso wie die Mediziner in den Emiraten wenig Hoffnung, dass seine Mutter je wieder aufwachen würde.
Damit ihre Muskeln nicht verkümmerten oder verkrampften, bewegten Physiotherapeuten Munira Abdullas Körper. Ernährt wurde sie über eine Magensonde. Omar und seine Oma kümmerten sich auf ihre ganz eigene Weise: „Wir zogen Mama jeden Tag etwas Schönes an. Es verging kein Tag, an dem ich ihr nicht die Haare kämmte. Ich wusste, dass sie mich jeden Tag hörte“, sagt er gegenüber der „Bild“. Omar Webair
All das machte es dem inzwischen erwachsenen Mann zeitweise schwer seinem Job nachzugehen, erzählt er weiter. Doch bereut habe er die viele Zeit nie, die er am Bett seiner Mutter verbrachte. „Ich glaube, Gott hat mich vor größerem Unheil bewahrt, weil ich für sie da war“, sagt Omar im „The National“-Interview.
„Jedes Mal, wenn ich ging, stellte ich ihr ein Handy hin und ließ Videos bei Youtube laufen“
Im April 2017 hörte der Kronprinz von Abu Dhabi, Mohamed Bin Zayed, von Muniras Fall und bewilligte der Familie ein Darlehen, um sich in Deutschland behandeln zu lassen. Das Land, das für viele Araber für die beste medizinische Versorgung weltweit steht.
Von alldem bekam Omar Webairs Mutter nichts mit. Trotzdem versuchte Omar sie am Leben außerhalb des Krankenhauses teilhaben zu lassen – mit Youtube-Videos, wie er im Interview mit der „Bild“ erzählt. „Auch im Koma hatte sie ihre Augen geöffnet. Ich war Tag und Nacht bei ihr, verließ sie nur zum Arbeiten oder wenn ich zur Schule ging. Jedes Mal, wenn ich ging, stellte ich ihr ein Handy hin und ließ Videos bei Youtube laufen. Manchmal waren es Filme, aber am besten gefielen ihr Videos über den Koran. Ich wollte nicht, dass sie sich langweilt. Sie sollte auch weiterhin an der Welt teilhaben können.“
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Omar sei der Einzige gewesen, der während dieser Zeit zu seiner Mutter durchdringen konnte, erzählt er weiter. Als er bald nach der Verlegung in die Spezialklinik in Bad Aibling das Gefühl hatte, Munira würde in absehbarer Zeit wieder zu sprechen beginnen, hielten die Ärzte das für Wunschdenken. Auch sie glaubten nicht, noch mehr für Omars Mutter tun zu können, wie Chefarzt Friedemann Müller im Gespräch mit FOCUS Online erklärt.
„Seit Jahren hatte ich von diesem Moment geträumt“
Ein Jahr, nachdem die Araberin in die Klinik eingeliefert worden war, allerdings passierte das Wunder, auf das Omar so lange gehofft hatte: „Sie gab komische Geräusche von sich“, erzählt er. „Ich rief wiederholt nach den Ärzten, dass sie sie untersuchen sollten. Sie sagten, alles wäre normal.“ Omar wachte weiterhin am Bett seiner Mutter, schlief sogar dort. „Dann, drei Tage später, wachte ich auf, weil jemand meinen Namen rief“, sagt er. „Das war sie! Meine Mutter rief meinen Namen. Seit Jahren hatte ich von diesem Moment geträumt und mein Name war das erste Wort, das sie sagte“, erinnert sich Omar. „Als sie aufwachte, war es, als ob sie den Unfall noch einmal durchlebte und dann aufwachte.“
Seitdem hat sich der Zustand von Omars Mutter weiter verbessert. Inzwischen ist die Familie in ihre Heimat Abu Dhabi zurückgekehrt. Munira Abdulla wird in einer Spezialklinik vor Ort betreut. Sie ist bei Bewusstsein, Omar kann wieder mit ihr kommunizieren – jedoch nicht uneingeschränkt. „Sie reagiert nur auf meine Stimme“, erklärt ihr Sohn gegenüber der „Bild“ – sowie „auf Fragen, die mit Gefühl gestellt werden. Wenn Ärzte ihr nüchterne Fragen stellen, antwortet sie so gut wie nie.“
Dass die Welt über das Medizin-Wunder staunt, dass ihr passiert ist, nimmt Munira wahr, sagt Omar. Im Interview lässt sie ausrichten: „Sie betet für jeden, der an sie denkt. Wir danken Deutschland für die medizinische Hilfe.“
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