Modellrechnung zeigt: Wenn wir vorschnell lockern, könnte das den Impf-Effekt gefährden

Zu wenig Impfstoff, Termin-Ärger und gefrustete Senioren: Der Corona-Impfstart in Deutschland verlief alles andere als glatt. Allmählich aber steigen die Zahlen: Mehr als 2,2 Millionen Menschen sind in Deutschland bisher vollständig gegen das Coronavirus geimpft worden. Insgesamt knapp 6,6 Millionen Impfstoffdosen wurden verabreicht, erste Dosen miteingeschlossen. Jede Woche kommen derzeit eine Million weitere Impfungen hinzu. Vorrang haben über 80-Jährige, medizinisches Personal mit hohem Ansteckungsrisiko und Altenpfleger. In einem nächsten Schritt sind 75- bis 80-Jährige an der Reihe. Das Alter für eine Impfberechtigung wird dann stufenweise immer weiter herabgesetzt.

Gefahr durch Mutanten


Die Zahlen steigen wieder – was wir jetzt tun müssen, um die dritte Welle noch aufzuhalten

Die Impfungen sollen schwere Covid-19-Verläufe verhindern und Kliniken sowie Intensivstationen entlasten. Auch kann die wachsende Immunisierung der Bevölkerung Einfluss auf die Fallzahlen und die Sieben-Tages-Inzidenz nehmen. Beide Werte stehen im Fokus der aktuellen Lockerungs-Diskussion.

Doch wie stark könnten die Impfungen das Wachstum der Fallzahlen in den kommenden Wochen ausbremsen? Das "Science Media Center" (SMC) hat dafür vier unterschiedliche Szenarien aufgestellt. Wichtig zu wissen: Es handelt sich dabei nicht um exakte Prognosen, sondern um Beispielrechnungen, die auf bestimmten Annahmen basieren. Welche das im Detail sind, können Sie hier nachlesen. 

Was uns ohne Impfungen bevorstehen könnte

Das erste Szenario zeigt, wie sich die Fallzahlen ohne bremsenden Effekt der Impfungen entwickeln könnten. Realistisch ist das aber nicht. Die Berechnungen führen stattdessen eindrucksvoll den Effekt der ansteckenderen Mutante B.1.1.7 vor Augen, selbst wenn geltende Lockdown-Maßnahmen beibehalten würden.

Die Mutante verbreitet sich in der Beispielrechnung weiterhin stark mit einem wöchentlichen Wachstum von 40 Prozent, wie zuletzt beobachtet. Die Ursprungs-Corona-Variante ("andere Varianten") wird durch die Lockdown-Maßnahmen immer stärker zurückgedrängt (minus 20 Prozent pro Woche). B.1.1.7 reißt schließlich die Gesamtinzidenz nach oben. Ab etwa Mitte April könnte die Inzidenz die 200er-Marke übersteigen. Der bisherige Inzidenz-Höchstwert aus dem Dezember wäre damit überschritten. 

Impfungen bremsen die Fallzahlen ab Anfang April

Der Vergleich zwischen Szenario 1 und Szenario 2 zeigt, wie stark die Impfungen das Wachstum der Fallzahlen ausbremsen könnten. Der Effekt greift in dieser Berechnung ab Anfang April – also Ostern. Die Kurve mit der Gesamtinzidenz verläuft deutlich flacher als in Szenario 1.

Der Zeitpunkt, ab dem ein Effekt der Impfungen greifen könnte, deckt sich weitgehend mit Aussagen von Christian Drosten, Virologe an der Berliner Charité. Anfang Februar hatte er im NDR-Podcast "Das Coronavirus-Update" erklärt, dass für die Zeit bis Ostern nicht viel an Bevölkerungsschutz durch die Impfungen erwartet werde könne. Die Impfungen würden aber Risikogruppen schützen. "Das nimmt Sterblichkeit weg", so Drosten. 

Best Case – Impfungen und jahreszeitlicher Effekt bremsen

Die Inzidenz-Kurve verläuft in diesem Szenario noch ein wenig flacher. Die Berechnung beruht auf der Annahme, dass der bremsende Effekt zehn Tage früher als in Szenario 2 eintritt. "Gründe könnten hier zum Beispiel ein jahreszeitlicher Effekt oder beschleunigte Impfungen sein", schreibt das "Science Media Center". 

Interessant: Ein neuer Inzidenz-Höchstwert kann in diesem Szenario vermieden werden.

Lockerungen und Impfungen

Szenario 4 ist besonders beunruhigend. Der Effekt der Impfungen entspricht Szenario 2 und greift ab Anfang April. Durch Lockerungen oder verändertes Verhalten der Bevölkerung steigt das wöchentliche Wachstum leicht um zehn Prozentpunkte. Die Mutante B.1.1.7 liegt damit bei 50 Prozent, die übrigen Varianten bei zehn Prozent. In der Folge schnellt die Inzidenz stark nach oben.

"Schon leichte Veränderungen durch Lockerungen oder verändertes Verhalten der Bevölkerung können dazu führen, dass Inzidenzen stark steigen, noch bevor ausreichend geimpft werden konnte, um das Wachstum zu bremsen", schreibt das SMC. Aus der vereinfachenden Beispielrechnung gehe hervor, dass die aktuelle Situation "stark auf Kante" genäht sei.

Genauer Verlauf schwer vorherzusagen

Wie sich die Fallzahlen in den kommenden Wochen konkret entwickeln werden, ist zum aktuellen Zeitpunkt jedoch kaum seriös vorherzusagen, das betont auch das SMC. Zu viele Unsicherheiten fließen in die Berechnungen ein. 

"Ein höheres Wachstum durch Lockerungen oder verändertes Verhalten könnten auch Wachstumsraten verursachen, die schneller verlaufen als die in Szenario 4 dargestellten", schreibt das SMC. "Umgekehrt könnte ein saisonaler Effekt das Wachstum stärker bremsen als in Szenario 3 angenommen."

Klar ist aber: Das Wachstum der Fallzahlen wird sich mit zunehmender Impfquote abschwächen.

Quelle:Robert Koch-Institut (RKI) / Science Media Center

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