Runter mit den Masken, die Pandemie ist vorbei. Karl Lauterbach hat sie offiziell für beendet erklärt. Was uns geblieben ist und bleiben wird, sind die Lieferengpässe, die er auch mit seinem neuen Gesetz nicht in den Griff bekommen wird. Schon gar nicht durch seine Engpass-Almosen und Bürokratie-Regelungen für uns Apothekers. So geht’s nicht weiter, sagt auch die ABDA und will die Politik wachrütteln mit Protesten und Aktionen. Die Mehrarbeit, die die Politik von uns für Almosen erwartet, gepaart mit einer Geringschätzung, die sie uns entgegenbringt, ist erneut ein Höhepunkt auf der Negativseite der Beziehung zwischen Politik und Apothekerschaft. Was in aller Welt sind wir und unsere apothekerliche Tätigkeit den Gesundheitspolitikern wert? Trotz allem: ein frohes Osterfest!
3. April 2023
Die Pandemie ist vorbei – Karl Lauterbach hat sie offiziell für beendet erklärt. Und am Karfreitag in dieser Woche laufen auch die letzten bundesweiten Maskenpflichten im Gesundheitswesen aus. Noch lange nicht vorbei sind die Lieferengpässe. Und auch das Lieferengpassgesetz (ALBVVG) des Bundesgesundheitsministers wird daran wohl wenig ändern können. Allein schon deshalb sollten die erleichterten Austauschregelungen aus den Pandemiezeiten beibehalten werden. Wenn Arzneimittel nicht lieferbar sind, muss die Apotheke bestimmte Freiheiten haben, die nicht lieferbaren Arzneimittel gegen vorhandene oder beschaffbare Arzneimittel auszutauschen, sofern dies möglich ist. Sonst lässt sich die Versorgung der Versicherten nicht aufrechterhalten. Diese erleichterten Austauschregeln gefallen allerdings nicht allen: Die AOK Rheinland/Hamburg z. B. sieht das skeptisch. Sie erklärt dazu, diese Regelungen seien nicht geeignet, „aktuellen und zukünftigen Herausforderungen in der Medikamentenversorgung zu begegnen“. Die Kasse beobachte, dass die Ausnahmeregelungen deutlich häufiger genutzt würden, als es die bestehenden oder gemeldeten Lieferengpässe erwarten ließen, es würden deutlich teurere Arzneimittel abgegeben. Mein liebes Tagebuch, im Klartext heißt dies: Die Kasse misstraut den Apotheken. Nun ja, Kassenvertreter sollten mal einen Tag in einer Apotheke erleben, wie und was ausgetauscht wird, welche Mühen es bereitet und wie trotz aller Engpässe die Apotheken versuchen, die Versicherten zu versorgen. Möglich, dass da mal das eine Ersatzpräparat ein paar Cent teurer ist, ein anderes vielleicht sogar günstiger. Aber hier den Apotheken mit Skepsis bei den erleichterten Austauschregeln zu begegnen, ist nicht angebracht. Man sollte sich dabei auch diese Zahl ins Bewusstsein rufen: Im vergangenen Jahren sparten die Kassen mehr als 5,54 Milliarden Euro durch die mit den Arzneimittelherstellern vereinbarten Rabatte, rund 500 Mio. Euro mehr als ein Jahr zuvor. Hallo, ihr Kassen, dann lasst es mal gut sein, und ermöglicht den Apotheken die kleine Erleichterung beim Austausch von nicht lieferbaren Arzneimitteln. Und übrigens, die Apotheken sind nicht schuld daran, dass es Lieferengpässe gibt…
4. April 2023
Das Soft- und Hardwarehaus Noventi, die Unternehmensgruppe, die zu 100 Prozent apothekereigen ist, muss sparen. Und zwar richtig viel. Und daher muss auch das Luxusangebot von derzeit fünf Warenwirtschaftssystemen auf den Prüfstand. Klar, es hat sich im Lauf der Jahre durch Übernahmen und Zukäufe so ergeben, jede Apotheke konnte zunächst ihr System behalten oder auswählen: Asys, Awinta-One, Infopharm, Jump, Pharmasoft, Prokas – was hätten S’ gern? Schon bald gab es Versuche, einen großen Sprung zu machen und alle User auf das intern favorisierte System Jump umzustellen. Der Protest der Anwender war zu erwarten: Ein Warenwirtschaftssystem wechselt man nur ungern. Auch der nächste Versuch, Awinta-One als das One-and-only-System schmackhaft zu machen, scheiterte. Nach langem Ringen wurde dann erstmal Asys beerdigt. Dann ein neuer Anlauf: Anfang des Jahres hieß es, die Produktlinien Infopharm, Jump und Pharmasoft sollen lediglich in Betrieb gehalten, aber nicht mehr ausgebaut werden. Diese Systeme sollten „durch einen Verkauf erhalten werden“, wie das Unternehmen wissen ließ. Ist offensichtlich nicht gelungen. Denn jetzt lautet die aktuelle Meldung: Pharmasoft soll Ende des Jahres eingestellt werden. Es soll bereits Angebote an die Pharmasoft-Kunden für einen Umstieg auf andere Systeme geben, z. B. auf Awinta-One oder Prokas. Mein liebes Tagebuch, wie es definitiv weitergehen wird, ist noch nicht wirklich auszumachen. Ob sich das Angebot auf Awinta-One und Prokas konzentrieren wird und ob sich Anwender von Jump und Infopharm auch schon mal mit einem Wechsel anfreunden sollten – die nächsten Monate werden es zeigen.
Personalwechsel beim Deutschen Apothekerverband (DAV): Der Vorsitzende Thomas Dittrich tritt aus gesundheitlichen Gründen mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurück. Bis zur Wahl eines neuen Vorsitzenden übernimmt Dr. Hans-Peter Hubmann, derzeit DAV-Vize, das Amt. Den Sächsischen Apothekerverband wird Dittrich jedoch als Vorsitzender weiterführen. Mein liebes Tagebuch, wer sich als neuer Kandidat für den DAV warmläuft, ist noch offen. Feststeht schon heute: Ein einfacher Job wird es nicht. Die anstehenden wirtschaftlichen Herausforderungen sind, mal einfach ausgedrückt, „mega“: Der vor Kurzem veröffentlichte Forderungskatalog der ABDA gibt die Richtung vor. An erster Stelle steht die Forderung nach einer Honoraranpassung, dann die Forderung nach einer Pauschale für jede Betriebsstätte, die Reduzierung von Retax und der Abbau von Bürokratie, ein adäquater Engpass-Ausgleich und vieles mehr.
5. April 2023
Das Bundeskabinett hat Lauterbach schon mal hinter sich gebracht, es hat seinen Entwurf für das Lieferengpass-Gesetz beschlossen. Apothekers Hoffnungen, dass das Kabinett Verständnis für die Apotheken zeigt und den 50-Cent-Zuschlag für den Austausch von Engpass-Arzneimitteln genauso geringschätzig sieht wie wir Apothekers, hat sich nicht erfüllt: Im Gesetzentwurf sind unverändert 50 Cent für diese Arbeit der Apotheken vorgesehen. Auch die vorgesehenen Austauschregelungen sind geblieben (Austausch erst, wenn zwei unterschiedliche Verfügbarkeitsanfragen bei vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlungen nichts gebracht haben). Geblieben ist auch die Retax-Gefahr, wenn ausgetauscht wird. Mein liebes Tagebuch, dumm gelaufen für die Apotheken. Zu allem Verdruss schwurbelte der Bundesgesundheitsminister noch immer von einer Engpass-„Liste“ des BfArM, an die die erweiterten Austauschregeln geknüpft seien – kennt er seinen neuesten Entwurf nicht? Wirklich neu ist im Kabinettsbeschluss allerdings, dass nun auch der Großhandel mit 50 Cent (nicht rabattfähig) bedacht werden soll, wenn die Apotheken ein nicht verfügbares Arzneimittel austauschen. Mein liebes Tagebuch, nicht dass wir dem Großhandel die 50 Cent nicht gönnen, aber im Vergleich dazu erscheint die 50-Cent-Apothekenvergütung angesichts der Arbeitsbelastung nun erst recht wie ein Almosen. Mein liebes Tagebuch, unser Fazit: Die Geringschätzung der Apotheken durch die Politik kennt keine Grenzen.
So schnell wie selten hat die ABDA auf die Vorstellung eines Regierungsentwurfs reagiert: Noch während Lauterbach sein Machwerk vorstellte, kam Kritik von der ABDA, sie kündigte Protest an. Die Beschlussvorlage enthalte „erhebliche inhaltliche Mängel“. Mit dem Gesetz werden, so die ABDA in aller Deutlichkeit, „Lieferengpässe bei Medikamenten leider auf absehbare Zeit nicht zu vermeiden sein und müssen deshalb in den Apotheken effizient gemanagt werden“. Mit diesem Kabinettsentwurf sei die Chance vertan, die Arzneimittelversorgung langfristig abzusichern. Für ABDA-Vize Mathias Arnold ist es klar, dass dieses Engpass-Gesetz die Probleme nicht lösen wird. Er wandte sich mit deutlichen Worten gegen die Verfügbarkeitsanfragen beim Großhandel, er forderte Retaxationssicherheit und die Möglichkeit, auch jederzeit Rezepturen und Defekturen selbst herzustellen, wenn kein industrielles Arzneimittel lieferbar ist. Und ja, „als Engpass-Ausgleich für den Personal- und Zeitaufwand brauchen wir keinen zweistelligen Cent-Betrag, sondern einen zweistelligen Euro-Betrag“, so Arnold. Die Ankündigung der ABDA: „Wir werden die Gesundheitspolitik in Berlin mit Protesten und Aktionen wachrütteln. Apotheken kaputtsparen? Mit uns nicht!“.
50 Cent für den Großhandel extra, wenn die Apotheken Lieferengpass-Management machen –klar, das freut den Großhandel, ein Geschenk der Regierung. Könnte man meinen, mein liebes Tagebuch. Doch so einfach es nicht. Der Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels (Phagro) klärt auf, dass für den Großhandel hier durchaus viel Arbeit anfällt, wenn die Apotheke austauscht, um nur einiges zu nennen: „Suche nach alternativen Beschaffungswegen, Recherchieren von Substituten, Qualifizierung neuer Lieferanten, Aufbau adäquater Lagerbestände und Neukonzipierung von Lagervorgängen“ usw. Also mein liebes Tagebuch, wir gönnen die 50 Cent dem Großhandel. Aber, wie gesagt, im Vergleich dazu sollte die Apothekenvergütung in der Tat im zweistelligen Euro-Bereich liegen.
Doch nicht nur die ABDA und wir Apothekers schäumen vor Unverständnis über den Regierungsentwurf des Engpass-Gesetzes (ALBVVG): Die Pharmaindustrie kocht! Unisono beklagen die Pharmaverbände, dass der Gesetzentwurf die grundlegenden Probleme unberücksichtigt lasse. Der Entwurf sei ein Brandbeschleuniger, gehe an den Problemursachen vorbei, sei halbherzig und kompliziert. Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller bemängelt, dass es sich „um halbherzige, komplizierte Maßnahmen allenfalls zu Teilaspekten“ handelt. Es gebe keine Aussagen zur geforderten „Diversifizierung in den Lieferketten aller Arzneimittel“ und „einer umfassenden Verringerung von Abhängigkeiten“. BAH und auch der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) fürchten zudem zusätzliche Belastungen durch erhöhte Anforderungen bei der Bevorratung. Der BPI: „Das ALBVVG ist der politische Versuch, die Symptome eines kaputt gesparten Systems zu behandeln, ohne jedoch an der ursächlichen Wurzel von Fehlanreizen in der gesamten Grundversorgung anzusetzen.“ Und der Verband Pro Generika kritisiert, dass das Gesetz sich nur auf Kinderarzneimittel und Antibiotika beziehe. Mein liebes Tagebuch, kann diese massive Kritik an Lauterbach abprallen? Wir hoffen auf den weiteren parlamentarischen Weg.
Nicht nur Apothekers und Pharmaindustrie sind mehr als unzufrieden mit dem ALBVVG. Schon im Vorfeld der Vorstellung des Regierungsentwurfs macht der GKV-Spitzenverband klar: Mehr Geld für die Pharmaindustrie werde die Versorgung nicht verbessern. Der Kassenverband zeigt sich überzeugt, dass „die Pharmaunternehmen die Versorgung mit unterschiedlichen Arzneimitteln bisher nicht aus eigener Kraft zuverlässig sicherstellen können“ und es sei richtig, dass die Politik die Probleme bei Lieferengpässen angehe. Aber mehr Geld für die Industrie löse die Probleme nicht, ebenso wenig wie Arzneimittel aus europäischen Nachbarländern abzuziehen. Mein liebes Tagebuch, dass der GKV-Spitzenverband sich mal selbst einen Spiegel vorhält und erkennt, dass seine Rabattvertragspolitik entscheidend zu den Engpässen und der Versorgungsmisere auf dem Arzneimittelmarkt beigetragen hat, kommt ihm leider nicht in den Sinn.
Zu all den Geringschätzungen und Mehrarbeiten, die das Engpass-Gesetz für uns Apothekers mit sich bringt, soll noch eine weitere Abwertung des Apothekerberufs kommen – im Pflichttext für die Arzneimittelwerbung sollen die Wörter „…und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ durch die Wörter „und fragen Sie Ihre Ärztin, Ihren Arzt oder in Ihrer Apotheke“ ersetzt werden. Hintergrund ist eine genderkonforme Gestaltung des Pflichttextes, die prinzipiell zu begrüßen ist. Aber während ausdrücklich die Ärztin und der Arzt genannt werden, die man zu Risiken und Nebenwirkungen fragen soll, spielen die Apothekerin, der Apotheker im Pflichttext keine Rolle mehr – sie werden durch die Institution Apotheke ersetzt. Die ABDA hatte bereits im Vorfeld kritisiert, dass die Apothekerinnen und Apotheker als Berufsstand gegenüber der Ärzteschaft herabgewürdigt und auf keinen Fall als Heilberuf gleichgestellt würden. Denn nach wie vor sei es doch entscheidend, dass eine Apothekerin, ein Apotheker kontaktiert werde. Freilich gibt es den Einwand, dass auch PTA beraten dürfen, aber da verweist die ABDA darauf, dass die Abgabeberatung zu Arzneimitteln grundsätzlich Apothekern oder Apothekerinnen der Apotheke zugewiesen sei und nur nach ausdrücklicher Festlegung durch den Apothekenleiter auch von anderen Angehörigen des pharmazeutischen Personals erbracht werden dürfe. Dieser Argumentation halten die Macher des neuen Pflichttextes entgegen, dass der Erwerb eines Arzneimittels in der Apotheke nicht durch eine bestimmte Person erfolgt, während dagegen wohl die Patientin, der Patient einen festen Bezug zu seiner Ärztin, seinen Arzt haben dürfte. Mein liebes Tagebuch, kann man so sehen, muss man aber nicht. Und nun? Sollen wir uns mal nicht so haben und großzügig darüber hinweg sehen, dass die Apotheke eher als Institution wahrgenommen wird? Oder ist es doch der politische Zeitgeist, die Apotheke mal eben geringer einzustufen, siehe 50 Cent-Angebot?
6. April 2023
Die ABDA hat sich zwar postwendend zum Regierungsentwurf des Lieferengpass-Gesetzes geäußert und wissen lassen, dass sie damit überhaupt nicht einverstanden ist und „die Politik wachrütteln“ will. Aber auch Apothekerverbände melden sich zu Wort und legen nach. Thomas Preis, Chef des Apothekerverbands Nordrhein stellt klar, dass die Regelungen im Gesetzentwurf „bei weitem nicht ausreichend“ seien. Es sei „unbegreiflich“, dass der Großhandel wie die Apotheken mit 50 Cent bei der Bewältigung der Lieferenpässe vergütet werden soll. Mit Blick auf die Apotheker spricht Preis von einer „almosenartigen Vergütung“. Das zeige, wie „geringschätzig der Einsatz der Apotheken im Ministerium bewertet wird“. Auch Thomas Rochell, Chef des Apothekerverbands Westfalen-Lippe, sieht im Gesetzentwurf keine Lösungen für die Lieferengpässe. Die Apotheken bräuchten nicht weniger Handlungsmöglichkeiten als in Pandemiezeiten, im Gegenteil: Rochell fordert mehr Handlungsspielräume und keine neuen Dokumentationspflichten und bürokratische Anforderungen und schon gar nicht eine größere Retaxgefahr. Und ja, auch Rochell mahnt eine faire Honorierung an und „nicht nur Engpass-Almosen“.
Ostern 2023
Mein liebes Tagebuch, mit diesen wenig schönen Aussichten gehen wir nun in die Ostertage. Schöne Aussichten auf die Apothekenzukunft sehen gewiss anders aus als Engpass-Maloche und Engpass-Almosen, die drohenden Retaxgefahren bei Austauschregelungen und die Geringschätzung der apothekerlichen Arbeit durch die Politik (seit 20 Jahren keine adäquate Honorarerhöhung!) und ein neuer Pflichttext, in dem wir Apothekers nur als Institution Apotheke vorkommen (Apotheken, von denen jährlich 300 bis 400 schließen müssen). Aber schwarz sehen hilft nicht. Seien wir selbstbewusst und nehmen wir Herausforderungen an: Die Apothekerinnen, die Apotheker, die PTA und die PKA, das gesamte Apothekenteam, sie alle machen einen verdammt guten Job. Die Arzneimittelversorgung, die Belieferung trotz Engpässe, die Beratung, die Dienstleistungen und das Medikationsmanagement sind Spitze! Darauf können wir stolz sein.
Liebe Leserinnen und Leser des lieben Tagebuchs, ich wünsche Ihnen entspannte und erholsame Ostertage und Zeit zum Kraft-Tanken für alle kommenden Herausforderungen. Ostern hat nichts mit Aufgeben zu tun, sondern mit Weitermachen und Hoffnung. Frohe Ostern!
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