60 Milliarden Euro weg – das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hat das politische Berlin erschüttert. Mit dem Geld sollte die Umstellung der Energieversorgung bewerkstelligt werden, profitieren sollte davon auch die Pharmaindustrie. Wie reagierte sie auf die Nachrichten aus Karlsruhe?
Nicht zuletzt durch die teils dramatischen Arzneimittellieferengpässe im vergangenen Jahr sind die Produktionsbedingungen der Pharmaindustrie in Deutschland, aber auch in der EU in den Vordergrund des Interesses gerückt. Wegen der niedrigen Abnahmepreise rechnet es sich insbesondere nicht, Generika herzustellen. Am Ende sind es die Apothekenteams, die für den Mangel mit einem erheblichen Mehraufwand Lösungen finden müssen.
Die Politik verspricht immer wieder, sich des Problems anzunehmen. Ende Oktober beispielsweise setzte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ein Strategiepapier auf: „Industriepolitik in der Zeitenwende“. Darin heißt es unter anderem, dass die „Attraktivität des Pharmastandorts Deutschland“ gesteigert werden soll. Die Pharmaindustrie wird als „starke Treiberin der Innovation“ bezeichnet. Dennoch: Die Pharmaverbände sparten im Anschluss mit Lob. Sie trauten dem Braten nicht.
Mit gutem Grund, wie sich jetzt wieder zeigt. Ein am Mittwoch bekanntgewordenes Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hat die Verunsicherung in der Branche noch einmal erhöht. Karlsruhe entschied, dass es verfassungswidrig ist, wenn die Bundesregierung nicht genutzte Sonderkredite aus der Pandemiezeit in Höhe von 60 Milliarden Euro für den sogenannten Klima- und Transformationsfonds (KTF) verwendet. Das Geld war auch für die energieintensive Industrie, darunter Pharmaunternehmen, vorgesehen.
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Dabei geht es um das Haushaltsjahr 2021. Aufgrund der Notsituation durfte der Bund trotz Schuldenbremse zusätzliche Kredite aufnehmen. Letztlich wurden sie aber nicht verbraucht und sollten im Rahmen des KTF beispielsweise für die Übernahme der Ökoenergie-Umlage und damit die Senkung der Stromkosten für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Förderung von Gebäudesanierung umgewidmet werden. Und: Auch die energieintensive Industrie in Deutschland, die unter den Bedingungen der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufenen „Zeitenwende“ besonders leidet, sollte durch die Gelder entlastet werden. Für das Jahr 2024 waren insgesamt 2,6 Milliarden Euro für sie veranschlagt.
Habeck: Arbeitsplätze in Industrie bedroht
Wie aber nun die Konsequenzen genau aussehen, darüber herrschte Ratlosigkeit. Scholz sagte in Berlin, das Urteil habe möglicherweise Auswirkungen auf die Haushaltspraxis nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern. Die Opposition sieht die Regierung am Ende. So sagte der CSU-Vorsitzende Markus Söder, die Entscheidung Karlsruhes sei ein schlimmer Tag für die Regierungsfähigkeit in Deutschland und ein Desaster für die Ampel. „Und eigentlich ist damit jede Legitimation vorbei, weiter regieren zu können. Im Grunde genommen kann eine Regierung so nicht weitermachen.“
Habeck erklärte in einer am Donnerstagabend in den sozialen Medien verbreiteten Videobotschaft, das Urteil sei „ohne Frage ein Rückschritt für all die Pläne, die gemacht wurden, die unterschriftsreif sind“. Die „industrielle Kraft dieses Landes“ sei bedroht und dies sei „natürlich auch eine Bedrohung der Arbeitsplätze in der Industrie“. Zuvor hatte er aber bereits versichert, dass alle Verpflichtungen eingehalten werden.
Finanzierung offen
Die Auswirkungen auf die Pharmaindustrie sind ungewiss. Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) erklärte gegenüber der DAZ, dass von den KTF-finanzierten Steuererleichterungen nicht nur die Großindustrie, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen profitiert hätten. „Nach dem Urteil ist offen, wie diese Finanzierung alternativ gesichert werden soll.“
Demgemäß ist die Zurückhaltung in der Industrie groß. Man könne die Auswirkungen des Urteils noch nicht einschätzen, hieß es beispielsweise von Sandoz gegenüber der DAZ, und müsse abwarten, wie es weitergeht. Auch Bayer erklärte, dass man angesichts der „unklaren Lage“ noch nicht sagen könne, was die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes für das Unternehmen bedeute.
Norbert Theihs vom Verband der chemischen Industrie sagte am Donnerstag bei Welt-TV, man stehe vor „ziemlichen Herausforderungen“. Die Unternehmen hätten sich auf das Geld eingestellt, das die Umstellung auf erneuerbare Energien ermöglichen sollte. Die Industrie wünsche sich nun vor allem „Verlässlichkeit“ für die Planung, denn es müssten jeden Tag Investitionsentscheidungen getroffen werden.
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