Ein französisches Bahnunternehmen will in Gebieten mit Ärztemangel den Zugang zu medizinischer Versorgung erleichtern. Dazu sollen Stationen für Telemedizin an Bahnhöfen eingerichtet werden. Der Gesundheitsminister zeigt sich überrascht, die Ärztekammer warnt vor einer Deregulierung des Gesundheitssystems.
Das französische Bahnunternehmen SNCF plant bis zum Jahr 2028, in rund 300 Bahnhöfen Stationen für Telemedizin einzurichten. Damit soll in Gebieten mit Ärztemangel der Zugang zur medizinischen Versorgung erleichtert werden, heißt es in einer Bekanntmachung des Unternehmens von Mitte November. Das Angebot richtet sich sowohl an Reisende, die auf ihren Zug warten, als auch an Menschen, die in der Nähe des Bahnhofs wohnen, aber keinen Arzttermin bekommen.
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In Frankreich herrscht ein noch stärkerer Ärztemangel als in vielen anderen europäischen Ländern. Nach Zahlen des statistischen Bundesamtes liegt die durchschnittliche Zahl von Ärzten pro 10.000 Einwohner in Deutschland bei 45, in Spanien bei 46, und in Griechenland sogar bei 60. In Frankreich liegt sie bei etwa 33 pro 10.000 Einwohner. Wie ein Gutachten des französischen Senats ergeben hat, leben zwischen 6 und 8 Millionen Franzosen (9 bis 12 Prozent der Bevölkerung) in sogenannten „Versorgungswüsten “(„déserts médicaux”). Das heißt, dass sie einen erschwerten Zugang zur medizinischen Diagnostik und Behandlung haben. In dem Gutachten waren verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen worden: Darunter war der Vorschlag, die Niederlassung von Medizinern stärker zu regulieren und gezielter zu steuern, aber auch der Einsatz von Telemedizin.
Nachfrage bei Kunden nach Gesundheitsangeboten
Laut SNCF sind Bahnhöfe deshalb als Standort für ein telemedizinisches Angebot geeignet, weil 90 Prozent der Bevölkerung weniger als zehn Kilometer von einem Bahnhof entfernt lebt. Es gebe zudem eine Nachfrage bei den Kunden nach Gesundheitsangeboten am Bahnhof, so das Unternehmen. Das Angebot werde die bereits bestehenden Angebote wie Bahnhofsapotheken, Labore und Gesundheitszentren an Bahnhöfen „komplettieren.”
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Telemedizin-Kabinen bald auch in deutschen Apotheken?
Wie die Eisenbahngesellschaft bekannt gab, sollen die geplanten Telemedizin-Stationen vom Anbieter „Loxamed” gestaltet werden, der während der Corona-Zeit in Frankreich viele mobile Testcenter aufgestellt hatte. Die Stationen werden sich von den Telemedizin-Kabinen der Anbieter Medom und Tessan unterscheiden, die bereits in französischen Apotheken aufgestellt werden dürfen. Darin untersuchen Patienten sich selbst, werden aber von einem Arzt, der sich online zuschaltet, dazu angeleitet. In den Stationen, die für die Bahnhöfe geplant sind, soll ebenfalls der Arztkontakt per Internet erfolgen. Zusätzlich wird aber eine examinierte Krankenschwester vor Ort sein und bei der Untersuchung assistieren.
Simulation mit Sprechzimmer und Wartezimmer
Die Telemedizin-Stationen im Bahnhof sollen auch deutlich größer sein, als die Kabinen zur Selbstuntersuchung. Eine Simulation zeigt eine Art Häuschen, in welchem ein Sprechzimmer und ein Wartezimmer untergebracht sind, in der Ecke steht ein Ständer mit Untersuchungsgeräten. In den telemedizinischen Stationen werden Instrumente wie Stethoskop, Ultraschall oder EKG mit einem Computer verbunden. Medizinische Daten können so direkt über ein gesichertes System an den Arzt geschickt werden. Außerdem sollen zum Beispiel Impfungen und Probenentnahmen zur Einsendung ins Labor möglich sein. Einen Termin für die telemedizinische Untersuchung werden Patienten nicht benötigen, abgerechnet werden kann die Telekonsultation über die französischen Krankenkassen. Die Pflichtversicherung und die Zusatzversicherung, über die meisten Franzosen verfügen, decken die Kosten ab.
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Unklar ist, ob der SNCF es berücksichtigen wird, wenn Bahnhofs-Apotheken vor Ort bereits über Telemedizin-Kabinen verfügen. Diese bedeuten für die Apotheken eine Investition, bei dem geplanten Angebot handelt es sich genau genommen um ein Konkurrenzprodukt. Auf Nachfrage von DAZ-Online teilte ein Sprecher des Unternehmens mit, der SNCF plane telemedizinische Stationen ja ausschließlich in „Versorgungswüsten”. Apotheken mit telemedizinischem Angebot gebe es in solchen Regionen nicht, daher könne auch keine Konkurrenz entstehen.
Mediziner kritisieren, die Ärztekammer ist beunruhigt
Kritik am Projekt des SNCF kam von französischen Mediziner-Organisationen. In einer Stellungnahme Ende November wirft die französische Ärztekammer dem SNCF vor, „falsche Prioritäten” zu setzen. Die Ärztekammer könne „nur ihre tiefe Beunruhigung ausdrücken” und warnt vor einer Deregulierung des Gesundheitssystems. Sie sehe die Gefahr einer noch stärkeren Ungleichheit in der Versorgung, wenn einige Gebieten nur mit Telemedizin am Bahnhof versorgt sind. Zudem würden Gebiete weit entfernt von Bahnhöfen gar nicht erreicht. Medizinisches Personal, das die Telekabinen betreut, werde erst Recht dort fehlen, wo es am dringendsten benötigt werde. Die Vorschläge des SNCF würden den Gesetzen zur öffentlichen Gesundheitsfürsorge nicht gerecht, heißt es weiter in dem offenen Brief der Ärztekammer. Die Ärztekammer forderte die französische Eisenbahngesellschaft auf, stattdessen die Anbindung abgelegener Gebiete zu verbessern, um sie für medizinische Personal attraktiver zu machen. Die Mediziner-Gewerkschaft UFML nannte die geplanten Kabinen „cabine à fric”, was so viel heißt wie Geldautomaten und warf dem Staat vor, es handele sich um „medicine low-cost” (Billigmedizin).
Der Gesundheitsminister zeigt sich überrascht
Der französische Gesundheitsminister Aurélien Rousseau sagte im Gespräch mit der Zeitung „Liberation”, er habe „noch keine endgültige Meinung” zu dem Projekt und wurde von der Bekanntmachung der SNCF offenbar überrascht. „Ich hätte es gut gefunden, wenn der SNCF mit mir spricht, ehe irgendetwas bekannt gegeben wird”, sagte der Minister. Die Erfahrung habe gezeigt, dass isolierte Telekonsultation-Kabinen, die nicht ins Versorgungssystem integriert sind, „nur mäßig erfolgreich seien“. Eine ärztliche Konsultation funktioniere „nicht wie ein Fotoautomat”. Solange eine Krankenschwester anwesend sei, könnten die Kabinen eine Nachfrage abdecken. Er glaube aber nicht, dass die Telekonsultation „die universelle Antwort auf den Zugang zur Versorgung“ sei.
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