Die unterschätzte Welt der Archaea

Im menschlichen Darm, auf unserer Haut und vielen Schleimhäuten befinden sich zahlreiche Mikroorganismen. Das Interesse der medizinischen Forschung gilt hauptsächlich Bakterien und Pilzen, da viele von ihnen an der Entstehung von Krankheiten beteiligt sind. Völlig unterschätzt, weil vermutlich nicht pathogen, sind dagegen die Archaea, die früher auch als Archebakterien oder Urbakterien bezeichnet wurden. Doch ihre Bedeutung scheint größer zu sein als vielfach angenommen.

Laut Prof. Christine Moissl-Eichinger von der Medizinischen Universität Graz (Österreich) werden die Archaea völlig zu Unrecht unterschätzt. Denn ihre Biomasse auf der Erde beträgt etwa ein Zehntel der Biomasse aller Bakterien und immerhin die Hälfte der Biomasse aller Pilze. Wie die Wissenschaftlerin in einem Vortrag auf dem 33. European Congress of Clinical Microbiology & Infectious Diseases (ECCMID), der vergangene Woche in Kopenhagen stattfand, erläuterte, wurden Archaea früher ausschließlich als Bewohner extremer Ökosysteme wie beispielsweise Vulkane oder heißer Quellen wahrgenommen. Doch seit den 1990-er Jahren weiß man, dass ihr Verbreitungsgebiet wesentlich größer ist. Sie bilden Lebensgemeinschaften mit Pflanzen, Tieren – vor allem Kühen und Schafen – und auch mit dem Menschen. Bisher wurden sie vor allem im Darm, in der Nase, auf der Haut und in der Vagina nachgewiesen. Ihr Entdecker, der US-amerikanische Mikrobiologe Carl Woese, hatte bereits Ende der 1970-er Jahre die Archaea als eine eigenständige taxonomische Einheit beschrieben. Neuere Forschungen zeigen, dass die Archaea mit den Eukaryoten vermutlich enger verwandt sind als mit den Bakterien (Prokaryoten).

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Als Bewohner des menschlichen Darms interagieren sie mit der Mikrobiota beispielsweise bei der Fermentation unverdaulicher Nahrungsbestandteile. Eine spezielle Gruppe der Archaea, die methanogenen Archaea wie Methanobrevibacter smithii, befindet sich am Ende des Verdauungstrakts und wandelt den von Darmbakterien gebildeten Wasserstoff in Methan um. Dieses Gas verlässt den menschlichen Körper einerseits durch die Darmgase, aber auch über den Atem. Bei ihren Studien machte die Arbeitsgruppe um Moissl-Eichinger eine interessante Entdeckung: Es scheint Menschen zu geben, die in ihrem Darm relativ wenige Archaea beherbergen und deshalb nur wenig Methan in die Umwelt abgeben. Dagegen könnten etwa 20 Prozent der Mitteleuropäer „Super-Carrier“ von Archaea zu sein. In ihrem Atem fanden die Wissenschaftler Methankonzentrationen von mehr als 5 ppm. Zur Bedeutung einer dichten Besiedlung mit methanbildenden Archaea gibt es bislang nur Hypothesen. Möglicherweise sind sie zum Beispiel mit einem niedrigen BMI und einer hohen Lebenserwartung assoziiert.

Nicht selbst pathogen, aber…

Nach derzeitigem Erkenntnisstand sind Archaea nicht pathogen. Doch möglicherweise können sie Lebensgemeinschaften mit pathogenen Bakterien, beispielsweise solchen die Karies und Parodontitis hervorrufen, bilden und diese in ihrem Wachstum unterstützen. Um die komplexe Welt der Archaea zu verstehen, ist noch eine immense Forschungsarbeit notwendig, so Moissl-Eichinger.

Beispielliteratur:

Chibani CM et al.  A catalogue of 1,167 genomes from the human gut archaeome.

Nat Microbiol 2022; 7(1):48-61, DOI: 10.1038/s41564-021-01020-9. 


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