Zwei Jahre. Diese Prognose gab mir der Onkologe damals. Nur noch zwei Jahre leben. Als mein Mann Peter und ich damals aus der Praxis raus waren, haben wir erst einmal fürchterlich geweint und Druck abgelassen. Wir hatten uns noch so viel gewünscht vom Leben, ich war damals erst 38, und dann diese Nachricht. Zwei Jahre lang habe ich dann wirklich aufs Sterben gewartet. Diese Zahl hatte sich in meinem Kopf festgesetzt, ich habe jeden Tag vor meinem geistigen Auge ein Kalenderblatt abgerissen. Aber nach zwei Jahren war ich immer noch da und mir ging es gar nicht schlecht. Da hat es Klick gemacht. Und ich dachte, so, nachdem ich nicht gestorben bin, ist es jetzt Zeit, sich wieder aufs Leben zu konzentrieren.
Entdeckt hatte ich den Knoten im Urlaub. Noch aus England vereinbarte ich damals einen Termin bei meinem Gynäkologen. Der vermutete dann eine erweiterte Milchdrüse und wollte mich eigentlich überhaupt nicht zur Mammographie schicken. Weil ich darauf bestand, überwies er mich doch – allerdings etwas missmutig. Ich rief direkt beim Radiologen an, sagte, ich sei ein dringender Fall, warum ich das sagte, weiß ich bis heute nicht, und durfte gleich kommen. Der Radiologe sah sich meine Bilder mit sehr ernstem Gesicht an und erklärte, dass es sich höchstwahrscheinlich um eine bösartige Tumorerkrankung handle. Ich verstand überhaupt nicht, was er mir sagen wollte. In meinem Gehirn ratterte es, bis ich fragte: Meinen Sie Krebs?
(Über-)Leben mit Brustkrebs – Teil 1
Nadja Seipel galt als geheilt, dann kam der Krebs zurück. Sie weiß, er wird sie töten
Metastierender Brustkrebs: kein Lehrbuchfall
Das war ein einschneidender Moment. Da trifft einen der Blitz und schlägt alles kurz und klein. Aber dann erinnerte ich mich an meine Nachbarin, die auch sehr jung Brustkrebs hatte und an die zahlreichen anderen Frauen, die den Krebs überlebt haben. Ich motivierte mich, glaubte daran, dass es schon gut ausgehen wird. Das glaubte ich auch noch, als dann die große Untersuchung im Krankenhaus anstand. Selbst als die Chirurgin ins Zimmer kam und sagte, sie habe schlechte Nachrichten, dachte ich noch, die schlechten Nachrichten bedeuteten, dass eine Chemotherapie nötig sei. Aber nein. Ich hatte nicht nur Brustkrebs, sondern auch Metastasen in der Leber, die größte war mehr als vier Zentimeter groß, dazu abgestuft noch viele weitere. Zudem hatten sie Läsionen in den Knochen gefunden. Erst da wurde mir bewusst, nein, ich werde nicht mehr gesund, ich werde mit großer Wahrscheinlichkeit an dieser Krankheit sterben. Es war, als würde mir jemand den Boden unter den Füßen wegreißen. Ich war wie in einem Nebel gefangen, die Stimmen weit weg – ein bisschen so, als würde man in Ohnmacht fallen. Ich musste mich erst einmal im Ambulanzzimmer hinlegen.
Mein Fall ist kein Lehrbuchfall. In den meisten Fällen von Metastasierung haben die Betroffenen nach überstandener Ersterkrankung eine längere Zeit Ruhe, bevor Metastasen entdeckt werden. Aber bei mir waren sie sofort da. Wenn der Brustkrebs irgendwo im Körper Tochtergeschwüre gebildet hat, dann ist der Krebs nicht mehr einzufangen, dann ist eine Heilung nicht mehr möglich. Alles, was man tun kann, ist die Situation, so wie bei mir, zu stabilisieren – möglichst lange zu stabilisieren. Seit 2013 bin ich in Dauertherapie. Ich hatte Operationen, intravenöse Chemo, Bestrahlung, Antihormontherapie, zielgerichtete Therapie, orale Chemotherapie – alles, was der Medizinschrank hergibt. Und ich werde auch bis ans Ende aller Tage therapiert werden. Die letzten Jahre waren eine Achterbahnfahrt. Manchmal geht es steil rauf, manchmal rasselt man ganz schlimm nach unten. Aber wenn alles glatt läuft, dann feiere ich nächstes Jahr meinen zehnten Überlebenstag. Das habe ich auch meinem Onkologen zu verdanken. Nachdem der erste Onkologe wenig empathisch gewesen war, hatte ich mir einen anderen gesucht, denn ich brauche einen Arzt, der nicht nur Hirn, sondern auch Herz mitbringt. Bei diesem Professor bin ich noch heute. Er rollte die Behandlungsstrategie auf zehn Jahre aus. Versprochen hat er mir nichts, aber er hat einen positiven Anker in meinem Kopf gesetzt.
(Über-)Leben mit Brustkrebs – Teil 2
Linda Wagner ist schwanger, als sie erfährt, dass sie Brustkrebs hat – vom Ringen um zwei Leben
Krebs ändert alles – alles, alles
Die Diagnose Krebs lässt keinen Stein auf dem anderen. Wenn man einmal angezählt ist und plötzlich mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert ist, dann ändert sich alles – alles, alles. Denn wenn man jung und gesund ist, hat man dieses Urvertrauen in den Körper, man denkt, man könne 100 Jahre alt werden. Ich hatte bis dahin ein sehr glückliches Leben, wahrscheinlich traf es mich sogar in der glücklichsten Phase meines Lebens. Und dann liegt man da im Krankenhaus und bekommt eine Leberbiopsie, während die Freundinnen mit ihren Kindern am See liegen. Das war eine ganz schwierige Zeit. Damals gab es in Österreich auch noch keine speziellen Hilfsangebote für Frauen mit metastierendem Brustkrebs. Ich war allein auf weiter Flur. Zu dieser Zeit wurden wir behandelt, wie welche, denen der Tod schon aus der Ferne winkt. Die Idee ein Selbsthilfeangebot für Betroffene zu schaffen hatte ich schon 2013, aber mir fehlte die Kraft. Fünf Jahre später klappte es dann mithilfe der Österreichischen Krebshilfe. Unsere Community, die Meta Mädels, sind kein Trauerverein, wir feiern das Leben. Wir lachen zusammen, wir weinen zusammen, wir erleben jede Menge zusammen. Wir rudern alle im selben Boot. Dort habe ich liebe Freundinnen gewonnen, die einen ähnlichen Weg gehen. Wir begleiten uns ein Stück weit Hand in Hand. Das hat aber auch eine Kehrseite. Ich habe inzwischen schon so viele großartige Frauen aus der Community verloren. Das tut fürchterlich weh.
Mit meinen Brustkrebs-Aktivitäten, dazu gehört unter anderem mein Blog, habe ich mir einen neuen "Job“ geschaffen. Meinem alten konnte ich mit der Krebserkrankung nicht mehr nachgehen, deshalb verabschiedete ich mich schweren Herzens in die Berufsunfähigkeitspension. Das war kein einfacher Schritt. Heute bin ich wieder geringfügig in meinem alten Job tätig. Mein Engagement ist mein Motor, der mich am Laufen hält. Ich bin nicht mit der Bremse unterwegs, ich stehe ständig am Gas. Die Zeit rennt, meine Tage sind äußerst intensiv. Ich muss mich selbst zügeln, weil ich so viel machen will, so gerne unterwegs bin. Mein Motto ist: Jeder Tag ist ein Abenteuer. Früher war das Reisen unser größtes Hobby, nach der Diagnose traute ich mich lange nicht, weiter weg zu fliegen. Bis ich mich irgendwann fragte, was soll eigentlich passieren? Dann sind wir einfach los, erst nach Japan und dann nach Amerika. Die Amerikareise 2018 war eine ganz besondere, denn in Las Vegas habe ich meinen Mann, das war mir ganz wichtig, zehn Jahre nach unserer ersten Hochzeit, noch einmal geheiratet – mit Elvis-Kitsch und Erinnerungsfotos in der Wüste. Es war herrlich. An dem Tag hatte ich nicht ein bisschen das Gefühl, krank zu sein. Im Januar wollen wir es übrigens ein drittes Mal tun, diesmal auf Hawaii.
(Über)Leben mit Brustkrebs – Teil 3
Brian Jahnke erkrankte an Brustkrebs, so wie zuvor schon seine Schwester und seine Großmutter – über ein schweres Erbe
Reisen bedeutet für mich eine Auszeit aus der Cancer Reality, dann lasse ich den Krebs einfach zuhause. Diese Auszeiten sind ganz wichtig, denn die Angst ist unser aller Begleiter. Manchmal gehst du mit ihr ins Bett und wachst mit ihr wieder auf. Damit zu leben, ist nicht leicht. Dann und wann muss man die Angst zur Seite schieben können, sonst wird man wahnsinnig. Es darf da ruhig auch mal gefeiert werden, es soll auch mal bunt und laut sein, das brauchen wir, um den dunkelgrauen Alltag einmal vergessen zu können. Ich verbiete es mir nicht, auch mal bis nachts um Drei Party zu machen. Das bin ich, das macht mich aus. Dazu muss ich aber sagen, dass ich das Glück habe, das noch zu können, andere sind dazu nicht mehr in der Lage. Ich habe ein gutes, schönes Leben, aber der Krebs ist eben da, den kriege ich nicht mehr los. Er ist mein Beifahrer. Ich möchte mir von ihm, so lange es geht, nicht ins Steuer greifen lassen und selbstbestimmt weiterfahren auf der Straße meines Lebens.
Claudia Altmann-Pospischek startete 2016 den Blog "Claudias Cancer Challenge“, wo sie aus ihrem Leben mit der Erkrankung berichtet und anderen Mut macht. Folgen kann man ihr auf Facebook und auf Instagram.
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