Mir ging es super. Ich trainierte gerade auf einen Marathon, den ich einen Monat später laufen wollte, hatte einen Ruhepuls von 43 und war auf dem Höhepunkt meiner Fitness. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass ich Krebs haben könnte. Selbst dann nicht, als ich den Knoten beim Duschen entdeckte. Ich war so naiv. Man fühlt sich nicht krank, das ist das Heimtückische. Erst als der Knoten zwei Wochen später immer noch da war, größer sogar, ging ich zum Arzt. Unter Tränen teilte er mir mit, dass der Knoten auffällig ist. Da war mir klar, dass ich Brustkrebs habe. Das war 2015. Für mich war die Diagnose hormonabhängiger Brustkrebs ein Todesurteil, ich war mir sicher, dass ich sterben muss. Meine Tochter war zu diesem Zeitpunkt fünf Jahre alt, mit meinem neuen Freund war ich gerade erst ein Jahr zusammen. Er ist neun Jahre jünger als ich. Ich sagte ihm, dass ich verstehen könnte, wenn er geht, sich mit jemand anderen eine Familie aufbaut. Aber er blieb.
Nach der Diagnose ist man von jetzt auf gleich in einer Spirale, man reagiert nur noch, lässt die unzähligen Untersuchungen über sich ergehen, rennt von Behandlung zu Behandlung. Man hat gar nicht den Kopf, irgendwas zu hinterfragen, vertraut den Ärzten. Gleichzeitig muss man schwere Entscheidungen treffen. Zuerst kam die Chemotherapie. Die Haare fielen mir aus, der Magen war flau, ich hatte eine Taubheit an Händen und Füßen. Trotzdem kam ich einigermaßen gut durch, sicherlich auch auf Grund meiner Fitness. Danach folgte eine beidseitige brusterhaltende Operation und Silikonimplantate. Im Sommer darauf ging's in die Reha. Das war eine tolle Zeit, das kann ich jedem empfehlen, um rauszukommen und um sich mit anderen auszutauschen. Und auch für die Familie und Freunde ist es gut, sie können einmal durchschnaufen. Denn die Krankheit belastet nicht nur dich selbst, alle sind betroffen. Es hat dann jeder irgendwie Krebs.
Schicksalsgeschichte
Plötzlich hat der Geliebte Krebs. Was bleibt von der Liebe, wenn der Partner neben einem zerfällt?
Der Krebs ist zurück
Als ich die Diagnose bekam, hatte ich gerade eine neue Arbeitsstelle angenommen. Ich bin Lehrerin. Das Schuljahr sollte für mich nur 12 Tage dauern. Aber schon im nächsten Schuljahr war ich zurück im Leben, knüpfte an, wo ich aufgehört hatte. Ich konnte wieder voll arbeiten und habe sogar beim Ironman Kraichgau, einem Triathlon, mitgemacht. Im Oktober 2020 galt ich dann auch offiziell als geheilt. Allerdings kränkelte ich in diesem Herbst und Winter. Ich hatte einen Husten, der nicht abklingen wollte, war ständig erschöpft, irgendwann röchelte ich sogar. Dazu war ich zum ersten Mal auch psychisch angeschlagen. Ich hatte sehr damit zu kämpfen, dass unser gemeinsamer Kinderwunsch meinetwegen nicht erfüllt werden konnte – auf Grund meines Alters und als Folge der Chemotherapie. Immer wieder war ich krankgeschrieben. Aber damit, dass der Krebs zurück sein könnte, habe ich nicht gerechnet. Dabei sind die Symptome ganz typisch.
Im Januar kam ich die Treppen nicht mehr hoch, ich bekam keine Luft. Wie sich herausstellte, hatte ich einen Pleuraerguss. Insgesamt hatten sich 3,7 Liter Flüssigkeit unter dem Rippenbogen angesammelt. Ich hatte das Gefühl, dass mir die Brühe bis in den Hals hoch steht. Die Lunge wurde punktiert, ich wurde operiert. Das war mitten in der Coronaphase, ich lag allein in meinem Krankenhauszimmer, durfte keinen Besuch bekommen und erhielt dann die Diagnose, die wirklich mein Todesurteil werden sollte. In der Flüssigkeit hatten die Ärzte bösartige Krebszellen gefunden. Mein Edward, so hatte ich damals meinen Brustkrebs genannt, weil er auf dem Ultraschallbild aussah wie eine Hand von Edward mit den Scherenhänden, hatte Metastasen gebildet – in Lunge, Leber, Lymphknoten und Knochen. Zusammengerechnet eine Tumorkugel von einem 12-Zentimeter-Umfang. Der Arzt gab mir noch ein halbes Jahr. Damals stellte mir eine Dame von der psychoonkologischen Betreuung eine Frage, die mich richtig aufrüttelte: Was ist ihr letzter Wunsch? Ich weiß noch, wie ich dachte: Ist es schon so weit? Und was soll das sein? Muss ich jetzt eine Bucketlist schreiben oder was ist jetzt hier? Ich war so überfordert.
Fakten über Brustkrebs
Jedes Jahr erkranken laut Schätzungen des Robert-Koch-Instituts etwa 66.800 Frauen neu an Brustkrebs. Für Frauen ist es die häufigste Krebsart. Zunehmend sind auch Jüngere betroffen. Die Deutsche Krebsgesellschaft spricht von über 18.000 Frauen, die jährlich an Brustkrebs sterben. Auch Männer können an Brustkrebs erkranken, bei ihnen sind es jährlich etwa 770 Neuerkrankungen. Der Brustkrebsmonat Oktober macht auf die Situation von Erkrankten aufmerksam.
Den Krebs vergisst man nicht
Das Krankenhaus verließ ich mit einem Schlauch, der aus der Brust kam, aus dem ich selbstständig Flüssigkeit ablassen konnte. Sexy war das nicht, aber es hat mir das Leben gerettet. Diese Zeit war wohl die schlimmste meines Lebens. Ich hatte Todesangst. Ich hatte Angst, dass ich meine Tochter vielleicht nicht aufwachsen sehe, ihre erste Liebe nicht miterlebe. Ich habe mein Testament gemacht, wir haben geheiratet. Nach zwei Monaten konnte der Schlauch gezogen werden und ab dann ging es aufwärts. Trotzdem bin ich jetzt Palliativpatientin. Für den Rest meines Lebens muss ich in Behandlung sein. Ich werde an dem Krebs sterben. Bislang schlägt die Therapie gut an. Unterstützend habe ich auch meine Ernährung auf eine vegetarische Lowcarb-Diät umgestellt, trinke selten Alkohol. Bis jetzt sind die Tumore um 65 Prozent geschrumpft. Das kann aber auch schnell anders sein. Es kann jeden Monat vorbei sein. Diese Angst sitzt immer im Nacken. Aber wir geben ihr nicht mehr so viel Raum. Ich bin der Meinung, dass die mentale Einstellung viel ausmacht. Man muss positiv bleiben. Es bringt nichts, sich immer wieder zu fragen, warum man so krank ist. Das zermürbt nur.
Klar, den Krebs vergisst man nicht, er hinterlässt bleibende Spuren. Man ist nicht mehr so belastbar, hat Konzentrations- und Wortfindungsstörungen. Und auchn wenn es von außen den Anschein hat, man sei geheilt, im Inneren sieht es ganz anders aus. Man wacht morgens auf und hört als erstes in sich rein, checkt ab, ob den wirklich alles in Ordnung ist. Aber derzeit geht es mir gut. So gut, dass ich im Mai drei Wochen auf dem Camino pilgern war. Denn die Idee mit dem letzten Wunsch hat mich nicht losgelassen. 600 Kilometer wollte ich gehen, bis zum Kap Finisterre. Ganz habe ich das nicht geschafft. Ich bin unterwegs umgeknickt, in Santiago war dann Schluss für mich. Wie sich später herausstellte, war ich 300 Kilometer mit gebrochenem Wadenbein gelaufen. Das war das Adrenalin, weil ich es unbedingt schaffen wollte. Bis zum Kap habe ich es zwar nicht geschafft, aber das nehme ich als Zeichen. Das sollte einfach nicht mein letzter Wunsch sein.
Die größten Krebsrisiken – und wie Sie diese vermeiden
Am Anfang habe ich nur monatsweise geplant, dann halbjahresweise, jetzt arbeiten wir auf den nächsten Sommer hin. Wir bauen gerade einen Transporter zum Camper aus, damit ich noch möglichst viel von Europa sehen kann und wir viele gemeinsame Erinnerungen generieren können. Im Juni wollen wir den Wunsch meiner Tochter erfüllen: Urlaub an der Adria. Außerdem ist eine Skandinavientour geplant und in Slowenien würden wir gern entlang der Soča, fahren. Es tut gut, etwas zu haben, worauf man sich freuen kann. Angst hatte ich genug, es reicht jetzt.
Nadja Seipel ist als "Gewinnerbraut" auf Instagram aktiv, wo sie von ihrem Leben mit dem Krebs berichtet und anderen Mut macht. Außerdem betreibt sie den Blog "Edward mein Brustkrebs". Ein gleichnamiges Buch über ihr erstes Jahr mit der Erkrankung ist 2021 erschienen.
Quelle: Den ganzen Artikel lesen