Als wären Long-Covid-Betroffene nicht schon genug gebeutelt, eröffnet eine neue Studie aus China nun düstere Aussichten: So sollen Patienten ein höheres Risiko für abermalige Corona-Infektionen und erneute Long-Covid-Symptome haben. Experten sehen die Studienergebnisse jedoch kritisch.
Kurzatmigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Erschöpfung und Schlafprobleme – die möglichen gesundheitlichen Langzeitfolgen einer Corona-Infektion schränken Betroffene teils erheblich in ihrer Lebensqualität ein.
Für sie dürften die neuesten Erkenntnisse von Forschern der Capital Medical University in Peking (China) umso unerfreulicher sein. Immerhin fanden die Wissenschaftler in einer Studie heraus, dass Long-Covid-Betroffene ein erhöhtes Risiko für eine Reinfektion mit Sars-CoV-2 und erneute Long-Covid-Symptome haben sollen.
Long-Covid-Patienten sollen höheres Reinfektions-Risiko haben
An der Längsschnittstudie, die nun im Fachmagazin „The Lancet Respiratory Medicine“ erschien, nahmen 1359 Personen teil, die sich zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 in Wuhan mit Covid-19 infiziert hatten und im Krankenhaus behandelt werden mussten. Die Forscher um Hui Zhang führten bis 2022 eine jährliche Folgeuntersuchung durch und initiierten nach der Omikron-Welle im Winter 2022 noch eine dritte.
Zhang und seine Kollegen entdeckten dabei, dass sich 76 Prozent der Studienteilnehmer, die Long-Covid entwickelt hatten, während der Omikron-Welle erneut infizierten. Von den Studienteilnehmern, die kein Long-Covid hatten, waren es lediglich 66 Prozent. In der Kontrollgruppe – also einer Gruppe zufällig ausgewählter Menschen ohne Corona-Infektionen – steckten sich allerdings 83 Prozent der Probanden an.
Nach der Omikron-Infektion klagten 62 Prozent der Long-Covid-Patienten eigenen Angaben zufolge über neu auftretende oder schlimmere Beschwerden. Das war nur bei 41 Prozent der Personen ohne Long-Covid und 40 Prozent der Probanden in der Kontrollgruppe der Fall.
Chinesische Forscher verwendeten mehrere Untersuchungsmethoden
Allerdings ermittelten die Wissenschaftler das Vorliegen einer Omikron-Infektion mit unterschiedlichen Methoden. Zum einen verwendeten sie hierfür Antigen- und PCR-Tests, zum anderen stellten sie die Infektion anhand von Symptomen nach dem Kontakt mit einer infizierten Person fest.
Wenn die Infektionen nur durch einen molekularen Test ermittelt wurden, zeigte sich ein ganz anderes Bild: Mit 39 Prozent und 40 Prozent unterschieden sich die Reinfektionsraten bei Long-Covid-Betroffenen und Menschen ohne gesundheitliche Langzeitfolgen kaum noch voneinander.
Mediziner hält Aussagekraft der Corona-Studie für „ungenügend“
Vor diesem Hintergrund sehen Mediziner diese Studienerkenntnisse kritisch. „Diese Daten sind bei genauerer Betrachtung nicht unproblematisch“, sagt Prof. Dr. Onur Boyman, Direktor der Klinik für Immunologie am Universitätsspital Zürich in einer Pressemitteilung von „Science Media Center“.
Insbesondere der Unterschied zwischen den Prozentzahlen der durch Symptome und der durch molekulare Tests festgestellten Omikron-Infektionsfälle steche ins Auge. „Offensichtlich erlaubt ein spezifischer Antigen- oder PCR-Test eine objektivere – und somit ‘fairere’ – Diagnose als die klinische Beurteilung bei einer Person, die entweder bereits eine Covid-19-bezogene Diagnose wie Long-Covid hat, was den beurteilenden Arzt beeinflussen kann, oder nicht“, sagt der Schweizer Klinikdirektor.
Zudem sei die Omikron-Infektionsrate bei der Kontrollgruppe höher als bei den Long-Covid-Patienten, „was die Behauptung der höheren Anfälligkeit für Re-Infektionen mit Sars-CoV-2 von Long-Covid-Betroffenen wiederum in Frage stellt.“
Ergebnisse können nicht auf Bevölkerung übertragen werden
Weiterhin äußert der Mediziner Kritik an der Auswahl der Probanden. Schließlich würden Personen, die auf Grund ihrer schweren Corona-Erkrankung hospitalisiert werden mussten, ein höheres Risiko für Long-Covid haben. Daher „können diese Resultate nicht auf die allgemeine Bevölkerung angewandt werden, deren Großteil nie wegen einer Sars-CoV-2-Infektion hospitalisiert werden musste“, sagt Boyman.
Seiner Einschätzung nach seien die Beweise der Studie, dass Long-Covid-Patienten schneller wieder an Corona erkranken und Langzeitfolgen entwickeln, „ungenügend“.
Wenige Antikörper und Impfverhalten können Einfluss haben
Auch nach Auffassung von Julian Schulze zur Wiesch, Leitender Oberarzt der Sektion Infektiologie und Leiter des Ambulanzzentrums Virushepatologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, liefere die Studie „keine oder nur wenige immunologische Daten, um diese Hypothese zu unterlegen“.
Der Oberarzt betont laut der Pressemitteilung von „Science Media Center“ ebenso, dass die Erkenntnisse zu den Probanden nicht ohne Weiteres auf die allgemeine Bevölkerung übertragen werden können.
Ob und warum Long-Covid-Betroffene möglicherweise anfälliger für Reinfektionen sind – darüber könne man nur spekulieren. „So haben einige Patienten mit Long-Covid sich zum Beispiel besonders früh infiziert und hatten zum Zeitpunkt der Omikron-Variante schon wieder niedrigere Titer [Menge an Antikörpern]. Auch das Impfverhalten und viele andere – unbekannte – Variablen mögen einen Einfluss haben“, sagt Schulze zur Wiesch.
Hamburger Oberarzt beruhigt Long-Covid-Patienten
Obwohl die Studienergebnisse „etwas zu pointiert“ seien, müsse diese wichtige Hypothese in weiteren experimentellen Untersuchungen getestet werden.
„Im Alltag würde ich aber warnen, dass Patienten mit Long-Covid-Symptomen nach dem Lesen dieser Studie nunmehr zusätzliche Befürchtungen hegen“, sagt der Mediziner. Er verweist auf den allgemeinen gutartigen Langzeit-Verlauf einiger Corona-Folgeerscheinungen bei ungeimpften Patienten wie etwa der Lungenfunktion.
„Der positive Einfluss der Impfungen auf den Verlauf von Reinfektionen und unser Wissen zur richtigen Anwendung von antiviralen Medikamenten müssen bei den Themen Reinfektion, Long-Covid und Immunschutz bedacht werden. Sie haben in der Praxis eine größere Bedeutung.“
Tipps für Long-Covid-Betroffene
Long-Covid ist bei jedem Betroffenen anders ausgeprägt. Daher sind auch die Behandlungsmethoden unterschiedlich. Neben ärztlich verordneten Therapien können Long-Covid-Patienten auch autark im Rahmen ihrer Möglichkeiten etwas für ihr Wohlbefinden tun.
Gesunde Ernährung
- eine ausgewogene Ernährung hilft dem Körper dabei, nach einer Corona-Infektion wieder zu Kräften zu kommen
- die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Obst, Gemüse, Nüsse, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, aber auch mageres Fleisch, Fisch, Eier und Milchprodukte
- der Verzehr von Salz, Zucker und Fett sollte reduziert werden
- auch viel trinken ist wichtig – am besten sechs bis acht Gläser am Tag
Riech- und Geschmacktraining
- ist der Geruch- oder Geschmackssinn nach einer Infektion weg, können Betroffene ihre Sinne wieder trainieren
- beim Riechtraining riechen Long-Covid-Patienten zweimal täglich für 20 Sekunden am Duft von Zitronen, Rosen, Nelken oder Eukalyptus
- beim Geschmackstraining experimentieren die Betroffenen (in Maßen) mit Zitronensaft, frischen Kräutern und Gewürzen wie Chili, um ihren Speisen mehr Würze zu geben
Reduzierter Konsum von Alkohol und Kaffee
- laut des medizinischen Portals „AWMF“ können Kaffee und Alkohol Schlafstörungen verursachen und das Immunsystem aus dem Gleichgewicht bringen
Rauch-Stopp
- Nikotin erhöht den Blutdruck, reizt die Atemwege und verschlechtert die Lungenfunktion
- dadurch können sich alle Long-Covid-Symptome verstärken
Übungen gegen Atemnot
- viele Long-Covid-Patienten leiden unter Atemnot, was Panik verursachen kann
- wichtig ist es, Ruhe bewahren
- die Atmung kann durch bestimmte Körperhaltungen und Techniken wieder erleichtert werden
Konzentrations-Trainings
- Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, auch bekannt als „Hirnnebel“, machen vielen Patienten zu schaffen
- einige Strategien können Abhilfe schaffen
- Ablenkungen reduzieren: ziehen Sie sich in einen ruhigen Raum zurück und/oder verwenden Sie Ohrstöpsel, um zu arbeiten oder andere Dinge zu erledigen
- Aufgaben zeitlich planen: Aktivitäten lassen sich am besten durchführen, wenn Sie weniger erschöpft sind, zum Beispiel nach dem Aufstehen
- viele Pausen machen
- Anreize setzen: wenn Sie eine Aufgabe geschafft haben, belohnen Sie sich – mit einem Stück Schokolade, einem Spaziergang oder Fernsehen
- Hilfestellungen benutzen: Kalender oder Notizen stützen Ihr Gedächtnis
Körperliche Betätigung
- durch lange Krankheitsverläufe oder Krankenhausaufenthalte können die Muskelkraft und Ausdauer nachlassen
- um diese wiederzuerlangen, empfiehlt sich je nach gesundheitlichem Zustand und ärztlicher Absprache körperliche Betätigung
- unbedingt langsam anfangen – eventuell kann sich die Erschöpfung schon bei leichter Bewegung verschlechtern
Mitteilen und Hilfe suchen
- schämen Sie sich nicht: sprechen Sie ganz offen über Ihre Long-Covid-Erkrankung und Ihre Symptome
- Familie, Freunde und Bekannte werden Sie unterstützen, sei es mental oder bei der Organisation des Alltags, bei Arztbesuchen etc.
- auch der Austausch mit Betroffenen in Selbsthilfegruppen kann helfen
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