Abgaberangfolge bleibt auch bei Nichtverfügbarkeit relevant

Die neuen Abgabe- und Retax-Regelungen des ALBVVG erleichtern den Apotheken den Arbeitsalltag leider nicht in dem Maße, wie diese es sich gewünscht hätten. Insbesondere sind nach wie vor alle Stufen der Abgaberangfolge nach dem Rahmenvertrag zu prüfen – und die neuen Vorgaben zum Retaxschutz gelten nur für Beanstandungen, die nach Inkrafttreten des ALBVVG ausgesprochen wurden. Das hat das BMG nun gegenüber dem DAV klargestellt.

Am 27. Juli dieses Jahres ist das Arzneimittellieferengpassgesetz (ALBVVG) in Kraft getreten; seitdem gelten unter anderem die neuen Retax-Verbote (verankert in § 129 Abs. 4d SGB V). Die gesetzliche Verstetigung der erleichterten Abgaberegeln (§ 129 Abs. 2a SGB V und § 17 Abs. 5b ApBetrO) wurde zum 1. August wirksam. Doch wie so oft lassen die neuen Vorgaben Interpretationsspielraum. Und Krankenkassen und Apotheken haben hier einmal wieder unterschiedliche Vorstellungen, wie einzelne Bestimmungen auszulegen sind.

Das hat den Deutschen Apothekerverband (DAV) bewegt, Mitte September im Bundesgesundheitsministerium (BMG) nachzuhaken. Vier konkrete Streitfragen legte er vor – und bat um Auslegungshilfe. Die Antwort liegt mittlerweile vor. So informiert aktuell der Apothekerverband Schleswig-Holstein seine Mitglieder zumindest über die Rückmeldung des BMG zu zwei der Fragen.

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Welche Austauschregeln gelten ab 1. August?

Zum einen ging es darum, wie die neue Regelung zum Austausch bei Nichtverfügbarkeit abweichend von den Vorgaben im Rahmenvertrag zu verstehen ist. Der DAV interpretierte sie so, dass die Apotheke nur die erste Stufe der Abgabereihenfolge zu prüfen hat, die der Rahmenvertrag vorgibt. Ergebe diese Prüfung, dass das abzugebende (Rabatt-)Arzneimittel nicht verfügbar sei, sei die Apotheke in der Auswahl frei und könne das abzugebende gegen ein wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen. Denn aus DAV-Sicht sollte gerade die aufwendige, mehrstufige Prüfung der Abgabereihenfolge erleichtert werden. Die neue Möglichkeit, von ihr abzuweichen, sollte sogar bereits greifen, wenn ein einziges nach Rahmenvertrag abzugebendes Arzneimittels nicht verfügbar ist. Doch das BMG sieht den Fall offenbar so wie der GKV-Spitzenverband. Denn wie der Apothekerverband Schleswig-Holstein mitteilt, bleibt die Abgaberangfolge nach Rahmenvertrag gemäß § 129 Abs. 2 SGB V unverändert. „Eine Erleichterung der Arzneimittelabgabe besteht somit lediglich bei der Auswahl von Packungsgrößen, Packungsanzahl, Abgabe von Teilmengen und der Wirkstärke“.

Retax-Verbot greift nicht bei vor dem 27. Juli gestarteten Beanstandungen

Und auch die Frage, ab wann die neuen Regeln des Retaxationsausschlusses anzuwenden sind, hat das BMG im Sinne der Kassen beantwortet: Erfasst seien nur Beanstandungen, die nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens (also ab dem 27. Juli 2023) ausgesprochen werden, nicht hingegen Beanstandungsverfahren, die noch nicht abgeschlossen sind. Der DAV hatte sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Neuregelung alle noch laufenden Beanstandungsverfahren, unabhängig vom Zeitpunkt der Arzneimittelabgabe oder dem Beginn des Verfahrens, umfasse.

Welche Retaxationen sind ausgeschlossen?

Darüber hinaus stellt der Apothekerverband nochmals klar, in welchen Konstellationen nun gar keine Retaxationen mehr ausgesprochen werden dürfen – und in welchen keine Nullretaxationen.

Gar nicht mehr retaxieren dürfen Kassen, wenn 

  • die Dosierungsanweisung auf der Verordnung fehlt (BtM- und Rezeptur-Verordnungen ausgenommen!),
  • das Ausstellungsdatum der Verordnung fehlt oder nicht lesbar ist,
  • das Arzneimittel vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung abgegeben wurde,
  • die Belieferungsfrist nach der Arzneimittel-Richtlinie (28 Tage) um bis zu drei Tage überschritten ist, ohne dass etwas zur Überschreitung dokumentiert werden müsste (CAVE: ausgenommen von dieser gesetzlichen Kulanzregelung sind Verordnungen, für die kürzere Belieferungsfristen festgelegt wurden (BtM-, Entlass- sowie Sonderrezepte mit kürzeren Belieferungsfristen, z. B. T-Rezepte)),
  • die Genehmigung der zuständigen Krankenkasse bei Abgabe des Arzneimittels fehlt und diese nachträglich erteilt wird (z. B. Einzelimport).

Nullretaxationen sind ausgeschlossen, wenn

  • die Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels unterbleibt, wenn eine Wirkstoffverordnung vorliegt oder die Ersetzung durch den Arzt nicht ausgeschlossen wurde (aut idem) oder
  • die Apotheke bei der Abgabe einen Rabattvertrag nicht beachtet;
  • die vorgesehenen Verfügbarkeitsanfragen nicht oder nur teilweise vorliegen.

In diesen Fällen entfällt allerdings der Anspruch auf das Honorar nach Arzneimittelpreisverordnung, erstattet wird also nur der Einkaufspreis zuzüglich Mehrwertsteuer.

Keine Antwort findet sich im Rundschreiben des Apothekerverbands Schleswig-Holstein zu der Frage, worauf sich der Engpasszuschlag in Höhe von 50 Cent beim Austausch von mehr als einem Arzneimittel innerhalb einer Verordnungszeile bezieht. Der DAV ging hier davon aus, dass bei der Verordnung von zwei Packungen in einer Zeile auch zweimal der Zuschlag anfallen müsse. Die Kassenseite hält ihn nur für einmal abrechenbar.

Auch zu der Frage, wie die Berechnung abgegebener Teilmengen nach den neuen Vorgaben zu erfolgen hat, bleibt vorerst unbeantwortet. Ebenso bleibt offen, wie das BMG auf den Vorschlag des DAV reagiert hat, die Regelung umzuformulieren, da ihr jetziger Wortlaut aus seiner Sicht ungewollt nachteilig ist.


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