Der Anbieter von Abrechnungssoftware und Finanzdienstleistungen Noventi hat das Geschäftsjahr 2022 mit einem Verlust von 133 Millionen Euro abgeschlossen, zudem reicht die Eigenkapitaldeckung nicht aus. Nach umfangreichen personellen Umbauten, Verabschiedung von der früheren Unternehmensstrategie und einer Neuausrichtung unter dem Titel „Fokussierung 2025“ sieht sich das gebeutelte Unternehmen nun wieder auf einem guten Weg. Zwar erwartet der seit einem Jahr amtierende Vorstand auch 2023 noch einen Verlust, will 2024 aber wieder in die Gewinnzone zurückkehren.
Die Vorlage der Bilanz für das Jahr 2022 hatte sich lange verzögert. Nun hat der in finanzielle Schieflage geratene Münchener Entwickler von Apothekensoftware, Finanzdienstleistungen und digitalen Plattformen, Noventi Health SE, sein Zahlenwerk vorgelegt und versucht damit Tabula Rasa zu machen.
Klar ist: 2022 war ein wirtschaftlich schlechtes Jahr für den Marktführer unter den Apothekenrechenzentren. Zwar blieb der Umsatz mit über 234 Millionen nur eine Million Euro unter dem Vorjahreswert; nahezu stabil hielt sich auch das Abrechnungsvolumen in Höhe von 31 Milliarden Euro. Doch der Jahresverlust in Höhe von 133 Millionen Euro verhagelte die Bilanz. Im Vorjahr hatte an dieser Stelle noch ein Plus in Höhe von 7,45 Millionen Euro gestanden.
Mehrere Sonderaufwendungen
Das Zahlenwerk für 2022 ist nach Angaben von Finanzvorstand Frank Steimel von mehreren Sonderaufwendungen belastet. Dazu zählen Kosten für die Neubewertung von Bilanzpositionen, so etwa für eigenerstellte Software oder Finanzanlangen (rund 47 Millionen Euro) oder für Rückstellungen (rund 43 Millionen Euro), wovon wiederum etwa 39 Millionen Euro insbesondere auf die „Fokussierung 2025“ entfallen.
Aber auch operativ lief es 2022 nicht gut. An dieser Position steht ein Jahresverlust von rund 43 Millionen Euro. Dazu verweist das Unternehmen in einer Pressemitteilung auf die stark veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im vergangenen Jahr. Die „enormen Kostensteigerungen durch Zinsanstieg und Inflation“ hätten sich negativ auf das Ergebnis ausgewirkt.
Immerhin, das Abrechnungsvolumen der Tochtergesellschaft Noventi HealthCare GmbH (NHC) lag 2022 mit über 31 Milliarden Euro weiter auf hohem Niveau, so das Unternehmen. Trotz der erheblichen Sonderaufwendungen habe die NHC einen Gewinn von 7,4 Millionen Euro erwirtschaftet.
Keine ausreichende Eigenkapitaldeckung
Der satte Jahresverlust der im Jahr 1900 von einer Gruppe Münchner Apotheker gegründeten Gesellschaft führt auch dazu, dass ein Fehlbetrag von 26,9 Millionen Euro nicht durch Eigenkapital gedeckt ist. In diesem Zusammenhang verweist Noventi auf verschiedene Möglichkeiten, in den nächsten Jahren das Eigenkapital wieder zu stärken, so durch die Thesaurierung zukünftiger Gewinne – das Geld soll also nicht ausgeschüttet werden, sondern im Unternehmen verbleiben. Darüber hinaus verfüge die Gruppe über „erhebliche stille Reserven“, insbesondere in Form der NHC. Der Wert des Unternehmens übersteige sowohl den nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag als auch den bilanziellen Firmenwert um ein Vielfaches, betont Noventi.
Schlussstrich gezogen
Nach dem finanziellen Großschaden des vergangenen Jahres blickt der vor rund einem Jahr neu installierte Vorstand nun wieder optimistisch nach vorne. „Das negative Jahresergebnis 2022 der Noventi-Gruppe zieht bilanziell einen Schlussstrich unter die frühere Unternehmensstrategie“, so Frank Steimel, der zusammen mit Mark Böhm im September 2022 die Nachfolge der geschassten Vorstände Hermann Sommer und Victor Castro angetreten hatte. Der Aufsichtsrat sprach damals von „unüberbrückbaren Differenzen bei Unternehmensführung und -strategie“, die zu einer Neuordnung des Vorstandes veranlasst hätten. Rückblickend auf 2022 spricht Herbert Pfennig, Vorsitzender des Aufsichtsrats, von einer „Zäsur“ für Noventi.
Neuausrichtung mit „Fokussierung 2025“
Anfang 2023 verkündete die Gruppe das Programm „Fokussierung 2025“, welches eine Strategie ablösen sollte, „die auf zu großes Wachstum durch Unternehmensübernahmen und -beteiligungen sowie die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen ausgelegt war“. Mit dem neuen Programm wurden die Jahresabschlüsse der vergangenen Jahre „grundlegend überprüft“. Dafür wurden neue Wirtschaftsprüfer und Steuerberater beauftragt.
Darüber hinaus hat der Noventi-Eigentümerverein FSA eine Kapitaleinzahlung in Höhe von 20 Millionen Euro geleistet. Nicht zuletzt verabschiedete sich das Unternehmen von rund 270 Mitarbeitern. In der jetzigen Pressemitteilung weist Noventi darauf hin, dass mit der „Fokussierung 2025“ „alle notwendigen Maßnahmen“ eingeleitet worden seien, die mit den Banken, dem Aufsichtsrat und dem FSA als Eigentümer vereinbart worden seien, um das Unternehmen für die Zukunft abzusichern. Steimel: „Wir haben komplett aufgeräumt.“
Der Finanzchef weist darauf hin, dass die Einnahmen im laufenden Geschäftsjahr bereits gesteigert und die Ausgaben deutlich reduziert worden seien. „Operativ läuft es besser, als wir das vorausgeplant haben.“ Auch der Stellenabbau sei beendet; aktuell hat das Unternehmen 1800 Mitarbeiter. Auf Nachfrage der DAZ bestätigt Steimel zudem, dass es in der Bilanz künftig keine Aktivierung von Eigenleistungen mehr geben soll. Tatsächlich fällt dieser Posten in der Gewinn- und Verlustrechnung für 2022 deutlich niedriger aus als noch 2021. Mit der bilanziellen Bewertung von selbstentwickelten Programmen hatte Noventi in der Vergangenheit in erheblichem Ausmaß ein negatives Ergebnis kaschiert. Und er betont: „Die Rezeptabrechnung ist sicher.“
Auch 2023 noch Verlust erwartet
2023 sieht der Finanzchef als Jahr des Übergangs. „Wir erwarten für dieses Jahr weiterhin einen Verlust, der jedoch bereits niedriger ausfallen wird, als wir geplant haben. Im Jahr 2024 erwarten wir im Jahresergebnis wieder einen Gewinn.“
Offen sei noch, wie die künftige Nutzung des Headquarters im Münchener Quartier „Die Macherei“ aussehen wird. Noventi hatte die 11.000 Quadratmeter-Fläche 2021 bezogen. Aufgrund von Stellenabbau und Homeoffice wird der Standort aber nicht mehr vollständig ausgelastet, zumal Noventi im Münchener Tomannweg als auch in Bietigheim-Bissingen über weitere Standorte verfügt. Darüber hinaus soll das Softwareportfolio verschlankt und auf das „Fokussystem“ Prokas konzentriert werden.
Eine Baustelle ist zudem der Kundenservice, der in der Vergangenheit viel Kritik hervorgerufen hat. Steimel: „Mit unserem Service waren wir schon länger nicht zufrieden. Wir setzen gerade Schritt für Schritt Verbesserungen um. Als Basis dafür haben wir bereits einen hybriden Kundenservice mit dem Ticketsystem mein-Noventi.de eingeführt.“
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