„Schluss mit Retaxationen!“: Diese auch am Protesttag lautstark vorgetragene Forderung der Apothekerschaft hat es anscheinend in das Lieferengpass-Gesetz geschafft. Warum damit aber noch gar nichts gewonnen ist, das machte nun der Apothekerverband Westfalen-Lippe in einem offenen Brief an den Gesundheitsminister klar – und verlangt nach einem Mechanismus, um die Krankenkassen besser zu kontrollieren.
Nachdem der Änderungsantrag der Regierungsfraktionen zum Lieferengpass-Gesetz (ALBVVG) bekannt wurde, war in den vergangenen Tagen Erleichterung bei der Apothekerschaft zu spüren. Auch wenn die Forderung nach einer Erhöhung des Honorars darin nicht aufgegriffen wurde, so sind doch zumindest die Abschaffung der Präqualifizierung bei apothekenüblichen Hilfsmitteln und vor allem eine Einschränkung von Retaxationen vorgesehen. Der Apothekerverband Westfalen-Lippe dämpft nun die Hoffnungen: Man wolle „vor den Risiken und Nebenwirkungen des ALBVVG warnen“. Denn: Es sei „schlicht illusorisch“, dass mit dem Gesetz „das generelle Problem“ gelöst werde, heißt es in einem offenen Brief an Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der auf den Donnerstag datiert ist.
Begründet wird dies mit den Erfahrungen der vergangenen Jahre. Erinnert wird an das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) von 2015. „Ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers war damals, dass Abrechnungsbeanstandungen durch Krankenkassen insbesondere bei Formfehlern vollständig oder teilweise unterbleiben (vgl. § 129 Abs. 4 SGB V) sollten“, heißt es in dem Brief. Das Signal sei jedoch bei den Kassen nicht angekommen. „Im Gegenteil: Mehr und mehr Krankenkassen suchen seitdem nach kleinsten Lücken und formalen Fallstricken, um die Apotheke – obwohl sie den Patienten mit dem richtigen Wirkstoff versorgt hat – zu sanktionieren – und zwar ohne Augenmaß, geschweige denn die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.“ Als konkretes Beispiel führt der Verband die sogenannten Dj-Retaxationen auf.
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Die Apotheken wären den Krankenkassen „nahezu wehrlos ausgeliefert“ geblieben. Grund hierfür sei das System der nachgelagerten Rechnungskürzung, durch das die Krankenkassen Rückforderungen mit ausstehenden Zahlungen verrechnen könnten. „Wird dieser Mechanismus nicht geändert, werden Apotheken auch in Zukunft aufwendig ihrem Geld hinterherrennen, Einsprüche einlegen, Nachweise erbringen und bei Prozesskostenvorschuss und -risiko klagen müssen.“
„Eine toxische Kombination“
Kritisiert wird in dem Brief an Lauterbach in diesem Zusammenhang auch, dass die Kassen ihre „nicht selten von jeglicher Ermessensausübung befreite Retaxationspraxis“ an private Dienstleister auslagern: „Dass die Politik dabei untätig zusieht, wie die Krankenkassen als mittelbare Staatsverwaltung ihre Aufgaben auf Dienstleister übertragen, die teils zudem zu Hedgefonds oder US-amerikanischen Marktforschungs- und Beratungsunternehmen gehören (GfS, Davaso), lässt einen nur noch ungläubig zurück.“ Die nachgelagerte Rechnungskürzung und die externen Dienstleister seien „eine toxische Kombination“, so der Verband.
Gefordert werden daher weitreichendere gesetzgeberische Maßnahmen als im ALBVVG vorgesehen. Es müsse einen Kontrollmechanismus geben, „um das Vorgehen der Krankenkassen wieder in die Leitplanken zurückzudrängen, die zum einen für eine sachorientierte Selbstverwaltung auf Augenhöhe unbedingt nötig sind und zum anderen dem Gesundheitssystem wieder die Anerkennung von Patienten wie Leistungserbringern, hier den Apotheken, zuteilwerden lassen kann, die es verdient“.
„Systemfrage“ wird sich stellen
Dabei macht der Verband klar, dass, selbst wenn Regelungen eingeführt würden, die Nullretaxationen wirksam verhindern, die Forderung nach einer Erhöhung des Honorars für Apotheken „unbedingt (!)“ aufrechterhalten blieben und man „weiterhin lautstark“ dafür eintreten werde.
Gewarnt wird in dem Brief vor einer weiteren Verschlechterung der Gesundheitsversorgung auch bei den anderen Heilberufen. „In der Konsequenz wird sich dann letztlich die Systemfrage stellen“, so der Apothekerverband Westfalen-Lippe.
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