Zu rund einem Viertel aller klinischen Studien in Deutschland werden auch nach Jahren keine Ergebnisse veröffentlicht – das haben Forschende des „Berlin Institute of Health“ an der Charité festgestellt. Die Ergebnisse haben sie, auch aufgeschlüsselt für die einzelnen Universitätskliniken, in einem Online-Tool veröffentlicht und wollen Forschende so zu mehr Transparenz motivieren.
„Trial and Error“ – also „Versuch und Irrtum“ ist eine der effektivsten und ältesten Lernmethoden der Menschheit. Grundsätzlich gilt das auch für die Wissenschaft. Nicht jeder Versuch wird die davorstehende Theorie bestätigen, nicht jeder Wirkstoffkandidat erzielt das erhoffte Therapieergebnis. Und grundsätzlich ist das auch nicht schlimm. Unter Umständen zeigt sich eine andere nützliche Wirkung – ein prominentes Beispiel ist Sildenafil, das eigentlich als Wirkstoff gegen Bluthochdruck erforscht wurde. Und selbst eine klinische Studie ohne positive Ergebnisse zeigt zumindest, in welchem Kontext ein untersuchter Wirkstoff eben nicht wie gewünscht funktioniert.
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Leider aber bemessen sich erfolgreiche Karrieren in der Wissenschaft heutzutage in der Regel nicht nach der geleisteten Arbeit – sondern vor allem nach prominent platzierten Publikationen mit entsprechend positiven Ergebnissen. Und sofern es keine gesetzliche Pflicht zur Veröffentlichung gibt, gilt das offensichtlich auch bei der Veröffentlichung der Ergebnisse von klinischen Studien: Für gut ein Viertel aller an Universitätskrankenhäusern in Deutschland im Jahr 2015 beendeten klinischen Studien wurden auch Jahre nach deren Abschluss keine Ergebnisse veröffentlicht. Zu diesem Ergebnis kamen jetzt die Forscher um Dr. Daniel Strech, Professor für Translationale Bioethik und stellvertretender Direktor des BIH QUEST Center am Berlin Institute of Health an der Charité (BIH).
Knapp 3.000 klinische Studien ausgewertet
Fast 3.000 klinische Studien aus Deutschland werten die Forscher hierfür aus. Die Ergebnisse veröffentlichten die Berliner jetzt im Fachmagazin PLOS Medicine. „Vor allen Dingen interessierten uns die Daten zur Transparenz: Hat der Studienleiter oder die Studienleiterin die Studienergebnisse veröffentlicht? Wurde die Studie vor Studienbeginn registriert? Wurde im Register auf die Veröffentlichung der Studienergebnisse hingewiesen? Waren die Ergebnisse öffentlich einsehbar?“, erklärt Delwen Franzen, Erstautorin der Studie aus der AG Strech.
Die Daten stammen dabei aus den etablierten Registern ClinicalTrials.gov sowie Deutsches Register Klinischer Studien (DRKS) und berücksichtigten in den Jahren 2009 bis 2017 abgeschlossene Studien. Die Forscher verwendeten dabei einen halbautomatisierten Ansatz, um die Daten auszuwerten. Unter anderem suchten sie nach veröffentlichten Studienergebnissen. Weiterhin verfolgten sie die Rate der prospektiv registrierten Studien über die Zeit hinweg und beobachteten eine Steigerung von 33 auf 75 Prozent im ClinicalTrials.gov-Register (2006 bis 2018) sowie von 0 auf 79 Prozent im DRKS (2006 bis 2017). Die Wissenschaftler verglichen ebenfalls die 35 Universitätskliniken hinsichtlich der in den Registern eingetragenen Studien miteinander.
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„In dieser Studie haben wir festgestellt, dass es möglich ist, einzelne Universitätskliniken auf reproduzierbare und öffentlich zugängliche Weise zu bewerten und über ihre Leistung in Bezug auf die Transparenz klinischer Studien zu informieren“, schließen die Forscher aus ihren Ergebnissen.
Faktoren, warum Studienergebnisse nicht veröffentlicht werden, sieht Strech etwa in gesetzlichen Regelungen. „Ein wichtiger Faktor ist die mehr oder weniger strenge Regulierung, je nachdem, um was für eine Studie es sich handelt. Es gibt zwar eine weltweite ethische Verpflichtung, die Ergebnisse aller klinischen Studien öffentlich zugänglich zu machen – etwa die Deklaration von Helsinki aus dem Jahr 2013. Darüber hinaus wurden von der WHO im Jahr 2017 Empfehlungen für die Registrierung und Ergebnisveröffentlichung für alle interventionellen klinischen Studien veröffentlicht. Aber eine gesetzliche Verpflichtung zur Registrierung von Studien oder zur Veröffentlichung der Ergebnisse besteht nur für Studien mit Arzneimitteln und bald auch für Medizinprodukte. Nicht aber für Psychotherapie, Chirurgie und weitere medizinischen Maßnahmen“, sagt Strech.
Untergeordnete Rolle von Transparenz bei der Karriereplanung
Weitere Faktoren seien der Zeitmangel beim medizinischen Personal beziehungsweise die damit zusammenhängende fehlende Berücksichtigung von Transparenz für die Karriere. „Wenn eine Medizin-Professur vergeben wird oder wenn Forschungsanträge begutachtet werden, schauen die Kommissionen bislang bei den Bewerbern und Bewerberinnen darauf, ob sie einige sehr prominent publizierte Publikationen haben, aber nicht darauf, ob sie alle Studienergebnisse veröffentlicht haben. Für die Karriereplanung unter hohem Zeitdruck ist deshalb Transparenz nicht so wichtig“, sagt der Forscher und empfiehlt, dass in Zukunft die vollständige und zeitnahe Veröffentlichung von Studienergebnissen eine größere Rolle für die Karriere in der Medizin spielen sollte. „Sowohl für individuelle Forschende wie aber auch für Forschungseinrichtungen und Forschungsfinanzierende sollte die Bewertung ihrer Qualität, Leistung beziehungsweise Exzellenz deutlich direkter als bisher auch dadurch bewertet werden, wie transparent sie im Umgang mit ihren Ergebnissen sind“, sagt er.
Öffentliches Dashboard zeigt Transparenzfaktoren an
Als eine Art positiven „Nudgings“ (Stupsen, Anstoßen – jemanden mehr oder weniger subtil zu einem bestimmten Verhalten bewegen) haben die BIH-Forscher ein öffentlich einsehbares Dashboard programmiert, auf dem nun für ganz Deutschland wie auch für die einzelnen Universitätskliniken die verschiedenen ermittelten Transparenzindikatoren präsentiert werden.
Das Dashboard zeigt so etwa den prozentualen Anteil aller prospektiv in einem der öffentlichen Register verzeichneten Studien oder die Menge der registrierten Studien mit einem Link zu den veröffentlichten Ergebnissen. Auch den Anteil der Studien mit einem veröffentlichten Ergebnis zeigt das Analysetool an. Es lassen sich aber auch die einzelnen Universitätskliniken hinsichtlich ihrer Transparenzindikatoren vergleichen oder die Ergebnisse für einzelne Einrichtungen anzeigen.
„Wir sind überzeugt, dass die Informationen, die unser Dashboard liefert, bei allen Universitätskliniken etwas zum Guten hin bewegen wird“, erklärt Franzen. „Die letzten Jahre haben gezeigt, dass öffentliche Informationen zur Transparenz klinischer Studien einen großen Effekt haben können“, ergänzt Strech.
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Und tatsächlich hat sich bereits einiges getan. So informiert etwa die Universität Oxford seit drei Jahren über die Transparenz von Arzneimittelstudien im dafür zuständigen europäischen Register – aus diesem Feedback heraus habe man etwa die Transparenz der Studien allein an der Charité auf mittlerweile 97 Prozent steigern können. Universitätskliniken wüssten oft selbst nicht genau, wie viele ihrer Studien transparent registriert und veröffentlicht seien, sagen die Forscher und auch Förderorganisationen würden die Veröffentlichungsquote der von ihnen finanzierten Studien nicht kennen. Dabei habe mehr Transparenz rein wissenschaftlich betrachtet Vorteile. Andere Forschende könnten so erfahren, ob eine bestimmte medizinische Intervention bereits getestet wurde, oder ob sich womöglich eine zweite Auswertung der Studienergebnisse lohnen würde, weil sich darin ein Vorteil für eine Untergruppe von Patienten und Patientinnen gezeigt hätte. „Die Klinischen Studien sind das Rückgrat der evidenzbasierten Medizin. Und Transparenz hält das Rückgrat gesund“, sagt Strech.
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