XBB.1.5, China und die Angst vor ganz neuen Corona-Varianten

Während die einen das Ende der Pandemie bereits verkündet haben, macht sich eine neu entstandene Subvariante auf, eventuell das Gegenteil zu beweisen. In den USA verbreitet sich die Omikron-Subvariante XBB.1.5 bereits rasant und es gibt indirekte Hinweise, dass sie auch beim massiven COVID-19-Ausbruch in China eine Rolle spielen könnte. Unterdessen ringt sich auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu Tests für aus China Einreisende durch.

In der ersten Woche des Jahres 2023 liegt die 7-Tage-Inzidenz für COVID-19 in Deutschland laut Robert Koch-Institut (Stand 6. Januar 2023) bei nur noch 162,9. Die Zeit der täglichen Inzidenz-Wert-Meldung in den Nachrichten ist lange vorbei, viele sind dreimal geimpft, Masken sieht man im Alltag nur noch selten und auch die COVID-19-Kapazität Christian Drosten, Chefvirologe an der Berliner Charité, erklärte, dass die Pandemie wohl vorbei sei und COVID-19 nur noch endemisch auftrete.

Aber SARS-CoV-2, das bislang vielleicht meistunterschätzte Virus, hält offensichtlich noch Überraschungen bereit. Die neueste heißt XBB.1.5. In Nordamerika verbreitet sich dieser Abkömmling der BA.2-Subvariante der Omikron-Variante von SARS-CoV-2 in diesen Tagen rasant. Laut CDC übernahm die erst Anfang Dezember entdeckte Subvariante innerhalb von nur vier Wochen die Dominanz unter den Neuinfektionen in den USA. Verbunden damit ist anscheinend bei zwar insgesamt sinkenden Neuinfektionen ein Anstieg der Hospitalisierungen. Ob das in direktem Zusammenhang steht, ist allerdings noch nicht erwiesen.

Auf Twitter äußerte auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach seine Besorgnis über diese Entwicklung.

Was über XBB.1.5 bekannt ist 

XBB.1.5 ist eine weitere der zahlreichen Subvarianten der sehr mutationsfreudigen Omikron-Variante des SARS-CoV-2. Weit mehr als die rund 300, die die WHO unter Beobachtung hat, kennt man mittlerweile (etwa 650 sind es aktuell). Man beobachte eine „konvergente Evolution auf Steroiden“ beschrieb das im September vergangenen Jahres der US-Virologe Marc Johnson, dessen Team die BA.5-Subvarianten BQ und BU entdeckt hatte. Die BQ-Abkömmlinge BQ1 und BQ1.1 wiederum hatten seit November in den USA die Dominanz übernommen und die zuvor vorherrschende ursprüngliche BA.5-Sublinie zurückgedrängt.

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XBB.1.5 nun ist die bereits fünfte Variantengeneration nach der Subvariante XBB.1, die sich wiederum von XBB ableitet. XBB herrschte im Herbst in Indien und Bangladesch vor und ist eine Rekombinante der BA.2-Subvariante BJ (aka BA.2.10.11) und der BA.2-Subvariante BA.2.75. Letztere ist auch unter dem Namen „Centaurus“ bekannt und war im Herbst ihrerseits bereits mögliche neue weltweit dominierende Sub(sub)variante vermutet worden. (Ganz genau steckt in der Rekombinante der BA.2.75-Abkömmling BA.2.75.3.1.1.1).

Wie der Anstieg in den USA zeigt, hat die neue Sub(sub)variante XBB.1.5 durchaus viel Potenzial. Sie zeigt eine besonders hohe Ansteckungsgeschwindigkeit und außerdem eine erhöhte Fähigkeit, der Immunabwehr geimpfter oder genesener Menschen zu entkommen. Zu diesem Schluss kommen unter anderem chinesische Forscher in einem Preprint-Artikel, den sie auf dem Preprint-Server BioRxiv jetzt veröffentlichten. In der als Preprint noch nicht von anderen Forschern reviewten Arbeit erklären sie, dass XBB.1.5 durch eine weitere zusätzliche Mutation gegenüber seinem Vorläufer XBB.1 nun sowohl eine stärkere Bindung an den ACE2-Rezeptor (Angiotensin-konvertierendes Enzym 2, der Rezeptor, über den SARS-CoV-2 in die Zelle eindringt) aufweist – und von seinen Vorläufern XBB und XBB.1 die Fähigkeit der Immunflucht geerbt hat.

Führt XBB.1.5 zu schwereren Verläufen?

Bei der Mutation handelt es sich um die F486P-Mutation. Das heißt, an Position 486 des Spike-Proteins, die innerhalb der sogenannten Rezeptorbindedomäne liegt, wurde die Aminosäure Phenylalanin (F im Aminosäuren-Einbuchstabencode) durch Prolin (P) ersetzt.

Ob XBB.1.5 damit auch zu schwereren Verläufen führt, lässt sich noch nicht sagen. Zumindest scheint es den Zusammenhang mit einer steigenden Zahl an Hospitalisierungen zu geben, was aber noch zu konkretisieren ist. Die Virologin Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der TU München, erklärte gegenüber dem ZDF, dass XBB.1.5 aber wohl kein Grund zur Panik sei. Impfungen und Genesung dürften wohl weiterhin mindestens vor schweren Verläufen schützen. Die Entwicklung betrachtet sie als „normal“. Im Sinne einer Koevolution, mit der das Virus sich zu einem endemischen Begleiter der Menschheit entwickelt, lassen sich sowohl Immunflucht als höhere Ansteckungsfähigkeit erklären. „Das Virus muss ja ansteckender werden, um in der Bevölkerung überleben zu können“, drückt es Protzer aus.

In Deutschland bislang BA.5 dominant

In Deutschland herrscht indes nach den Zahlen des RKI noch die Omikron-Subvariante BA.5 vor – laut Wochenbericht vom 5. Januar 2023, der sich auf die letzten Wochen des Jahres 2022 bezieht, in Form der BA-5-Subsubvarianten BF.7 und BQ.1.1. Deren nachgewiesene Anteile unter den Neuinfektionen beliefen sich in der Kalenderwoche 49 demnach auf 24 Prozent und 21 Prozent. Die XBB.1-Rekombinante kam diesen neuesten Zahlen zufolge in der KW 49 auf einen Anteil von einem Prozent.

Unterdessen bekundete auch die Weltgesundheitsorganisation WHO ihre Besorgnis über die neue Subvariante XBB.1.5, die so leicht übertragbar sei wie keine andere bislang zuvor. In den USA sind bereits mehr als 45 Prozent der Neuinfektionen auf diese zurückzuführen, im besonders betroffenen Nordosten sogar mehr als 75 Prozent. Außerdem gab es bereits Nachweise in 29 Ländern weltweit, darunter etwa Pakistan und Indien sowie in Europa.

XBB.1.5 in China?

Die Gesundheitsbehörden in Pakistan vermuten währenddessen, dass die Subvariante aus China gekommen sein könnte, mit dem Pakistan enge wirtschaftliche Beziehungen unterhält. In China wütet seit der recht spontanen Lockerung der Null-COVID-Strategie der Regierung eine gewaltige COVID-19-Welle, bei der Experten von bis zu 250 Millionen möglichen Infizierten sprechen. Da allerdings die chinesische Regierung das offizielle Monitoring eingestellt hat und keine konkreten Zahlen mehr veröffentlicht, ist die tatsächliche Lage nur schwer abzuschätzen.

Kritik gab es dafür nun auch seitens der WHO. „Wir fordern von China weiterhin schnellere, regelmäßige und verlässliche Daten über Krankenhauseinweisungen und Todesfälle sowie eine umfassendere Sequenzierung von Viren in Echtzeit“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. „Weil die Viruszirkulation in China so hoch ist und umfassende Daten nicht geliefert werden, ist es verständlich, dass einige Länder Maßnahmen ergreifen, um ihre eigenen Bürger zu schützen.“

Solche Maßnahmen hat nach Empfehlung der EU am gestrigen Donnerstag auch das Bundesgesundheitsministerium angekündigt. Demnach sollen Reisende, die aus China kommen, getestet werden. Außerdem soll es verstärkt ein Variantenmonitoring aus Abwässern von Flugzeugen, die aus China kommen, geben, sowie von Flughäfen und von Touristenattraktionen, die oft von chinesischen Touristen besucht werden. Ungeachtet der COVID-19-Welle in China sollen ab 8. Januar 2023 chinesischen Staatsbürger wieder Visa beantragen und dann entsprechend reisen können.

Ganz neue Variante aus China rein statistisch betrachtet möglich

Allgemein fürchten Experten weltweit, dass durch die hohe Viruszirkulation in China die Gefahr besteht, dass auch eine ganz neue Variante mit unvorhersehbaren Eigenschaften entstehen könnte. Rein statistisch betrachtet ist diese Möglichkeit in jedem Fall gegeben – mit jedem Infizierten steigt schlicht die Wahrscheinlichkeit dafür.

Die Omikron-Variante in Form ihrer ersten Subvariante BA.1 war so etwa ab November 2021 mit einer erheblichen Zahl neuer Mutationen und damit großem Unterschied zu den vorherigen Varianten recht plötzlich in Südafrika aufgetaucht und hatte innerhalb kurzer Zeit die bis dahin vorherrschende Delta-Variante verdrängt. Eine Anfang Dezember in Science veröffentlichte Arbeit von Charité-Forschern hatte Klarheit in die Herkunft von Omikron bringen sollen, ist aber zwischenzeitlich zurückgezogen worden, weil man Verunreinigungen in Proben entdeckt hatte.

Dementsprechend lässt sich immer noch nicht ausschließen, dass eine nächste vollkommen neue Variante ganz zufällig und ungerichtet entstehen könnte – auch wenn die ansonsten mit Subvarianten wie XBB.1.5 zu beobachtende Omikron-Evolution sich eher in Richtung einer dauerhaften Anpassung an den menschlichen Wirt zeigt.

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