Restaurants und Kneipen dicht, Kinos und Theater auch: Wird das reichen, um die Corona-Lage in Deutschland in den Griff zu kriegen? Die Warnung, dass der Platz auf Intensivstationen knapp werden könnte, werden lauter.
Vor Beginn des Teil-Lockdowns im Kampf gegen Corona an diesem Montag wächst die Sorge vor überlasteten Kliniken. "Schon bald kann es zu einem Kollaps in vielen der 1900 Krankenhäuser in Deutschland kommen", sagte Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) der "Bild am Sonntag". Bund und Länder wollen notfalls Intensivpatienten über ganz Deutschland verteilen. Am Samstag meldete das Robert-Koch-Institut mit mehr als 19.000 Neuinfektionen innerhalb eines Tages einen Höchststand. Nun sollen vier Wochen lang drastische Einschränkungen im öffentlichen Leben die Welle brechen.
Von diesem Montag an müssen bundesweit Gastronomie, Kultur und Freizeiteinrichtungen weitestgehend schließen. Die Bürger sollen sich möglichst wenig persönlich mit anderen treffen. In den meisten Bundesländern dürfen nur noch zwei Haushalte zusammenkommen – teils gilt das auch für Treffen im privaten Raum. Hotels dürfen keine Touristen mehr aufnehmen. Schulen und Kitas bleiben aber offen, die Geschäfte ebenfalls. Das Ziel: durch weniger Kontakte verhindern, dass Gesundheitsämter und Gesundheitssystem überlastet werden.
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"Damals war die Situation übrigens viel weniger dramatisch"
Hans sagte, gerade jetzt, da jeder Intensiv- und Beatmungsplatz dringend benötigt werde, würden Stationen geschlossen und Notaufnahmen abgemeldet. "Grund ist fehlendes oder erkranktes Pflegepersonal." Es brauche wieder "Freihaltepauschalen" – also Ausgleichszahlungen für leere Betten. Der Präsident der Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Uwe Janssens, sagte ebenfalls: "Es ist in einigen Bundesländern nicht mehr viel Spielraum." Mit Blick aufs Frühjahr fügte er hinzu: "Damals war die Situation übrigens viel weniger dramatisch als das, was jetzt auf uns zukommt." dpa/Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa/Symbolbild Ein Beatmungsgerät steht in einem Zimmer auf einer Intensivstation neben dem Bett.
Die Stiftung Patientenschutz fordert Nachbesserungen am sogenannten DIVI-Register, das die Auslastung der Intensivbetten angibt. Es sei zweifelhaft, inwieweit die als verfügbar angezeigten Betten tatsächlich belegt werden könnten, sagte Vorstand Eugen Brysch der dpa. "Im neunten Monat der Pandemie fehlt schlichtweg qualifiziertes Personal, das die professionelle Hilfe am Schwerstkranken leisten kann." Krankenhäuser sollten künftig auch melden, "ob für die Plätze genügend Fachpersonal bereitsteht".
Bayern: Zahl der Covid-Patienten an Beatmungsgeräten vervierfacht
In Bayern zum Beispiel hat sich die Zahl der Covid-Patienten, die auf Intensivstationen beatmet werden, nach Angaben der Bayerischen Krankenhausgesellschaft innerhalb eines Monats mehr als vervierfacht. "Derzeit werden 224 Covid-Patienten auf einer Intensivstation beatmet", sagte der Geschäftsführer der Gesellschaft, Siegfried Hasenbein, am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur in München. "Am ersten Oktober waren es 51."
Die bayerischen Krankenhäuser seien zwar "noch ein gutes Stück" von einer Überlastung entfernt. "Aber das ist natürlich eine besorgniserregende Entwicklung." Insgesamt seien derzeit 1300 nachweislich mit dem Coronavirus infizierte Patienten in einem bayerischen Krankenhaus, 245 von ihnen auf der Intensivstation.
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"Kleeblattprinzip" gegen regionale Überlastungen
Einem internen Konzept des Bundesinnenministeriums zufolge, über das zuerst die Funke-Mediengruppe berichtete, sollen Intensivpatienten notfalls nach einem "Kleeblattprinzip" über ganz Deutschland verteilt werden, um regionale Überlastungen auszugleichen. "Entwickelt sich eine Lage, die eine Verlegung über die Nachbarländer beziehungsweise angrenzende Regionen hinaus erforderlich macht, findet ein sogenanntes Kleeblattprinzip Anwendung", heißt es darin.
Demnach wird Deutschland dazu in fünf Großregionen aufgeteilt, die sich gegenseitig bei der Übernahme von Patienten per Rettungswagen oder Hubschrauber unterstützen sollen. Im Norden haben sich laut Konzept Hamburg, Bremen, Niedersachen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zusammengeschlossen. Im Osten sind es Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Im Südwesten sollen sich Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das Saarland gegenseitig unterstützen. Die bevölkerungsreichsten Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Bayern bilden demnach eigene Großregionen. dpa/Bernd Wüstneck/dpa-Zentralbild/dpa/Symbolbild Ein Bett auf einer Intensivstation.
Teils kommen Gesundheitsämter schon jetzt nicht mehr hinterher, die Kontakte der Infizierten nachzuverfolgen – dabei sind auch immer mehr Soldaten zur Unterstützung in der Corona-Krise im Einsatz. Ihre Zahl hat sich binnen einer Woche in etwa auf 4000 verdoppelt. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sagte am Sonntag in einem Interview mit den Fernsehsendern RTL und ntv: "Wir sind mittlerweile in jedem zweiten Gesundheitsamt aktiv."
Am Sonntag meldeten sie insgesamt 14.177 neue Corona-Infektionen innerhalb eines Tages. An Sonntagen sind die Zahlen meist niedriger, auch weil am Wochenende weniger getestet wird. Am Samstag war mit 19.059 Neuinfektionen wieder ein Rekord vermeldet worden.
Maas: Lage "angespannt", aber besser als in anderen Ländern
Außenminister Heiko Maas sagte dem "Tagesspiegel am Sonntag", die Lage sei zwar "angespannt", aber besser als in einigen anderen Ländern. "Was ich aus dem Ausland an Reaktionen wahrgenommen habe, war eher eine Mischung aus Bewunderung und dem Wunsch, es ähnlich zu machen", sagte der SPD-Politiker. Grenzschließungen schloss er aus: "Die Grenzen werden offenbleiben." Kay Nietfeld/dpa Außenminister Heiko Maas (SPD).
Zuletzt gab es Kritik daran, dass Bundes- und Landesregierungen die Corona-Maßnahmen per Verordnung vorschreiben. Die SPD-Fraktion im Bundestag will nun differenziertere "Leitplanken" als bisher vorgeben. Ein Positionspapier dazu liegt der dpa vor. Bund und Ländern sollen demnach konkrete Vorgaben bekommen, "welche Schutzmaßnahmen unter welchen Voraussetzungen ergriffen werden können und wo Grenzen erreicht sind". Für Eingriffe in Grundrechte wie Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Versammlungsverbote und Erfassung von Kontaktdaten müsse es klare Kriterien geben.
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Keine Garantie für Lockerungen im Dezember
Mehrere Tausend Menschen demonstrierten am Samstag in verschiedenen deutschen Städten gegen die Corona-Maßnahmen. Dazu aufgerufen hatte die Initiative "Querdenken". Erbost sind auch die Veranstaltungs-, die Gastro- und die Kulturbranche. Viele Betriebe fürchten um ihre Existenz. Dass die Maßnahmen länger dauern, schloss Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus nicht aus: "Es ist der Plan, dass wir zum Dezember lockern. Garantieren kann das niemand", sagte er den Funke-Zeitungen.
Merkel: "Der Winter wird hart"
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in ihrem Podcast, dass es nun erneut viele Geschäftsleute träfe, die bereits seit Beginn der Pandemie unter Umsatzeinbußen leiden. Sie versprach schnelle und unbürokratische Hilfe – und wiederholte ihre Einschätzung aus der Regierungserklärung am Donnerstag: "Der Winter wird hart."
Juristen rechnen mit einer Klagewelle. Am Berliner Verwaltungsgericht sind bereits die ersten Eilanträge eingegangen. In welchem Umfang es zu Verfahren kommen werde, sei derzeit noch nicht verlässlich zu prognostizieren, sagte der Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter, Robert Seegmüller, der "Rheinischen Post".
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