Verkehr: Sicher in jedem Alter



Mobilität ist ein Grundbedürfnis jedes Menschen. Was Sie selbst tun können, um im Straßenverkehr möglichst unfallfrei zu bleiben

Ungünstige Lichtverhältnisse sind gerade für ältere Fahrer eine Herausforderung

Das Einkaufen. Den Arzttermin. Die Geburtstagseinladung. Den Kinobesuch. Die Familienfeier. Den Ausflug mit Freunden. All das könnten wir nicht mehr wahrnehmen, wären wir nicht mobil. Ob zu Fuß, mit dem Fahrrad, öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Auto: Ohne Mobilität verlieren wir unsere Selbstständigkeit und viel an Lebensqualität.

300.000 Unfälle mit Personenschäden pro Jahr

Dabei steht für viele das Auto an erster Stelle. Weder die gestiegenen Kosten noch Umweltprobleme oder drohende Fahrverbote haben daran etwas geändert. Die fast 55 Millionen Pkw auf deutschen Straßen verursachen aber auch den größten Anteil an Verkehrsunfällen. Mehr als 300.000, bei denen Verkehrs­teilnehmer getötet, schwer oder leicht verletzt wurden, verzeichnet die Statistik für das vergangene Jahr. 3177 Menschen verloren auf deutschen Straßen ihr Leben. Noch nie seit den 1950er-Jahren war diese Zahl so niedrig (siehe Grafik).

Die Zahl der Verkehrstoten ist seit ihrem Höchststand im Jahr 1970 auf etwa ein Sechstel gesunken. Dazu haben technische Verbesserungen an Fahrzeugen, Gesetze und eine schnellere Notfallversorgung beigetragen. Tippen Sie auf die blauen Punkte, um die jeweiligen Meilensteine einzublenden

 

 

Dennoch scheint das 2011 gesetzte Ziel des Bundesverkehrsministeriums kaum erreichbar, die Zahl der Verkehrs­toten bis 2020 auf etwa 2400 zu senken. Besonders häufig trifft es 18- bis 24-Jährige. Hinzu kommt, dass viele Schwerverletzte ein Leben lang an den Folgen eines Unfalls leiden. Deshalb bemühen sich Ingenieure um weitere technische Verbesserungen, während Verkehrsmediziner und -psychologen die medizinischen und verhaltensbedingten Ursachen der Unfälle beheben wollen. 

Autofahren beansprucht das Gehirn

Pro gefahrenem Kilometer muss ein Autofahrer im Schnitt 125 Beobach­­tungen verarbeiten und 12 Entscheidungen treffen, haben Verkehrspsycho­lo­­gen ausgerechnet. Er muss den ­Gegenverkehr, den Fahrbahnrand, vorausfahrende Fahrzeuge, querende Fußgänger und Verkehrszeichen im Auge behalten.

Die Summe macht das Fahren zu einer komplexen und damit fehleranfälligen Leistung. Denn dass ein Mensch alle Einflüsse gleichzeitig verarbeiten kann, sei ein Mythos, sagt Professor Wolfgang Fastenmeier, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie: "Er muss zur richtigen Zeit die richtige Information aus der Flut der Eindrücke herauslesen und diese in Handlungen übersetzen." Meistens klappt dies gut. Doch je mehr Informationen dabei zu beachten sind, je öfter der Fahrer bremsen, beschleunigen, die Richtung wechseln muss, desto höher die Fehlerquote.

Daddeln während der Fahrt

Diese steigert sich noch, wenn andere Ablenkungen wie Telefonate hinzukommen. Professor Josef Krems vom Institut für Psychologie der TU Chemnitz kann dazu eigene Studien zitieren.

"Die visuelle und die motorische Ablenkung sind entscheidend", sagt er. Also nicht das Gespräch an sich. Wenn aber die Nummer eingetippt werden muss oder die Strecke auf dem Navi verfolgt wird, ist die Unfallgefahr etwa vierfach erhöht. Man sollte also die  Sprachfunktion des Navis nutzen – und das Handy zur Seite legen. Jeder Zehnte daddelt während einer Autobahnfahrt auf dem Smartphone, ergab eine Zählung der Universität Braunschweig.

Nachtfahrt als Blindflug

Viele ältere Menschen werden zunehmend blendempfindlicher, Lichtpunkte verwischen zu Streulicht, die Fähigkeit der Augen zur Anpassung an Hell und Dunkel lässt nach. So kann es passieren, dass ein Fahrer kurzzeitig im Blindflug unterwegs ist, wenn ihm ein Auto auf nasser Straße entgegenkommt. Auch andere Augenleiden bergen große Risiken. Etwa solche, bei denen Gesichtsfeldausfälle auftreten.

Ohnehin ist die Sehschärfe bei Dunkelheit reduziert. "Hier stoßen Menschen rasch an ihre physiologischen Grenzen", sagt Professor Bernhard Lachenmayr, Sprecher der Verkehrskommission der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft und des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands. Linsentrübungen können dies noch verschlimmern.

Wichtig beim Lenken in der Dunkelheit

Ein paar Tipps und eine Forderung hat Lachenmayr: saubere, aber nicht getönte Frontscheiben, Brillen ohne Filter oder Tönung tragen, grauen Star operieren lassen. Und nicht nur die Tagsehschärfe testen lassen, sondern auch Dämmerungssehen und Blend­empfindlichkeit. Nicht wenige Autofahrer, so Lachenmayr, sollten besser auf Nachtfahrten verzichten. Und tagsüber sollte jeder das Licht einschalten. Viele Studien belegen, dass dies die Kollisionszahl merklich mindert.

Eine weitere Gefahr lauert nicht nur bei Nacht: Müdigkeit. Viele Menschen schlafen schlecht, andere nur vermeintlich gut: Sie leiden an Schlaf­apnoe, kurzzeitigen Atemaussetzern im Schlaf. Das bemerken sie meist nicht, aber die Nachtruhe ist nicht erholsam. In einer Umfrage des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) gab jeder vierte Autofahrer an, schon mindestens einmal am Steuer eingenickt zu sein.

Gefährlicher Sekundenschlaf

"Sekundenschlaf kann tödlich sein", warnt Anna-Sophie Börries, Referentin gegen Müdigkeitsunfälle beim DVR. Ihr Tipp: Bei langen Fahrten spätestens alle zwei Stunden eine Pause einlegen. Und wenn man bereits vorher Müdigkeit verspürt: sofort am nächsten geeigneten Ort parken und 10 bis 15 Minuten schlafen – oder den Kreislauf mit Bewegung in Schwung bringen.

Manche Auto-Entwickler versuchen, Müdigkeit durch Technik zu erkennen und den Fahrer dann zu warnen. Allein auf diese Hilfe sollte man sich aber nicht verlassen. Doch grundsätzlich sind sogenannte Assistenzsysteme sinnvoll, ­findet Verkehrspsychologe Josef Krems. So gibt es in einigen Fahrzeugen Brems- oder Spurhalte-Assistenten, oder der Fahrer wird vor dem Überholen gewarnt, wenn ein Auto sich im toten Winkel nähert. Intelligente Tempomaten wiede­rum veranlassen eine Bremsung, wenn der Abstand zum Vordermann zu gering wird.

Trotz aller Vorsicht, trotz technischer Hilfe: Irgendwann lassen die schnelle Verarbeitung von Informationen und das Reaktionstempo nach – beim einen mehr, beim anderen weniger.

Ganz oder gar nicht

"Dagegen kann man aber eine Menge tun", sagt Professor Michael Falkenstein, Direktor des Instituts für Arbeiten, Lernen und Altern in Bochum. Zum Beispiel ein Fahrtraining im echten Verkehr, begleitet von einem speziell ausgebildeten Lehrer – sowie körperliches und Gehirntraining, um die Fitness in beiden Bereichen zu fördern. 

"Einfach möglichst wenig zu fahren wäre jedoch die falsche Strategie", sagt Josef Krems. Denn dann entfällt der Übungseffekt. Nur wer sich gar nicht mehr sicher fühlt, sollte Verzicht üben – es sei denn, er legt nur noch wenige, einfache und ihm gut vertraute Kurzstrecken zurück.

An Alternativen denken

Etwa jede zweite Autofahrt endet übrigens nach weniger als sechs Kilometern. Vieles ließe sich also auch zu Fuß oder – bei genügender Sicherheit – mit dem Rad erledigen. Auch das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs ist in vielen Städten gut – auf dem Land jedoch oft ein Ärgernis.

Und es gibt noch mehr Alternativen: zum Beispiel Gefährte, die auch Gehbehinderten ein motorisiertes Vorankommen ermöglichen. Zunehmend mehr Kommunen und Fördervereine bieten eigene Bürgerbusse oder Bürgerrufautos an: Autos oder Kleintransporter für bis zu acht Fahrgäste, gesteuert von ehrenamtlichen Mitarbeitern. Angebote findet man im Internet. Eines steht jedenfalls fest: Wer aufs eigene Auto verzichtet, der schont nicht nur den Geldbeutel – sondern vor allem die Umwelt.

Wann man das Auto besser ­stehen lässt

Bei einigen Krankheiten und der Einnahme bestimmter Medikamente sollte ein Auto nicht mehr selbst gefahren werden.

  • Bestimmte Herzleiden wie Rhythmusstörungen können mit Ohnmachts­­anfällen einhergehen. Das Fahren ist erst wieder erlaubt, wenn diese Anfälligkeit ­erfolgreich behandelt wurde. Wie lange der Patient damit warten muss, hängt von der Art des Herzleidens ab. Der Arzt muss das im Einzelfall entscheiden.
  • Psychoaktive Medikamente wie Schlaf- und Beruhigungsmittel, namentlich Benzodiazepine und ­Neuroleptika, sowie vor allem ältere Mittel gegen Allergien (Antihista­minika) schränken die Fahr­tüchtigkeit erheblich ein. Dann sollte man möglichst kein Fahrzeug steuern.
  • Diabetespatienten können meist am Straßenverkehr teilnehmen. Wer ein erhöh­tes Risiko für Unter­zuckerungen hat oder an Folgeerkrank­un­gen leidet, sollte die Fahrtauglichkeit mit dem Arzt besprechen.
  • Epileptische Anfälle bedingen zunächst ein Fahrverbot. Wann ein Patient wieder hinter das Steuer darf, hängt vom Risiko für erneute Anfälle ab und sollte daher mit dem Neurologen besprochen werden.  
  • Eine schwere Demenz schließt ­Autofahren aus. Bei leichter Ausprägung sollte am besten ein Gutacher klären, ob der Führerschein bereits abgegeben  werden muss.
  • Kurzzeitige Erkrankungen wie grippale Infekte, Magen-Darm-Leiden oder Migräne bedingen kein grundsätz­liches Fahrverbot. Jeder Betrof­fene muss verantwortungvoll selbst entscheiden, ob er fahrfähig ist.

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