Virologe Christian Drosten vergleicht die aktuelle Lage in der Coronakrise mit der Tanzphase mit einem Tiger, der mittlerweile zwar angeleint ist, dessen Gefahr aber weiter besteht. Eine bestimmte Menge an Infektionen sei zu verkraften, doch würde diese überschritten, müsse der Lockdown sofort wieder her.
Drosten befasst sich in der aktuellsten Folge des NDR-Podcasts "Das Coronavirus-Update" mit einer am 13. Mai erschienenen Studie, die er als „weltweite Neuheit“ bezeichnet. Seit Beginn der Corona-Pandemie lautet der öffentliche Diskurs: Wirtschaft retten oder Infektionszahlen niedrig halten – beides zusammen geht nicht. Nun versucht eine vom Ifo-Institut veröffentlichte Studie erstmals, gesundheitliche und wirtschaftliche Aspekte gleichermaßen zu betrachten. So soll der goldene Mittelweg zwischen den Interessen der Wirtschaft und der Medizin gefunden werden.
"300 Neuinfektionen pro Tag in Deutschland ließen sich beherrschen"
„Das ist genau das, was wir jetzt brauchen“, zeigt sich der Direktor der Berliner Charité begeistert. Den exakten Vorgang der Forschung möchte er aber nicht detailliert wiedergeben: „Ich kann das überhaupt nicht verstehen, was da gemacht wird; ich bin kein Experte für Wirtschaft, sondern für Viren.“
Doch Drosten lässt seine treue Hörerschaft nicht im Stich und versucht sich an einer Erklärung. Ganz grob vereinfacht ließen sich zu Gunsten der Wirtschaft 300 Neuinfektionen pro Tag in Deutschland in den Griff bekommen. Dies würde einem Reproduktionswert von 0,75 entsprechen. Das heißt, dass bis Sommer 2021 – hier rechnet der Top-Virologe mit einem Impfstoff – noch 10.000 Menschen an Covid-19 sterben. Grundannahme sei dabei, nicht in einen neuen Lockdown zu müssen.
Drosten: "Unsere Gesellschaft toleriert es nicht, alte Personen zu opfern"
Sollten die Fallzahlen jedoch die 300 überschreiten, müsse die Wirtschaft „wieder zurück auf Null“. Denn: „Wir leben in einer Gesellschaft, die es nicht toleriert, dass alte Personen geopfert werden“ – auch wenn Einzelmeinungen dies propagieren würden.
Drosten versucht die derzeitige Situation mit „The Hammer and the Dance“, einem Konzept der Pandemieforschung, anschaulich darzulegen. „Der Hammer“ sei gleichbedeutend mit dem totalen Lockdown gewesen – weil man nicht wusste, an welchen Stellen die Infektion zu unterbrechen sei, hätte man sie mit einem Hammer einfach überall unterbrochen.
"Wir sind jetzt in der Tanzphase"
„Wir sind jetzt in der Tanzphase mit dem Tiger“, sagt Drosten, „wir haben ihn an der Leine. Wenn das gut läuft, können wir die Leine nachjustieren.“ Bedeutet: Wenn die langsamen Lockerungen ohne vermehrte Infektionen einhergehen, können mehr und mehr Schritte zurück in die Normalität unternommen werden.
Wo das Virus sich jetzt und in Zukunft besonders häufig überträgt, dass lasse sich wiederum anhand deutscher Studien nur schwer herausfinden – auf Grund der vergleichsweise geringen Infektionszahlen. Pläne für Schulstudien gäbe es, aber um daraus wirkliche Erkenntnisse zu ziehen „da müssen schon ganz schöne Zufälle zustande kommen“.
Top-Virologe Drosten berichtet von Morddrohungen
FOCUS Online/Wochit Top-Virologe Drosten berichtet von Morddrohungen
Drosten setzt seine Hoffnung stattdessen auf die deutschen Gesundheitsämter. Diese sollten basierend auf Symptome Ausbrüche bemerken. Aus den USA, wo die Infektionstätigkeit in der Bevölkerung deutlich größer ist, könne man dagegen bald wissenschaftliche Analysen zur Ansteckung in Kitas und Schulen erwarten.
Zum Krankheitsverlauf von Sars-CoV-2 selbst betont Drosten wie bereits in vorangegangenen Podcast-Folgen: „Das Herz ist Zielorgan.“ Der erste klinische Eindruck von Corona-Patienten gleiche einem Herzinfakt. Auch die Niere könne – ausgelöst durch Blutgerinnsel im Körper- bei schwer erkrankten Patienten beschädigt werden.
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Kawasaki-Syndrom: „Betroffen sind nur 3,5% der infizierten Kleinkinder“
Menschen mit Neigung zu Thrombose könnten sich deswegen vorsorglich als Risikopatient betrachten – im Umkehrschluss ließe sich aber auch behaupten: „Patienten, die unter einer dauerhaften gerinnungshemmenden Therapie sind, könnten denken, dass sie durch die bestehende Medikation einen Schutz vor schweren Verläufen haben“.
Weiter schneidet Drosten auch die selten vorkommenden – jedoch existierenden – schweren Krankheitsverläufe bei Kleinkindern an. Zuletzt berichteten viele Medien über an Sars-CoV-2 erkrankte Kinder, die Symptome des Kawasaki-Syndroms aufzeigten. Hier stellt der Virologe klar: „Betroffen sind nur 3,5% der infizierten Kleinkinder“. Über die genauen Ursachen seien sich internationale Kinderärzte noch unsicher.
Von dem derzeitigen Verlauf der Pandemie in Deutschland zeigt sich Dr. Drosten beeindruckt: „Ich finde es sehr positiv, dass wir keinen nachhaltigen Anstieg der Infektionen haben – das war letzte Woche noch anders“.
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