Mehr Corona-Tote als gedacht? Forscher glauben, Zahlen könnten unterschätzt werden

Weltweit sind mittlerweile mehr als 616.000 Menschen infolge einer Coronavirus-Infektion gestorben. Soweit die offiziellen Zahlen (Stand: 22.7.). Aber wie hoch ist die Dunkelziffer? Forscher zeigen für Italien und die USA, dass die Todesfälle dort möglicherweise unterschätzt wurden. 

Klar ist: Im Frühjahr 2020 sind in vielen Ländern mehr Menschen gestorben als sonst. Unklar dagegen, was genau die höhere Sterberate erklärt und welche Rolle Corona spielt. Ein Überblick:

Italien

41.329 Menschen starben in Italien im schlimmsten Monat der Corona-Pandemie – etwa 20.000 mehr als im Schnitt in den fünf Jahren zuvor. Das berichten Forscher in einem kürzlich in der US-Fachzeitschrift "Jama Internal Medicine" veröffentlichten Bericht. Das bedeutete einen Anstieg der Sterblichkeit um 104,5 Prozent.

Die Autoren hatten in ihrer Untersuchung den Anstieg der absoluten Zahl der Todesfälle im ersten Quartal 2020 mit den Vorjahren und der berichteten Zahl der Covid-19-Todesfälle verglichen. Für den Zeitraum zwischen 1. März und 4. April stellten sie eine Verdoppelung der Sterberate fest.

Bei Menschen, die 74 Jahre alt oder älter waren, verdoppelte sich die Zahl der Todesfälle im Vergleich zu den vorherigen fünf Jahren von im Schnitt 15.677 auf 32.829 Tote. In der Lombardei, der am schlimmsten betroffenen Region Italiens, stieg die Sterblichkeitsrate um 173 Prozent, unter Männern in der Region auf 213 Prozent.

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Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass die Zahl der Corona-Toten damit noch deutlich über den Angaben der Behörden lag: Denn den offiziellen Zahlen nach waren bis Anfang April 15.000 Menschen an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben.

In ihrem Bericht nennen die Autoren verschiedene Gründe, die die Diskrepanz von mehr als 5000 Toten (zu den 20.000) erklären können. Unter anderem könnten Menschen infolge von bereits vorher bestehenden Krankheiten verstorben sein, die das Virus nur verstärkt habe. In den offiziellen Zählungen wurden zudem nur die Corona-Toten in Krankenhäusern und Pflegeheimen registriert, was den Autoren zufolge zum Teil die fehlenden 5000 Opfer erklären könnte.

USA

Auch in den USA ist die Sterblichkeit seit Corona einer weiteren Publikation in der Fachzeitschrift „Jama Internal Medicine“ zufolge stark gestiegen. In dem untersuchten Zeitraum von März bis Mai seien mit 781.000 Verstorbenen demnach mehr als 120.000 Menschen mehr gestorben als in den Vorjahren. Damit ist die Zahl der Todesfälle in den USA im untersuchten Zeitraum um 28 Prozent höher, als es die Statistiken zu Covid-19-Toten vermuten lassen. Im Zeitraum von Anfang März bis Ende Mai waren nach offiziellen Zahlen in den USA mehr als 95.000 Todesfälle auf Covid-19 zurückgeführt worden.

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    Allerdings erklären die Autoren, dass die zusätzlichen Toten nicht an den Folgen einer Coronavirusinfektion verstorben sein müssen. Zudem seien Todesfälle zum Teil aufgetreten, bevor ausreichend Coronatests zur Verfügung gestanden hätten. Somit wären diese Verstorbenen, auch wenn sie mit Sars-CoV-2 infiziert waren, nicht in die offizielle Corona-Todesstatistik aufgenommen worden.

    Großbritannien

    In Großbritannien gibt es ebenfalls Grund zur Annahme, dass die offizielle Zahl der Corona-Toten bisher zu gering ausfallen könnte. Zahlen der Statistikbehörden zufolge wurden bis Mitte Juli beinahe 55.000 Todesfälle erfasst, bei denen die Lungenkrankheit Covid-19 im Totenschein erwähnt wurde.

    Die Übersterblichkeit für die Zeit der Pandemie soll Berechnungen der „Financial Times“ zufolge aber sogar bei 65.700 liegen. Die Übersterblichkeit gibt das Plus an Toten während der Pandemie im Vergleich zum Durchschnitt der Vorjahre wieder.

    Spanien

    In Spanien betrug die Übersterblichkeit laut einem Bericht der Zeitung „El País“ im Zeitraum 1. März bis 2. Juni 42 Prozent. Nach den Zahlen des zentralen Sterberegisters starben in dieser Zeit 43.866 Menschen mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

    27.934 von ihnen waren positiv auf Covid-19 getestet worden. Bei den restlichen 15.932 handelt es sich möglicherweise um Menschen, bei denen das Virus nicht entdeckt wurde oder um solche, die an anderen Krankheiten litten und wegen Überlastung des Gesundheitssystems nicht ausreichend versorgt wurden. Denkbar sei zudem, dass Kranke aus Angst vor Covid-19 keinen Arzt aufgesucht hatten.

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    Die Kurve der Übersterblichkeit steigt in Spanien ab etwa Mitte März steil an und erreicht Anfang April mit 155 Prozent ihren Spitzenwert. Damals wurden fast 1000 Corona-Tote pro Tag registriert. Danach flacht die Kurve langsam ab und erreicht Anfang Juni wieder das durchschnittliche Niveau.

    Deutschland

    In Deutschland sind die Sterbefallzahlen von Januar bis März 2020 nicht auffallend angestiegen, wie das Statistische Bundesamt schreibt: „Im April lag die Zahl der Gestorbenen allerdings mit derzeit etwa 83.400 gemeldeten Fällen deutlich über dem Durchschnitt der Vorjahre (+9 Prozent).“ In absoluten Zahlen heißt das, dass gut 6800 Menschen mehr im April verstarben als in den letzten Jahren im Vergleichszeitraum.

    In ungefähr diesem Zeitraum, nähmlich in den Kalenderwochen 14 bis 18, also vom 30.3. bis zum 3.5., hieß die offizielle Todesursache von mehr als 6000 Menschen in Deutschland Corona. Der Unterschied zwischen Übersterblichkeit und Zahl der Corona-Toten ist in Deutschland im April also geringer ausgeprägt, als in anderen Ländern zu beobachten. Schon im Mai hatten sich die Zahl der Verstorbenen in Deutschland wieder der der Vorjahre angeglichen.

    Corona-Tote: Was gilt es bei der Übersterblichkeit zu beachten?

    Der Ländervergleich zeigt, dass bereits mehr Menschen infolge einer Corona-Erkrankung verstorben sein könnten als offiziell gemeldet. Allerdings können, wie zum Teil bereits genannt, auch andere Effekte zu den Differenzen zwischen Übersterblichkeit und gemeldeten Corona-Toten führen, etwa könnten Menschen aus Sorge sich anzustecken nicht oder zu spät zum Arzt gegangen sein.

    Ebenso könnten Vorsorgetermine verschoben und so eventuell Krankheiten nicht erkannt worden sein. Manche Experten vermuteten bereits, dass durch die Lockdown-Maßnahmen Suizidraten gestiegen sein könnten. Eine klare Antwort auf die Frage, wie viele Menschen bisher tatsächlich an Covid-19 gestorben ist, kann daher derzeit nicht gegeben werden.

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    Auch Sterberaten sind länderübergreifend schwer zu vergleichen

    Auch die Sterberate, also die Anzahl derer, die an einer Sars-CoV-2-Infektion sterben im Verhältnis zu allen Infizierten, variiert derzeit von Land zu Land. Das liegt unter anderem daran, dass das Vorgehen in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich ist und dadurch schwer vergleichbar, denn

    • in manchen Ländern werden unklare Todesfälle auf Covid-19 getestet, in anderen nicht.
    • es ist teilweise nicht klar, ob Corona oder vielmehr eine Vorerkrankung zum Tod geführt hat.
    • es sind in verschiedenen Ländern unterschiedliche Altersgruppen besonders von einer Coronainfektion betroffen.
    • die Todeszahlen hängen auch damit zusammen, wie gut das Gesundheitssystem ausgestattet ist und die Erkrankten behandeln kann.

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