Lockerungen der Corona-Maßnahmen: Diese Aktivitäten wollen Mobilitätsforscher als erstes ermöglichen

Es ist ordentlich Dampf auf dem Kessel. Die Unruhe wächst. Nach mehr als einem Jahr Pandemie ist die Sehnsucht nach Normalität groß. Für vollständig Geimpfte und Genesene sollen noch in dieser Woche Lockerungen beschlossen werden, Grundrechtseinschränkungen zurückgenommen werden. Doch wann wir wieder ins Restaurant können, wann Kinobesuche und das Tanzen im Club wieder möglich sind, das steht weiter in den Sternen.

Hoffnung machen jetzt Mobilitätsforscher:innen. Im neuesten "Modus-Covid"-Bericht der Arbeitsgruppe um Kai Nagel von der Technischen Universität Berlin kommen sie zu dem Schluss, dass "sehr bald" weitreichende Teilöffnungen möglich seien und zwar in solchen Bereichen, die kaum einen Beitrag zum Infektionsgeschehen leisten. Und auch in anderen Teilbereichen sind Öffnungsschritte denkbar, solange weiterhin Schutzmaßnahmen eingehalten werden. Die Sache hat aber einen Haken: Die Öffnungsstrategie müsste überarbeitet werden.

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Neue Öffnungsstrategie losgelöst von Inzidenzen

Derzeit greifen Lockerungen und Restriktionen automatisch, wenn bestimmte Inzidenzwerte unter- oder überschritten werden. Genau das aber führe mit "hoher Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit zu einem Jojo-Effekt". Die Forscher:innen schlagen daher eine neue, vierstufige Herangehensweise vor, die zwar eine langsamere Öffnung vorsieht, laut Modellen aber nachhaltiger sei und eine "weiche Landung" ermöglichen würde.

1. Definition des Öffnungsschritts 
2. Umsetzung
3. Bewertung der Auswirkungen nach drei Wochen.
4. Nächster Schritt oder Rücknahme: Ist die Inzidenz in diesen drei Wochen signifikant gesunken, kann der nächste Öffnungsschritt angegangen werden. Ist sie allerdings wieder gestiegen, müsste die Lockerung zurückgenommen werden. 

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Öffnungen nach drei Prinzipien

Die größte Herausforderung bei dieser Strategie sehen die Forscher:innen darin, die Öffnungsschritte zu bestimmen. Sie müssten demnach klein genug sein, damit sie den "jeweils vorhandenen Spielraum nicht überfordern, aber groß genug, um signifikante Veränderungen darzustellen". Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, schlagen sie drei grundsätzliche Öffnungsprinzipien vor, welche auf Basis des derzeitigen Wissens über die Pandemie ausgearbeitet wurden.

  • Von Außenaktivitäten zu Innenaktivitäten
  • Von Aktivitäten mit geringer Personendichte zu solchen mit hoher Personendichte
  • Erst Aktivitäten in geschützten, dann auch in ungeschützten Kontexten

Stufenmodell: Was wäre wann erlaubt?

Erste Stufe

Geht's nach den Forscher:innen könnte in einem ersten Schritt die Gastronomie etwas aufatmen und zumindest eine Bewirtung an der frischen Luft möglich werden. Auch Veranstaltungen wie Konzerte könnten demnach unter freiem Himmel bald wieder stattfinden. Grundsätzlich sehen die Forscher:innen im ersten Schritt Lockerungen dort, wo mindestens zwei der von ihnen definierten Prinzipien erfüllt sind, geknüpft sind solche Öffnungen aber weiterhin an Schutzmaßnahmen wie Maskenpflicht, Schnelltests oder Impfungen. "Die Öffnungsschritte der ersten Stufe haben laut unseren Modellen keinen starken Einfluss auf das Infektionsgeschehen", heißt es in dem Bericht. Die Einschränkung: "Sie dürften aber ein insgesamt höheres Aktivitätsniveau zur Folge haben, welches nicht genau vorhersagbar ist." 

  • Außengastronomie: mit gültigem Schnelltest oder Impfung
  • Freiluftkonzerte etc.: mit gültigem Schnelltest oder Impfung
  • Museen etc.: reduzierte Personendichte, Maskenpflicht und gültiger Schnelltest, alternativ Impfung
  • Konzerte etc.: Maskenpflicht und gültiger Schnelltest, alternativ Impfung (außen)
  • Einzelhandel: geringe Personendichte, Maskenpflicht und gültiger Schnelltest, alternativ Impfung
  • Aufenthalte in Parks: bei geringer Personendichte

Zweite Stufe

Die Rufe danach, die Schulen wieder zu öffnen, den Kindern eine Rückkehr in die Klassenräume zu ermöglichen werden immer lauter. Ein Lockern der Schutzmaßnahmen dort sehen die Forscher allerdings erst in einem zweiten Schritt als vertretbar. Sie schlagen vor, dann beispielsweise die Maskenpflicht abzuschaffen oder den Wechselunterricht zu beenden. Auch erste Öffnungsschritte in Universitäten und Beherbergungsbetrieben wären denkbar. 

  • Schulen: Aufhebung der Maskenpflicht oder Verzicht auf Wechselunterricht
  • Teilöffnung Universitäten: reduzierte Personendichte, Maskenpflicht, Schnelltests, alternativ Impfung
  • Beherbergungsbetriebe ohne Innengastronomie
  • Veranstaltungen in größeren Innenräumen: reduzierte Personendichte, Maskenpflicht und gültiger Schnelltest, alternativ Impfung

Dritte Stufe

"Wir erwarten, dass jetzt Hotels, Restaurants und natürlich die Außengastronomie" geöffnet werden, sagte Dehoga-Chefin Ingrid Hartges den Sendern "RTL" und "ntv" mit Blick auf Erleichterungen für Geimpfte, Genesene und negativ auf das Coronavirus Getestete. Die Branche liege "am Boden", und die Situation spitze sich weiter zu. Die Mobilitätsforscher sind vorsichtiger. Öffnungen der Innengastronomie sind erst im dritten Öffnungsschritt anvisiert – allerdings auch dann noch stark limitiert. Innengastronomie, Kneipen und Clubs und auch Feiern in privaten Innenräumen halten die Forscher:innen weiterhin für "problematisch". Sie entsprächen keiner der drei vorgeschlagenen Öffnungsprinzipien.

  • Vollöffnung von Schulen: Schnelltests oder Impfung
  • Universitäten: Aufhebung Maskenpflicht oder Verzicht auf reduzierte Raumbelegung, Schnelltests oder Impfung
  • Teilöffnung Innengastronomie: halbierte Personendichte, Schnelltests oder Impfung

Vierte Stufe

  • "Langsame Reduzierung": generelle Reduktion von Schutzmaßnahmen

Welche Auswirkungen hätten die Öffnungsschritte?

Die Mobilitätsforscher:innen haben im Modell simuliert, wie sich die vorgeschlagenen Öffnungsschritte auf die Pandemieentwicklung auswirken könnten. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die "Lockerungen mit hoher Wahrscheinlichkeit kaum Einfluss auf die 7-Tage-Inzidenz" hätten (orange). Ebenfalls durchgespielt haben sie die Varianten a) die bisherigen Maßnahmen bleiben beibehalten (blau) und b) eine sofortige weitgehende Öffnung (grün).

Die Simulation zeigt, wenn alles bleibt wie es derzeit ist, flacht die Kurve schnell ab. Der Vergleich verdeutlicht zudem, dass ein ähnlicher Effekt auch mit stufenweisen Teilöffnungen und etwas mehr Geduld zu erreichen ist. Nach den Öffnungen kommt es zwar zu einem Anstieg der Fallzahlen, nach einigen Wochen nähern sich die Kurven aber an. Eine schnelle weitgehende Öffnung würde laut Modell direkt in eine vierte Welle führen.

Quelle: Modus-Covid, dpa

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