COVID-19: Psychische und neurologische Störungen noch lange nach Erkrankung – Heilpraxis

Folgen von COVID-19 für die Psyche

Verstärkt eine Erkrankung an COVID-19 die Wahrscheinlichkeit, dass betroffene Personen in der nachfolgenden Zeit psychische und neurologische Beschwerden entwickeln? Eine Studie gibt dringend benötigte Antworten.

COVID-19 ist mit einem erhöhten Risiko für bestimmte neurologische und psychiatrische Störungen verbunden, so das Ergebnis einer Untersuchung unter Beteiligung von Forschenden der international hoch anerkannten University of Oxford. Die Studie wurde in dem englischsprachigen Fachblatt „The Lancet Psychiatry“ veröffentlicht.

Psychische und neurologische Auswirkungen von COVID-19

Die Ergebnisse der Beobachtungsstudie zeigen, dass einer von drei COVID-19 überlebenden Personen innerhalb von sechs Monaten nach der Infektion mit SARS-CoV-2 eine neurologische oder psychiatrische Diagnose gestellt wurde. Bei der Studie wurden 14 unterschiedliche neurologische und psychische Gesundheitsstörungen untersucht.

Psychische Probleme und Schlaganfall nach COVID-19

„Dies sind Daten aus der realen Welt von einer großen Anzahl von Patienten. Sie bestätigen die hohen Raten psychiatrischer Diagnosen nach COVID-19 und zeigen, dass auch schwere Störungen des Nervensystems (wie Schlaganfall und Demenz) auftreten. Letztere sind zwar viel seltener, aber signifikant, insbesondere bei denjenigen, die eine schwere Erkrankung durch COVID-19 erlitten haben“, erklärt Studienautor Professor Paul Harrison von der University of Oxford.

Viele auftretende Erkrankungen sind chronisch

Obwohl die individuellen Risiken für die meisten Erkrankungen lediglich gering ausfallen, können die Auswirkungen auf die gesamte Bevölkerung für die Gesundheits- und Sozialsysteme aufgrund des Ausmaßes der Pandemie und der Tatsache, dass viele dieser Erkrankungen chronisch sind, erheblich sein, berichtet das Team weiter.

Infolgedessen sollten die Gesundheitssysteme mit Ressourcen ausgestattet werden, um den erwarteten Bedarf zu decken, sowohl innerhalb der Primär- als auch der Sekundärversorgung, fordern die Forschenden.

In einer früheren Beobachtungsstudie der gleichen Forschungsgruppe wurde bereits darüber berichtet, dass COVID-19-Überlebende in den ersten drei Monaten nach der Infektion ein erhöhtes Risiko für Stimmungs- und Angststörungen ausweisen. Bisher gab es jedoch nach Aussage der Fachleute keine groß angelegten Daten, welche das Risiko für neurologische sowie psychiatrische Diagnosen in den sechs Monaten nach der COVID-19-Infektion untersuchten.

Welche Daten wurden ausgewertet?

Für die aktuelle Studie wurden die Daten aus den elektronischen Gesundheitsakten von 236.379 Menschen mit COVID-19 aus dem US-amerikanischen TriNetX-Netzwerk analysiert, welches mehr als 81 Millionen Menschen umfasst. Teilnehmende Personen, welche älter als zehn Jahre waren und sich nach dem 20. Januar 2020 mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert hatten und am 13. Dezember 2020 noch am Leben waren, wurden in die aktuelle Analyse miteinbezogen.

Diese Gruppe von Teilnehmenden wurde mit 105.579 Personen, bei denen Influenza diagnostiziert wurde, und 236.038 Menschen, bei denen eine beliebige Atemwegsinfektion (einschließlich Influenza) diagnostiziert wurde, verglichen.

Insgesamt lag die geschätzte Inzidenz der Diagnose einer neurologischen oder psychischen Störung nach einer Infektion mit COVID-19 bei 34 Prozent. Für 13 Prozent dieser Personen war es die erste erfasste neurologische oder psychiatrische Diagnose, berichtet das Team.

Angst- und Stimmungsstörungen besonders häufig

Die häufigsten Diagnosen nach COVID-19 waren Angststörungen (bei 17 Prozent), Stimmungsstörungen (14 Prozent), Störungen durch Substanzmissbrauch (sieben Prozent) und Schlaflosigkeit (fünf Prozent), so die Forschenden. Die Inzidenz neurologischer Folgen war laut Aussage der Fachleute deutlich geringer, und betrug 0,6 Prozent für Hirnblutungen, 2,1 Prozent für ischämische Schlaganfälle und 0,7 Prozent für Demenz.

Höchstes Risiko nach schwerer Erkrankung durch COVID-19

Das Risiko für eine neurologische oder psychiatrische Diagnose war am größten bei Personen, welche eine schwere COVID-19-Erkrankung hatten, aber grundsätzlich war das Risiko nicht auf diese Personen beschränkt, berichtet das Team.

Im Vergleich zur Gesamtinzidenz von 34 Prozent wurde eine neurologische oder psychiatrische Diagnose bei 38 Prozent der Menschen gestellt, die in ein Krankenhaus eingeliefert wurden. Zudem erhielten 46 Prozent der Personen auf einer Intensivstation und 62 Prozent derjenigen, die während ihrer Erkrankung ein Delirium (Enzephalopathie) erlitten, eine entsprechende Diagnose, erläutern die Forschenden.

Hirnblutungen durch COVID-19?

Insgesamt hatten 2,7 Prozent der Personen, die intensivmedizinisch betreut werden mussten, und 3,6 Prozent der Menschen mit Enzephalopathie eine Hirnblutung (im Vergleich zu 0,3 Prozent bei Personen ohne Krankenhausaufenthalt). Außerdem hatten 6,9 Prozent der intensivmedizinisch betreuten Menschen und 9,4 Prozent der Personen mit Enzephalopathie einen ischämischen Schlaganfall (im Vergleich zu 1,3 Prozent ohne Krankenhausaufenthalt).

1,7 Prozent der intensivmedizinisch betreuten Menschen und 4,7 Prozent der Personen mit Enzephalopathie entwickelten eine Demenz (0,4 Prozent ohne Krankenhausaufenthalt) und bei 2,8 Prozent bzw. sieben Prozent wurde eine psychotische Störung diagnostiziert (0,9 Prozent ohne Krankenhausaufenthalt), erläutert das Team.

Vergleich mit der Grippe

Die Forschenden untersuchten auch Personen, welche im gleichen Zeitraum an Grippe und anderen Atemwegsinfektionen erkrankten, um besser zu verstehen, ob diese neurologischen und psychischen Komplikationen spezifisch mit COVID-19 zusammenhängen.

Nach Berücksichtigung der zugrundeliegenden Gesundheitsmerkmale, wie Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und bestehende Gesundheitsbeschwerden, gab es insgesamt ein 44 Prozent höheres Risiko für neurologische und psychische Diagnosen nach COVID-19 als es nach einer Grippe der Fall war, erklären die Forschenden. Das Risiko für eine neurologische und psychische Störung sei außerdem nach COVID-19 um 16 Prozent höher als bei einer Atemwegsinfektion.

COVID-19 führt tatsächlich zu einem größeren Risiko für neurologische und psychiatrische Störungen, verglichen mit Grippe und Atemwegsinfektionen. Dies galt jedoch nicht für alle Erkrankungen, es gab keine eindeutigen Hinweise darauf, dass COVID-19 zu einem erhöhten Risiko für Parkinsonismus oder das Guillain-Barré-Syndrom führt, fügen die Forschenden hinzu.

Zugrundeliegende Mechanismen müssen identifiziert werden

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Hirnerkrankungen und psychiatrische Störungen nach COVID-19 häufiger auftreten als nach Grippe oder anderen Atemwegsinfektionen, so das Team. „Wir müssen jetzt beobachten, was nach sechs Monaten passiert. Die Studie kann die beteiligten Mechanismen nicht aufdecken, weist aber auf die Notwendigkeit weiterer Forschung hin, um diese zu identifizieren, mit dem Ziel, sie zu verhindern oder zu behandeln“, erklärt Studienautor Dr. Max Taquet von der University of Oxford in einer Pressemitteilung.

Laut Aussage der Fachleute gab es allerdings verschiedene Einschränkungen bei der aktuellen Untersuchung. Die Vollständigkeit und Genauigkeit der elektronischen Gesundheitsakten sei nicht genau bekannt. Außerdem haben viele Menschen mit COVID-19 lediglich milde oder gar keine Symptome und suchen keine medizinische Versorgung auf. Daher sind die hier untersuchten Personen wahrscheinlich stärker betroffen, berichten die Fachleute. Zusätzlich sei der Schweregrad und Verlauf der neurologischen und psychiatrischen Störungen nicht bekannt. (as)

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