Wandern: Einmal die Alpen überqueren



Den Fernwanderweg E5 von Oberstdorf nach Meran können auch Hobbysportler bewältigen. Die besten Tipps für die Herausforderung Transalp

Verwunschen: Die Untere Seewiese mit Memminger Hütte in Tirol

Etwa auf halber Etappe an Tag zwei, irgendwo auf dem Weg von der Kemptner zur Memminger Hütte, hängt dieses Schild am Wegesrand: "Liebe Bergsteigerinnen und Bergsteiger. Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass dies die letzte Stelle im Madautal ist, an der Sie ihre Liebsten zu Hause anrufen, E-Mails ­lesen und Fotos auf Facebook sowie Insta­gram laden können. Das Handynetz ist fast bis gar nicht vorhanden bis Zams. Wir wünschen Ihnen noch eine gute Wanderung und erholsame Stunden offline."

Hier in den Seitentälern der Alpen wird mit jedem Höhenmeter nicht nur die Luft dünner, sondern auch der Mobilfunk­empfang schwächer. "Die Vorstellung, am Berg müsse alles laufen und funktionieren wie im Tal, sollte man bei einer Alpenüberquerung besser zu Hause lassen", rät die Bergwanderführerin Nina Ruhland.

Weitergehen, wenn nichts mehr geht

Seit Jahren beobachtet der Deutsche Alpen­verein (DAV) einen Ansturm auf die Bergwelt. Nicht mehr nur erfahrene Alpinisten, auch immer mehr Hobbysportler wollen hoch hinaus. Ruhe finden, sich sportlich beweisen, ein kleines Abenteuer erleben oder einfach einem Trend folgen. Zehn­tausende Menschen machen sich jeden Sommer auf den Weg über die Alpen. Für manche ist bereits die Erkenntnis, dass sie beim Wandern kein Internet haben werden, eine Herausforderung. Und es bleibt nicht die einzige.

Beliebteste Route über die Gipfel – gerade bei Unerfahrenen – ist eine Etappe des Fernwanderwegs E5 von Oberstdorf im Allgäu ins Südtiroler Meran. Es gibt mehrere Tourvarianten. Eine führt in sechs Tages­etappen über den Alpenhauptkamm und durch drei Länder. Sie ist mit entsprechendem Training auch für Hobbywanderer machbar.
Tag zwei endet an der Memminger Hütte – nach sieben Stunden, davon fast 800 Meter steil hinauf. "Alpenüberquerer brauchen eine gute Kondition, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit. Außerdem ein großes Herz und einen starken Kopf", sagt Ruhland. Um auch dann weiterzugehen, wenn gefühlt eigentlich nichts mehr geht.

Die Höhe ist bei dieser Variante des Wanderwegs nicht das Problem. Der höchste Punkt, die Similaunhütte in den Ötztaler Alpen unterhalb des gleichnamigen Gletschers, liegt auf über 3000 Meter. "Als Wanderer merkt man dort oben eine leichte Leistungsreduktion", sagt der Sport- und Höhenmediziner Dr. Christoph Dehnert aus Zürich. Mehr aber meistens nicht.

Testwanderung machen

Größere Probleme dürften überlas­tete Kniegelenke und Sehnen durch teils kraft- und nervenraubende Abstiege bereiten. Nicht richtig eingelaufene Schuhe oder Socken aus dem falschen Material können Blasen verursachen. Und bei einem zu schweren Rucksack drohen Rückenschmerzen. Tipp von Expertin Ruhland: möglichst wenig mitnehmen. "Niemand braucht am Berg jeden Tag ein frisches T-Shirt."

Kondition und Kraft können Wanderer vorab mit Ausdauersport trainieren. Und sollten es unbedingt tun. Wer an Vorerkrankungen leidet, zum Beispiel Bluthochdruck, sollte über die Bergpläne mit seinem Arzt sprechen. Mediziner Dehnert rät außerdem, zum Test Touren zu machen, die mindestens so lang sind wie die längste geplante Tagesetappe. Auch gerne im Flachland. "Wer die Probe beschwerdefrei übersteht, wird eine Mehrtagestour schaffen."

Auf der Strecke Oberstdorf–Meran dauert eine Tagesetappe schon mal neun Stunden – die sich wirklich ziehen. Doch irgendwann taucht nach der letzten Biegung die Hütte auf. Und ­alles ist gut. Man kann endlich die vom Regen oder Schweiß durch­nässten Klamotten ablegen und eine einfache Mahlzeit genießen, die meist nur verglichen mit dem Flachland teuer scheint.

 

In sechs Tagen nach Meran

Vor allem aber kann man hier oben überwäl­tigende Panoramen genießen: grün bewachsene, sanft gewellte Berg­rücken mit pinker Alpen­rose und blauem Enzian. Man sieht kämpfende Steinböcke auf Felsvorsprüngen oberhalb türkis leuch­tender Gumpen. Pfeifend davon­zockelnde und unter Latschenkiefern verschwindende Murmeltiere. Die Füße und Beine – sie werden erst morgen schmerzen.

UV-Schutz und Blasenpflaster

Mit dem Wissen, was man geschafft hat, ist der Anblick gleich doppelt schön. Die zerklüfteten Felsen der Seescharte sahen von unten so bedrohlich aus und lassen sich dann doch erklimmen. Da sind die sulzigen Schneefelder, in die man auch im Hochsommer bis zu den Knien einsinkt – was egal ist, weil die Bergstiefel sowieso noch feucht sind vom Vortag. Und nicht zuletzt die schmutzig strahlenden, majestätischen Gletscherzungen, die Wan­derer lehren, was neben Zahnpasta und Blasenpflaster unbedingt im Gepäck sein sollte: Sonnenschutz für Haut und Augen. Und eine warme Schicht zum Drunterziehen.

Zur Belohnung ein Gelato

Bergexpertin Ruhland und Höhenmediziner Dehnert haben weitere Tipps parat: mit Kartenmaterial und Wanderführer vorbereiten, beides mitnehmen. Jede Etappe so planen, dass man am Ende müde ist, aber nicht völlig erschöpft. Zeitpuffer für den Fall eines Wetterumschwungs einkalkulieren, an Regenschutz denken. Übernachtungen auf den Hütten reservieren. Bei wenig Erfahrung eine geführte Tour buchen.

Nach Allgäu und Tirol, nach Käsespätzle und Kaspressknödel endet die Tour an Tag sechs in Meran. Nach einem letzten langen Abstieg Schuhe runter. Dann ein Gelato. Es ist wohlverdient.   

Praktische Profi-Tipps

Stöcke entlasten die Knie bergab, helfen bergauf und geben Halt in schwierigem Gelände.

Funktionskleidung aus Merinowolle wärmt auch nass an kalten Tagen, synthetische Fasern mit Silber trocknen bei Hitze schnell. Beides ist "geruchsfreundlich".

Ohrstöpsel schützen im Schlaflager vor Schnarchern.

Füße in den Bergbach hängen ist keine gute Idee – egal wie heiß es ist. Wer dann mit feuchten Füßen in die Socken schlüpft, bekommt Blasen.

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