Ist Feinstaub die Ursache für zahlreiche Krebs- und Atemwegserkrankungen?
Bereits im Jahr 2020 zeigte eine Bericht der Europäischen Umweltagentur (EEA), dass jährlich über 400.000 Menschen in Europa aufgrund von verschmutzter Luft verfrüht sterben. Ein großer Teil der Luftverschmutzung ist auf enthaltenen Feinstaub zurückzuführen. Warum dieser so gesundheitsschädlich ist, konnte nun ein Forschungsteam aus der Schweiz entschlüsseln.
Forschende des Paul Scherrer Instituts (PSI) konnten erstmals fotochemische Vorgänge im Innern kleinster Partikel in der Luft beobachten. Dabei fand das Team heraus, dass sich in diesen Aerosolen, die oft unter alltäglichen Bedingungen zustande kommen, Sauerstoffradikale bilden, die der menschlichen Gesundheit schaden können. Die Ergebnisse wurden kürzlich in dem renommierten Fachjournal „Nature Communications“ präsentiert.
Doppelter schädlicher Effekt durch Feinstaub
Es ist zwar schon lange bekannt, dass Feinstaub der Gesundheit schadet, der schadende Effekt wurde jedoch überwiegend darauf zurückgeführt, dass die kleinen Partikel mit einem maximalen Durchmesser von zehn Mikrometern tief ins Lungengewebe vordringen können und sich dort festsetzen. Das PSI-Team zeigte nun, dass diese kleinen Partikel zudem reaktive Sauerstoffverbindungen (ROS), auch „Sauerstoffradikale“ genannt, enthalten können, die den Zellen der Lunge zusätzlich schaden.
Mehr Feinstaub führt zu mehr Schädigung
„Je mehr Partikel in der Luft schweben, desto höher das Risiko“, betonen die Forschenden in einer Pressemitteilung zu den Studienergebnissen. Besonders Quellen von menschlichen Aktivitäten wie Fabriken und Verkehr führen der Arbeitsgruppe zufolge zu „bedenklichen Konzentrationen“.
Wie Sauerstoffradikale im Feinstaub entstehen
Entscheidend sei auch die Quelle des Feinstaubs, da dieser in der Regel chemische Bestandteile wie Metalle sowie bestimmte organische Verbindungen enthält. Die Feinstaub-Partikel tauschen in den Atemwegen mit anderen Molekülen Sauerstoffatome aus, wodurch sehr reaktionsfreudige Verbindungen wie Wasserstoffperoxid (H2O2), Hydroxyl (HO) oder Hydroperoxyl (HO2) gebildet werden.
Was Sauerstoffradikale im Körper verursachen
Solche Verbindungen verursachen sogenannten oxidativen Stress, da sie zum Beispiel ungesättigte Fettsäuren im Körper angreifen, die infolgedessen nicht mehr als Bausteine für Zellen dienen können. Studien deuten zudem darauf hin, dass oxidativer Stress Lungenentzündungen, Asthma und andere Atemwegserkrankungen fördert und sogar an der Entstehung von Krebs beteiligt ist, da die Sauerstoffradikale auch die Erbsubstanz (DNA) schädigen können.
Genaue Struktur von Feinstaub bislang wenig untersucht
Neben den ROS, die erst im Körper gebildet werden, existieren den Forschenden zufolge auch ROS-Spezies, die bereits im Feinstaub enthalten sind und direkt eingeatmet werden. Über die Auswirkungen dieser Sauerstoffradikale war bislang wenig bekannt – vor allem, weil nicht genau genug hingeschaut wurde. „Bisherige Studien haben mit Massenspektometern analysiert, woraus Feinstaub besteht“, erklärt Studienerstautor Peter Aaron Alpert. Dabei erhalte man keine Informationen über die Struktur der einzelnen Partikel und man wisse auch nicht, was in den Inneren der Partikel vorgeht.
Modernste Technik ermöglichte tiefere Einblicke
Das PSI-Team nutze nun andere Methoden, um einen präziseren Blick auf den Feinstaub zu erlangen. „Mit dem brillanten Röntgenlicht der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS konnten wir solche Partikel nicht nur einzeln mit einer Auflösung von unter einem Mikrometer betrachten, sondern sogar in sie hineinschauen, während Reaktionen darin ablaufen“, schildert Alpert. Das ganze fand in einer neuartigen Zelle statt, die Umweltbedingungen wie Temperatur, Feuchte, Gasexposition und UV-Strahlung simulieren kann.
„Diese Kombination – hochauflösendes Röntgenmikroskop und Zelle – gibt es nur einmal auf der Welt“, unterstreicht Alpert. Die Studie sei deshalb nur am PSI möglich gewesen.
Wie sich Sauerstoffradikale in der Luft bilden
Die Forschenden zeigten, dass sich aus organischen Bestandteilen und Eisenpartikeln in der Luft Eisenkomplexe bilden, die unter Sonneneinstrahlung zu Radikalen reagieren. Diese Binden sich an Sauerstoffteilchen aus der Luft und bilden so die gesundheitsschädlichen ROS.
Ob diese ROS zerfallen oder erhalten bleiben, hänge in erster Linie von den Wetterbedingungen ab. Die Bedingungen, bei denen sich die meisten ROS bilden können, seien bei mittlerer Luftfeuchte um die 50 Prozent und bei Temperaturen um die 20 Grad gegeben – ungünstigerweise ein vorherrschendes Klima in Innenräumen.
Erkenntnisse über Feinstaub sind veraltert
„Früher dachte man, dass ROS in der Luft – wenn überhaupt – nur dann entstehen, wenn die Feinstaubteilchen vergleichsweise seltene Verbindungen wie Chinone enthalten“, so Alpert. Das seien oxidierte Phenole, die etwa in Farbstoffen von Pflanzen und Pilzen vorkommen. Seit Kurzem ist klar, dass viele weitere ROS-Quellen im Feinstaub vorhanden seien. „Wie wir nun feststellten, können diese bekannten ROS-Quellen unter völlig alltäglichen Bedingungen deutlich verstärkt werden“, berichtet der Erstautor.
Versteckte Ursache für Atemwegserkrankungen und Krebs?
„Wir vermuten sogar, dass nahezu alle Schwebeteilchen in der Luft auf diese Weise zusätzliche Radikale ausbilden“, ergänzt Alpert. Wenn sich dies in weiteren Studien bestätigt, müsste dringend über die Modelle und Grenzwerte bezüglich der Luftqualität nachgedacht werden. Das Studienteam hält es für möglich, dass dies ein Grund dafür ist, dass so viele Menschen ohne ersichtlichen Grund Atemwegs- oder Krebserkrankungen entwickeln.
ROS greifen auch Erreger an
Die Forschenden zeigten auch, dass ROS nicht nur Zellen schädigen, sondern auch Erreger wie Bakterien, Viren und andere Pathogene angreifen, die auf Aerosolen sitzen. „Dieser Zusammenhang könnte erklären, warum das Coronaviurs SARS-CoV-2 in der Luft bei Raumtemperatur und mittlerer Feuchte am kürzesten überlebt“, resümiert das Forschungsteam. (vb)
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