Sie schreibt Einkaufslisten, sucht Ersatzklamotten für die Kita raus, wird ungefragt in Eltern-WhatsApp-Gruppen aufgenommen, backt Waffeln fürs Schulfest und besucht Elternabende. Auch wenn viele Väter sich heute deutlich mehr um ihre Kinder kümmern als früher, managen meist Mütter das Unternehmen Familie. Sie sind es, die den Überblick behalten und an jede Kleinigkeit denken, deswegen leiden viele unter der sogenannte “Mental Load”, der mentalen Last. Jetzt, kurz vor Weihnachten, reiben sich viele Mütter alle Jahre wieder bis zur Erschöpfung auf, schließlich ist die Adventszeit der Höhepunkt der Familienorganisation.
Im Artikel “Advent, Advent, die Mutter rennt” hat der SPIEGEL sich diesem Thema gewidmet und Leserinnen und Leser gebeten, von ihren Erfahrungen zu berichten. Die Reaktionen sind erstaunlich:
- Viele männliche Leser sind mit dem Bild der überlasteten Mutter nicht einverstanden, sie beschweren sich über ein antiquiertes Rollenverständnis und fühlen sich zum Teil sogar persönlich beleidigt.
- Viele Leserinnen hingegen schreiben: “Sehr wahr.” “Vielen Dank.” Oder: “Der launige Artikel trifft den Nerv.”
Die männliche und die weibliche SPIEGEL-Leserschaft scheint sich untereinander also nicht zu kennen, geschweige denn zu paaren. Vielleicht nehmen Männer und Frauen aber auch extrem unterschiedlich wahr, wer was im Haushalt tut. Oder – dritte Möglichkeit – reagierten vielleicht nur emanzipierte Männer und überlastete Frauen auf den Artikel?
Frau am Herd, Mann im Büro
In ihren E-Mails schildern Männer, wie sie sich einbringen: “Ich sehe und empfinde meine Rolle im Haushalt und in der Familie nicht als ‘Unterstützer’ oder ‘Helfer’, sondern eher als Motor und Kitt”, schreibt ein Mann, allerdings ginge das nicht ohne gemeinsamen Cloud-Kalender mit der Frau, ohne regelmäßig auf Freunde und Sport zu verzichten. Auch ein alleinerziehender Vater beschreibt seinen Alltag, der logischerweise alles beinhaltet, was im Familienleben anfällt.
Solche Mails zeigen, dass Männer sich genauso gut um den von Alt-Kanzler Schröder geprägten Bereich “Familie und das ganze Gedöns” kümmern können wie Frauen – aber das hat hoffentlich auch niemand ernsthaft angezweifelt.
Das Feedback der Frauen hingegen lässt oft auf ein sehr klassisches, zementiertes Rollenbild schließen:
- “Diese Mutter rennt seit 35 Jahren für 5 Kinder und erfolgreiche Karriere. Es liegen 21 Jahre zwischen dem 1. und letzten Kind, in denen sich zu meinem feministischen Erschrecken GAR nichts verbessert hat. Die Familienwelt funktioniert exakt so, wie Sie es beschreiben. Frauen müssen heutzutage Kinder, Karriere und Schönheit bieten.”
- “Ich bin selbstständige Tierärztin, mein Partner selbstständig in der IT Branche. 90 Prozent der Hausarbeit wie Wäsche waschen, sortieren, Geschirrspüler ein und ausräumen, einkaufen, putzen und kochen erledige ich.”
Die Mehrheit schreibt – oft resigniert: Sie habe sich mit der Rolle als alleinige Familienorganisatorin arrangiert. Selbst wenn die Mütter sich eine Auszeit gönnen, planen sie für ihre Abwesenheit alles im Voraus.
Noch mehr leiden die Frauen, die aufgrund des Stresses bereits körperliche Symptome entwickelt haben:
- “Ich selbst bin in einer Tretmühle, aus der ich nach 10 Jahren nicht rauskomme – trotz 1,5 Jahre langer Paartherapie. Mittlerweile übergebe ich mich abends regelmäßig – , denn da wird mir alles zu viel. Am schlimmsten ist es, mitansehen zu müssen, wie mein Mann nichts macht und sich dennoch über die wenigen Handgriffe beschwert.”
- Auch ältere Frauen meldeten sich: “Ich war die Frau, die Untergewicht hatte, weil sie schlichtweg vergaß zu essen, die nicht mehr schlief, weil der Kopf und die Ruhelosigkeit des Tages sich nicht einfach abstellen ließen und die Schuld- und Versagensgefühle entwickelte, weil der Tag einfach nicht genug Stunden hatte, allen Anforderungen perfekt zu entsprechen. Ich hatte längst vergessen, wie es sich anfühlt, Bedürfnisse zu haben, für etwas keine Kraft zu haben, oder auch einfach keine Lust. Ich habe schlicht nicht mehr stattgefunden. Und immer das Gefühl, nicht genug zu geben, nirgendwo zu genügen.”
Muss denn immer alles perfekt sein?
Immer wieder geht es um die mentale Last, die Frauen tragen, weil sie alle Fäden in der Hand halten, aber auch um die Ansprüche, die sie an sich und die Familie – und speziell an das Weihnachtsfest – stellen.
Nicht nur Männer schreiben, dass man es einigen Frauen kaum recht machen kann und sie am Ende alles an sich reißen. Auch Frauen erkennen die Falle, in die sie mit diesem Verhalten tappen. “Einfach mal die eigenen Ansprüche herunterschrauben”, rät eine Leserin. “Entspannt euch!” und “Lasst euch nicht hetzen”, schreiben andere. Adventskalender würden nur die Wohnung vermüllen, an Weihnachten solle man einfach essen gehen, zum Raclette greifen oder das Fest komplett ignorieren.
Warum muss überhaupt alles perfekt sein? Für Instagram? Für wen wird das Fünf-Gänge-Menü gekocht? Will man anderen Frauen beweisen, was man alles kann? Oder betreibt man den ganzen Aufwand für die Kinderaugen (die auch bei Pommes und einer einzigen LED-Kerze leuchten)?
“Ertappt!” schreibt eine Leserin, “Wir hatten letztens einen üblen Streit wegen Toastbrot. Wir werden so von unserer Rolle aufgefressen, dass wir irgendwann wirklich denken, es bekommt kein anderer gut genug hin.”
Wenn das Umfeld stresst
Eine Leserin schreibt, dass sie das Umfeld mehr stresse als die Doppelbelastung. Viele Mütter kennen das: Es sind die vorwurfsvollen Blicke mancher Erzieherinnen, wenn man das Kind in der letzten Minute abholt, die siegessicheren Blicke anderer Mütter, die den selbstgeschnippelten Obst-Igel für das Schulbuffet mitbringen, die entsetzten Blicke von Verwandten, wenn eine Mutter erklärt, dass sie zwei Tage auf Dienstreise ist.
Der wahre Auslöser für die Überlastung der Mütter sind jedoch weder nachlässige Männer noch perfektionistische Frauen: Es hat sich einfach unsere Arbeitswelt verändert, die Kinder aber nicht – sie werden nach wie vor nicht von allein groß.
Die meisten Männer arbeiten auch nach der Familiengründung in Vollzeit. Gleichzeitig kehrt der Großteil der Frauen inzwischen zumindest in Teilzeit in den Beruf zurück, wenn das Kind noch im Kleinkindalter ist. Dadurch hat eine Mutter, die 20 oder 30 Stunden arbeitet, mehr “Freizeit” als der Mann – und so übernimmt sie die Aufgaben, die mit der Familienorganisation einhergehen.
Die Reaktionen auf den Artikel zeigen, dass es Tools und Tricks braucht, wie wir den Alltag besser organisieren und die mentale Last gleichberechtigt verteilen können. Im nächsten Artikel thematisieren wir, was Therapeuten und Experten raten und was die Politik für Eltern tun muss.
An dieser Stelle praktische Tipps von Leserinnen:
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