Eine Reha-Klinik an der Ostsee. Das ist im Moment das Zuhause von Marcel Zobel, der sich nichts mehr wünscht als sein altes Leben zurück – vor seiner Corona-Infektion.
Marcel Zobel, Reha-Patient
»Man sieht äußerlich gesund aus, aber innerlich ist es das Gegenteil. Ich fühle mich als wäre ich um 20 Jahre gealtert.«
Der 34-jährige Ergotherapeut hat sich im Oktober mit Corona angesteckt, wie genau, weiß er nicht. Er vermutet in der vollen S-Bahn auf dem Weg zur Arbeit.
Marcel Zobel, Reha-Patient
»Ich hatte einen mittelgradigen Verlauf, also mit Fieber, 38, 39 Grad. In der zweiten Woche hatte ich Gliederschmerzen. Der Geruchssinn war auch sehr eingeschränkt am Anfang, das ging nach einer gewissen Zeit. Bei den mittelgradigen Verläufen kommt nach einer gewissen Zeit irgendwann mal der Hammer, weil das Immunsystem arbeitet gegen diese Erkrankung. Bei mir war es dann halt jetzt im Januar der Fall gewesen, da hatte ich einen schweren Racheninfekt, wodurch sich auch Mundpilz entwickelt hatte und der ging halt auch auf den Darm, dann hab ich eine Bindehautentzündung bekommen. Also alles mögliche hab ich bekommen.«
Marcel Zobel ist zur Zeit einer von ungefähr 80 Long Covid-Patienten in der Median Klinik in Heiligendamm. Seit dem Herbst häufen sich hier die Anfragen: Gab es früher 40 bis 50 Anfragen pro Woche auf einen Reha-Platz in der pneumologischen Abteilung, so sind es jetzt 40 bis 50 Anträge pro Tag. Die Wartezeit für eine Reha-Behandlung liegt mittlerweile bei 3 bis 4 Monaten. Die meisten Patienten leiden unter Spätfolgen einer Sars-CoV2-Infektion. Tendenz steigend.
Jördis Frommhold, Chefärztin Median Kliniken Heiligendamm
»Es kommen zunehmend junge Patienten zu uns, also im Alter von 20 bis, internistisch jung, 50 Jahren. Für mich ist es wichtig klarzustellen: Es gibt nicht nur die Infizierten, die Gestorbenen und die Genesenen, sondern diese Gruppe der Genesenen muss differenziert werden. Sonst wird man denen, die weiterhin kranke Genesene sind, überhaupt nicht gerecht.«
Nach einem Jahr Pandemie werden die möglichen Spätfolgen einer Corona-Erkrankung zunehmend klarer: Nach einem schweren Krankheitsverlauf leiden die Patienten häufig noch länger unter Atemnot und Husten, auch Lungenentzündungen sind nicht selten. 10 bis 15 Prozent der Patienten mit schwerem Verlauf bekommen Herzmuskelerkrankungen, die wiederum zu Herzinfarkten führen können.
Den ersten Long Covid-Patienten hat Jördis Frommhold vor genau einem Jahr aufgenommen, im April 2020. Mittlerweile hat sie ungefähr 500 behandelt. Muskelaufbau und Konditionstraining sind bei den Long Covid-Patienten genauso wichtig, wie eine psychologische Unterstützung. Die Patienten müssen lernen, mit Einschränkungen zu leben.
Jördis Frommhold, Chefärztin Median Kliniken Heiligendamm
»Es geht bei diesen Patienten auch eher darum ihren Lebensstil der Erkrankung anzupassen. Also, dass es nicht darum geht ›Ich mache jetzt möglichst viel in möglichst kurzer Zeit‹, sondern ›Ich muss jetzt wirklich meinen Tag einteilen, wann ich was wie machen kann.‹ Und dass sich die Grenzen verschoben haben: Was früher ging, geht jetzt nicht mehr.«
Der Krankheitsverlauf von Marcel Zobel gleicht vielen anderen Patienten. Auch er muss lernen, mit den Folgen der Erkrankung zu leben.
Gespräch zwischen Jördis Frommhold und Marcel Zobel:
»An manchen Tagen geht es mir gut, an manchen Tagen könnte ich mich einfach nur hinlegen und schlafen.«
»Ist Ihnen mal aufgefallen, dass sie vor einem schlechten Tag relativ viel gemacht haben, für Ihre Verhältnisse?«
»Ja, richtig.«
»Das merkt man dann schon, dass man sich da eher bremsen muss, dass es sonst ein tieferes Loch gibt. Das ist natürlich schwierig, weil Sie waren ja vorher total sportlich.«
»Ja, richtig. Ich bin viel gelaufen, Rennrad gefahren, Badminton mit Freunden gespielt. Da geht gar nichts mehr.«
Jördis Frommhold, Chefärztin
»Wir können zwar hier Fortschritte erreichen, aber ob Herr Zobel jemals wieder in seinem Beruf wirklich arbeiten kann, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht geklärt. Und da kann man dem Patienten auch nicht falsche Tatsachen vorspiegeln, sondern das ist ja genau unser Punkt, dass wir dann auch in dieser Situation unterstützen. Aber ja, natürlich kann das ein ökonomisches und volkswirtschaftliches Problem werden.«
Unabhängig von der Schwere des Krankheitsverlaufs kommt es bei einigen der Long Covid-Patienten zum sogenannten »Fatigue-Syndrom«: Lähmende Erschöpfung, begleitet von Kopf- und Gliederschmerzen. Dieses Ermüdungssyndrom kann im schlimmsten Fall chronisch werden. Generell betrifft Long Covid laut einer britischen Studie jeden zehnten Infizierten auch noch vier Monate nach der Infektion. Während ältere Patienten häufiger von schweren Verläufen betroffen sind, trifft Long Covid eher Jüngere.
Seit seiner Infektion vor sechs Monaten kann sich Marcel Zobel schlecht konzentrieren, er kämpft gegen Müdigkeit und Schmerzen. Immer wieder machen ihm Entzündungen im ganzen Körper zu schaffen. Corona hat sein Immunsystem lahmgelegt.
Marcel Zobel, Long Covid-Patient
»Es fühlt sich so an, als ob jemand mit dem Seil den Körper zuschnüren würde, mit einem Lasso-Seil. Das ist so ein Druckgefühl, fast wie bei einem Herzinfarkt. Das hat man da ja auch. Und das hat man permanent. Als ob da noch so ein Gewicht hängen würde. Es denke mir, dass schwer unterschätzt wird, dieses Fatigue-Syndrom und diese ständige Müdigkeit, diese Konzentrationsstörungen. Erst wenn man selbst betroffen ist, denkt man: O weia.«
Im Moment werden hier in Heiligendamm nur Erwachsene aufgenommen, doch das könnte sich bald ändern: Bereits während der ersten Welle der Pandemie berichteten stark betroffene Länder von seltenen, aber heftigen Entzündungsreaktionen bei Kindern. In Großbritannien haben Eltern die Initiative »Long Covid Kids« gegründet, um über die Folgen von Long Covid bei Kindern aufzuklären.
Entzündungen, Krampfanfälle, Stottern, Konzentrationsprobleme, Schmerzen und viele andere Spätfolgen können auch Monate nach der eigentlichen Erkrankung auftreten, während die akute Phase der Covid-Erkrankung bei Kindern in der Regel oft mild oder sogar ganz ohne Symptome abläuft.
Ausschnitt aus dem Video »LongCovidKids«
»Schmerzen, Erschöpfung, Nebel im Gehirn, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, schmerzende Arme, Schwächegefühl, Stolpern, Luftblasen im Brustkorb, Hautausschläge, zugeschnürte Kehle, Probleme beim Atmen, Appetitlosigkeit, Schmerzen im Brustkorb, erhöhter Pulsschlag, Parästhesie, Stottern, Nasenbluten, Krampfanfälle, Organschäden.«
Jördis Frommhold, Chefärztin
»Leider sehen wir zunehmend, dass auch Hilferufe von Eltern kommen, die wirklich besorgt sind. Es reicht vom Sechsjährigen, der auf einmal sein Toilettenritual vergessen hat, oder von Jugendlichen, die vielleicht Leistungssportler waren und nach Covid nicht mehr in der Lage sind an ihrem Training teilzunehmen. Aber auch im kognitiven Bereich gibt es Hilferufe von Eltern, die sagen, nach einem eher milden Verlauf bei den Kindern kommen die jetzt in der Schule nicht mehr mit. Natürlich haben Kinder zum Beispiel auch nach Pfeiffrischem Drüsenfieber oder nach anderen viralen Erkrankungen Müdigkeitssymptome oder auch Vergesslichkeit, aber es wird sicherlich ein Augenmerk darauf liegen müssen, wie sich das bei Kindern und Jugendlichen weiter entwickelt, vor allem weil diese Gruppe ja auch im Moment noch nicht durch Impfungen geschützt werden kann.«
Marcel Zobel bleibt noch bis Mitte Mai in der Reha-Klinik. Ob er wieder ganz gesund wird, können die Ärzte ihm nicht sagen.
»Post Covid ist halt sehr wellenartig. Es gibt manche Tage, da stehe ich auf und mache quasi am Anfang den Alltag wie immer. Es gibt aber auch Tage, da fühlt man sich als ob einer den Stecker gezogen hat und man liegt im Bett und kommt gar nicht mehr hoch. Mir war bewusst nach der Akutphase: Das ist etwas ganz anderes als eine normale Grippe. Es fängt zwar an, wie bei mir, mit lockerem Husten, den ich hatte, aber dem ist nicht so. Und ich hoffe für jeden, dass er das nicht bekommt. Weil das ist echt scheiße.«
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