Gebannt blickt Deutschland weiter auf Inzidenz und Zahl der Neuinfektionen. Dabei ist die Hospitalisierungsrate für die Politik mittlerweile entscheidender. Doch selbst mit diesen drei Indikatoren hat wahre Bild der Pandemie noch Lücken. Dabei gibt es genügend weitere Indikatoren.
Lange war die Inzidenz der Goldstandard für die Beurteilung der Corona-Lage. Aufgrund der Impfungen blicken die Entscheider jetzt auf die sogenannte Hospitalisierung, also die Zahl der Corona-Patienten in den Krankenhäusern. Nichtsdestotrotz bleibt gerade die Inzidenz der Wert, der in Schlagzeilen landet, der auf Karten dargestellt wird, auf den Deutschlands Bevölkerung achtet. Ähnliches gilt für die reine Zahl täglicher Neuinfektionen.
Die „Süddeutsche Zeitung“ argumentiert nun, dass weitere Parameter in Betracht gezogen werden sollten, die bislang „chronisch unterschätzt“ werden, um die Entwicklung der Pandemie wirklich zu erkennen. Einer davon, so die Zeitung, sei etwa der Anteil positiver PCR-Tests.
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Infizierte mit milden Krankheitssymptomen etwa würden sich nicht immer testen lassen, obwohl sie Gefahr laufen, das Infektionsgeschehen so mitzutreiben. Der „SZ“ zufolge wurden im Sommer nur noch eine halbe Million PCR-Tests pro Woche durchgeführt, nun seien es bis zu zwei Millionen wöchentlich.
Gleichzeitig habe sich der Anteil positiver Tests von weniger als fünf Prozent auf gut 20 Prozent erhöht, während die Inzidenz sogar um den Faktor 16 hochgesprungen sei. Die Testzentren würden nicht mehr mit der Pandemie schritthalten können, so die Zeitung. Die hohe Positivquote deute demnach unter sonst gleichen Umständen auf eine große Dunkelzahl an Infizierten hin.
Ehemaliger Goldstandard: Kaum noch jemand achtet auf den R-Wert
Ebenso sollte der R-Wert, die sogenannte Reproduktionszahl, weiterhin genau beobachtet werden. Noch zu Beginn der Pandemie spielte er eine große Rolle, wurde dann aber zunehmend von der Inzidenz verdrängt. Der R-Wert liest sich dabei ganz einfach: Liegt er über 1,0, nehmen die Infektionen zu, unter 1,0 wiederum ebbt das Pandemiegeschehen – langsam – ab.
Die Zahl gibt dabei weit weniger abstrakt als die Inzidenz wieder, wie die Pandemie verläuft. Ein beispielhafter R-Wert von 1,21 etwa gibt an, dass 100 Menschen 121 weitere Infektionen verursachen. Zuletzt lag der tatsächliche R-Wert bei 0,86 (Stand: 23.12.).
Der „Süddeutschen“ zufolge hat der R-Wert aber auch hervorragende Prognoseeigenschaften. So sei der R-Wert bereits Anfang Juli über den Grenzwert von 1,0 gestiegen. Die Inzidenz wiederum lag damals unter 10. Die vierte Welle zeichnete sich also im R-Wert schon ab, als die Inzidenz dazu noch nicht den geringsten Hinweis gab.
Wachstumsrate zeigt mit einem Blick, wie schnell sich die Zahlen verdoppeln
Selbiges gelte für die Wachstumsrate, die darstellt, in welchem Zeitraum sich die Fallzahlen verdoppeln. Die Rate wird in Prozent zur Vorwoche angegeben. Eine Rate von 40 Prozent beispielsweise signalisiert eine Verdopplung alle zwei Wochen. Bei negativen Raten sinken die Fallzahlen – zuletzt sanken die Neuinfektionen um 19 Prozent zur Vorwoche.
Gerade diese Kurve, schreibt die „Süddeutsche“, zeige sich ein „grundlegende Problem“: Für jede Verdopplung brauche es eine Halbierung, um wieder auf das anfängliche Level an Infektionen zurückzukehren. Doch oft genug verdoppelten sich die Zahlen in zwei Wochen, während Halbierungen nur selten in ähnlichen Zeiträumen erreicht wurde.
Ebenso könnten Menschenleben gerettet werden, wenn die Daten detaillierter aufgeschlüsselt und Maßnahmen gezielter ergriffen würden – nach Altersgruppen beispielsweise. In den vergangenen Monaten hätten sich nämlich weit häufiger Kinder und Jugendliche angesteckt als gefährdetere, ältere Menschen.
Jede Woche so viele Tote wie beim Anschlag am 11. September
Zuletzt mahnt die „SZ“ auch davor, die Todeszahlen nicht aus dem Blick zu verlieren. Neue Negativrekorde und runde Marken würden zwar beachtet werden. Die tägliche Zahl derer, die ihren Kampf mit dem Virus verlieren, hingegen kaum. Dabei wären in der vergangenen Woche täglich im Schnitt 400 Menschen an Covid-19 verstorben. „Das bedeutet: jede Woche ähnlich viele Tote wie beim Attentat auf das World Trade Center am 11. September 2001“, so die „SZ“.
Dem Blatt zufolge stünden die Verstorbenen auch stellvertretend für die Überlebenden. Zwei von drei Corona-Intensivpatienten hätten am Ende zwar über die Krankheit gesiegt – doch der Weg zurück ins Leben nach einer invasiven Behandlung brauche Zeit und Betreuung. Umgekehrt stünden die Todesopfer auch „statistisch nicht nur für ein überlastetes Gesundheitssystem, sondern für viele Infizierte, ihren wochenlang verlorenen Geruchssinn und Schwächeanfälle, für etliche Menschen in Quarantäne und häufig auch für Überforderung in den Gesundheitsämtern“.
Letztlich, betont die „Süddeutsche“, sei kein Parameter allein entscheidend: „Im Zusammenspiel vieler Indikatoren steckt ein enormes Wissen. Kurzfristige Entwicklungen lassen sich vorhersagen, langfristige Szenarien modellieren.“ Das Blatt verweist dabei auf ein Modell des RKI für eine vierte Welle, welches die Behörde im Juli vorstellte. Nur einige Wochen später rollte dann die vorhergesagte Welle über Deutschland.
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