Immer wieder wachte Harry H. nach seiner Corona-Infektion im März durchgeschwitzt und mit Herzrasen auf, gelegentlich begleitet von Panikattacken. Und das, obwohl er nur einen milden Verlauf hatte und seine Infektion anfänglich mit einer leichten Erkältung verwechselte.
So richtig ernst genommen hat Harry H. aus München das Coronavirus am Anfang nicht. Sonst wäre er Ende Februar wohl nicht noch auf einige der üblichen Karnevalsveranstaltungen auf den Marienplatz und Viktualienmarkt gegangen. Er habe das Virus ganz einfach unterschätzt, wie es viele Menschen in Deutschland immer noch tun – das zeigten auch die aktuellen Infektionszahlen in München. Doch das sei ein Fehler gewesen.
H. muss es wissen. Er hat sich mit Covid-19 infiziert, und hatte sechs Monate lang mit den Folgen zu kämpfen. „Langsam erhole ich mich wieder davon, aber die letzte Zeit hat mich viel Kraft gekostet“, sagt der 58-jährige gebürtige Münchner im Gespräch mit FOCUS Online.
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Als er einige Tage nach Karneval Anfang März leichte Erkältungssymptome bemerkte – Husten, eine erhöhte Körpertemperatur und ein allgemeines Krankheitsgefühl – dachte H. erst noch an eine normale Erkältung. „Das war alles relativ harmlos, mit einer richtigen Grippe kaum zu vergleichen“, erzählt er.
Für eine Woche sei er krankgeschrieben gewesen, dann ging es wieder zurück ins Büro. Dort erzählte er einer Kollegin beiläufig, was am Morgen, als er sich im Bad rasierte, Merkwürdiges geschehen sei. Er habe sein Rasierwasser, das eigentlich einen sehr intensiven Duft hat, gar nicht mehr riechen können. „Ich dachte noch halb im Scherz, meine Frau oder meine Tochter hätten das Rasierwasser aus Versehen verschüttet und mit Wasser nachgefüllt“. Da schlug H.‘s Kollegin Alarm.
Zwei Wochen nach Corona-Test kommt das Ergebnis: positiv
Am 19. März wurde H. im Drive-in auf der Theresienwiese getestet. An diesem Tag hatten die Ärzte dort 950 Abstriche genommen. H. erinnert sich noch genau: „Ich stand allein mit dem Auto in der Schlange und sah auf Menschen in Schutzanzügen, bis sie mir dann nach etwa zwei Stunden endlich andeuteten, das Fenster herunterzukurbeln. Die ganze Situation war surreal, ich fühlte mich wie in einem Film.“
14 Tage sollte es dauern, bis H. einen Anruf vom Gesundheitsamt bekam. Der Test sei positiv ausgefallen. Noch heute fragt er sich, was „da eigentlich schiefgelaufen ist“ – „ich hätte doch einen Haufen Menschen infizieren können in den zwei Wochen.“ Abgesehen von dem Geruchs- und Geschmacksverlust fühlte sich H. weitgehend gesund, wenn es auch zweieinhalb Monate dauerte, bis er wieder alles riechen und schmecken konnte.
Viele leiden lange unter gestörtem Geruchs- und Geschmackssinn
H. ist dabei nicht der einzige, der lange darauf warten musste, wieder vollständig riechen und schmecken zu können. In einer Untersuchung mit 113 nur leicht erkrankten Patienten zeigte sich, dass 40 Prozent der Betroffenen auch vier Wochen nach Krankheitsbeginn einen gestörten Geruchs- und Geschmackssinn hatten. In bis zu zehn Prozent der Fälle blieb die Störung länger bestehen, teilweise verschlechterte sich der Zustand sogar mit der Zeit.
Die meisten dieser Covid-19-Patienten können – wie H. auch – die Geschmacksrichtungen süß, sauer, bitter und salzig auch während und nach der Erkrankung einigermaßen zuverlässig unterscheiden – nicht aber Aromen, für die es ein Zusammenspiel mit dem Geruchssinn braucht.
Herzrasen, Panikattacken und fünf Kilogramm Gewichtsverlust
Seit der Infektion wachte H. nachts außerdem immer wieder mit Herzrasen und komplett durchgeschwitzt auf, gelegentlich auch mit kurzen Panikattacken. Die Auswirkungen des schlechten Schlafes zeigten sich am nächsten Tag: Er sei oft müde gewesen und kraftlos. Und er hat abgenommen – fünf Kilogramm in den zweieinhalb Monaten.
Anhaltende Müdigkeit und Erschöpfung sind die häufigsten Nachwirkungen einer Covid-19-Erkrankung. Ein Wissenschaftsteam um Liam Townsend vom Trinity College in der irischen Hauptstadt Dublin untersuchte im Rahmen einer kleinen Studie 128 Patienten, die eine Covid-19-Erkrankung überstanden hatten. Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte der Teilnehmer, 67 Personen, fühlten sich auch Wochen nach der Genesung noch abgeschlagen. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten die Wissenschaftler auf dem prePrint-Server „medRxiv“.
Das ist laut Immunologin Carmen Scheibenbogen von der Berliner Charité jedoch nicht ungewöhnlich. „Oft ist es so, dass das Immunsystem durch die Infektion erst massiv hochfährt – und der Körper es danach nicht mehr schafft, es wieder auf ein Normalmaß zurück zu schrauben“, erklärt die Leiterin des Fatigue Centrums der Uniklinik. Häufig reguliere sich das aber mit der Zeit von selbst, nach zwei bis drei Monaten gehe es den meisten Patienten wieder gut.
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Wegen seines schlechten Schlafes und der Müdigkeit wollte sich H. in der Münchner Klinik Schwabing doch lieber einmal durchchecken lassen – und blieb gleich sieben Tage. In dieser Woche untersuchten die Ärzte H. von Kopf bis Fuß. „Da hieß es, sie hätten eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute war: Laut der Befunde sei bis auf meine Lunge alles in Ordnung: Die schlechte: Das macht es für die Ärzte umso schwieriger, die vorhandenen Beschwerden zu behandeln.“
Obwohl sich H. ja gesund fühlte, vielleicht ab und zu an leichter Kurzatmigkeit litt, die er aber auf das Rauchen schob, zeigten die Computertomographie-Aufnahmen (CT) etwas anderes: Läsionen am Rand seiner Lunge. Zwar vermuten die Ärzte, diese würden sich mit der Zeit, zumindest teilweise von allein wieder zurückbilden. „Dennoch ist es einfach erschreckend, wenn man sieht, welche Schäden dieses Virus anrichten kann. Man denkt, man sei genesen, weil man ja keine wirklichen Symptome hatte, doch in Wirklichkeit ist man alles andere als das.“
Schäden an der Lunge auch bei milden Fällen
Schäden an der Lunge sind indes keine Seltenheit. So erklärte kürzlich auch die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), dass viele Covid-19 Patienten mehr oder weniger starke Lungenschäden aufwiesen – das zeigten Bilder aus CTs.
„Ein Teil der Patienten wird langfristig Probleme entwickeln. Ich denke schon, dass wir hier sekundär durch Covid-19 auch neue Krankheitsbilder generieren“, meint auch Clemens Wendtner, der in der München Klinik Schwabing die ersten deutschen Corona-Patienten behandelte.
Augsburger Ärzte veröffentlichten im Mai Bilder nach Obduktionen. Die Lungen mancher Corona-Opfer sahen dabei erschreckend aus – löchrig wie ein Schwamm. Die Mediziner kamen zu dem Schluss, dass diese Schäden nicht durch die Beatmung, sondern am ehesten direkt durch das Virus entstanden waren.
Genesen – doch nicht ganz gesund
Nicht nur H.'s Lungen haben unter dem Virus gelitten. Auch stellten die Ärzte fest, dass seine Bauchspeicheldrüse Anzeichen einer Entzündung zeigte. Außerdem diagnostizierten sie eine Entzündung der Speiseröhre. Und schließlich waren da ja noch die Schlafstörungen und gelegentlichen Panikattacken in der Nacht. „Psychische Folgen wie Depressionen oder Ängste nach einer Infektion mit dem Virus treten wohl aber bei vielen Menschen auf“, erfuhr H. im Gespräch mit den Ärzten.
Im Großen und Ganzen, sagt H., habe er dennoch Glück gehabt. „Da gibt es laut den Ärzten auch 25-Jährige, die einen mittelschweren Verlauf hinter sich hatten, und nach zwei, drei Monaten immer noch eine solche Atemnot haben, dass sie es nicht schaffen, die Treppen in den ersten Stock zu nehmen.“
Erst sechs Monate nach der Infektion geht es wieder bergauf
Um sich von den Folgen seiner Infektion zu erholen, ist H. zweimal für ein paar Wochen raus in die Natur gefahren – in den bayerischen Wald und an die Nordsee. Dort war er vor allem wegen der Luft. „Die sei gut für meine Lungen, meinten die Ärzte.“ Auch die Schlafstörungen und Panikattacken haben inzwischen nachgelassen. Ganz verschwunden seien sie jetzt, sechs Monate nach der Infektion, immer noch nicht, aber zumindest kämen sie nicht mehr regelmäßig vor und wirkten sich auf seinen Alltag aus.
Keine Antikörper mehr im Blut nachweisbar
Obwohl sich H. im März infizierte, gibt es immer noch Menschen, die ihm nur mit Abstand begegneten – während sich andere dagegen in Sicherheit wähnten, erzählt er. „Nach dem Motto: Also von dem bekomme ich es nicht, der hatte es ja schon.“ Doch als er Ende Mai von einer Universitätsklinik gefragt wurde, ob er bereit dazu wäre, Blutplasma zu spenden, da man seine Antikörper gegen Sars-CoV-2 gezielt nutzen könne, um Schwererkrankten von Covid-19 zu helfen, konnten bei ihm keine Antikörper mehr im Blut nachgewiesen werden.
„Nachdem ich die Infektion überstanden habe, dachte ich mir: Okay gut, jetzt bist du wenigstens immun. Dabei bin ich es ja vielleicht doch nicht. Natürlich bereitet eine solche Nachricht noch einmal mehr Sorgen.“
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Deswegen hat H. noch einen wichtigen Appell, der sich an alle richtet, die das Virus nicht ernst nehmen. Zwar könne er verstehen, dass sich vor allem junge Menschen wieder einen weitgehend „normalen“ Alltag wünschen, sich miteinander treffen und die Pandemie einfach mal „vergessen“ wollen. „Das Risiko, das sie eingehen, sollten sie dabei aber nie vergessen. Denn wer einmal mit dem Virus infiziert war, weiß, dass es alles andere ist als eine leichte Erkältung, die in zwei, drei Tagen überstanden ist.“
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