Für viele eine Jubel-Nachricht: „Alle tiefgreifenden Schutzmaßnahmen entfallen“ ab 20. März. Doch es folgt direkt die Einschränkung: „wenn die Situation in den Krankenhäusern dies zulässt“. Wie ist diese aktuell? Und wie wollen die Verantwortlichen sie überhaupt zuverlässig beurteilen?
An dem Wort Freedom Day scheiden sich die Geister. Herbeigesehnt wird der Tag, an dem sich Deutschland von allen oder vielen Corona-Maßnahmen befreit. Tunlichst vermieden hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach den Ausdruck mit Blick auf den 20. März. Denn es ist ein Freiheitstag unter Vorbehalt: Er hängt davon ab, wie die Lage in den Krankenhäusern ist, wenn die Verantwortlichen sich am 17. März wieder zusammensetzen. Was ist für diese vier Wochen zu erwarten?
Bezeichnend ist, was das Robert-Koch-Institut (RKI) zur Klinik-Lage schreibt: „Das RKI hat keine Zahlen dazu, wie viele Covid-19-Patienten sich aktuell insgesamt im Krankenhaus befinden.“
Das Problem mit den Klinik-Parametern
Ein aktuelles und zuverlässiges Bild der Lage in den Krankenhäusern lässt sich mit den derzeitigen Parametern schwer zeichnen. Sie alle eint ein Problem: mehr oder weniger großer Zeitverzug. Das bemängelte der Intensivmediziner Christian Karagiannidis in der ARD: Selbst einfache Basisdaten zur Belastung der Krankenhäuser stünden nicht zeitnah zur Verfügung.
1. Die Hospitalisierungsinzidenz soll ein zentraler Indikator sein – doch sie ist viel zu träge, kritisieren Expert*innen schon länger. Zu dieser 7-Tage-Inzidenz schreibt das Robert-Koch-Institut selbst, dass es sich um eine „Unterschätzung der tages-aktuellen Inzidenzen“ handele, da die Hospitalisierung gegebenenfalls erst mehrere Tage nach dem Meldedatum auftrete.
Wie deutlich allein die Nachmeldungen den Wert nach oben schrauben, zeigt der große Abstand der schwarzen (nachgemeldete Angaben) zur blauen Linie (tages-aktuell berichtete Werte. RKI Hier sind sowohl die tages-aktuell berichteten Werte (fixiert, blaue Linie), die nachgemeldeten Angaben zur Hospitalisierung (aktualisiert, schwarze Linie) als auch durch ein Nowcast-Verfahren geschätzte Werte über die zu erwartenden Hospitalisierungen gezeigt (adjustiert, grüne Linie).
2. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat nun einen längst überfälligen Indikator ergänzt: Seit kurzem informiert sie darüber, wie viele Krankenhausbetten mit Covid-19-Patientinnen und -Patienten belegt sind. „Dabei handelt es sich um die Daten des Vortages, da ein Teil der länderspezifischen Datenquellen die Belegungsdaten erst mit einem Tag Verzug veröffentlicht“, schreibt die DKG zum Zeitverzug. Bis die Zahlen veröffentlicht werden, vergehen allerdings unter Umständen noch einmal mehrere Tage.
Der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß erklärte, dass es zwar eine Fülle an Daten in den Krankenhäusern gebe. Doch es fehle ein einfacher Meldeweg und eine zentrale Aufbereitung der Daten. „Derzeit müssen die Beschäftigten in den Krankenhäusern für die Meldungen nach Infektionsschutzgesetz noch manuell Bögen ausfüllen, die sie dann per Fax oder per E-Mail an die Gesundheitsämter schicken“, erläuterte Gaß. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gesundheitsämter übertragen sie dann wiederum manuell in neue Meldeformulare und geben diese an das Robert-Koch-Institut weiter. Verzögerungen und Fehler sind somit vorprogrammiert.“
Immerhin aber existieren hier nun Zahlen für die Normalstationen. Zudem berechnet die DKG daraus einen 3-Tage-Trend.
3. Was in den Krankenhausdaten bisher ebenfalls nicht abgelesen werden kann, ist: Liegen die Menschen mit oder wegen Corona dort? Einerseits ist es irrelevant, weil jemand, der wegen akuter Magenblutung behandelt wird und zufällig positiv getestet wird, genauso aufwändig betreut werden muss, wie ein Covid-19-Patient – selbst ohne Symptome, braucht es umfangreiche Hygienemaßnahmen wie Isolation. Das bindet Personal, das ohnehin knapp ist. Andererseits weist es auf die Krankheitslast bei Omikron hin, wenn etwa 50 Prozent der Covid-19-Patienten nur Zufallsdiagnosen sind.
Zu früh für einen Freedom Day?
Schon als ein erstes Plateau der Neuinfektionszahlen erkennbar war, diskutierten die Verantwortlich über Lockerungen. Viel zu früh, wie Mediziner im Gespräch mit FOCUS Online betonten. Virologe Ulf Dittmer vom Universitätsklinikum Essen sieht den Zeitpunkt für einen Freedom Day „erst wenn wir mit den Infektionszahlen auf einem steilen Weg nach unten sind“. Auch England und Dänemark hätten erst geöffnet, als sie den Peak überwunden hatten und nicht vorher Freedom Day gefeiert.
Die Lage in den Krankenhäusern sei dramatisch wie selten zuvor in der Pandemie. Ähnliches beschrieb auch der Intensivmediziner Uwe Janssens.
Lage auf den Normalstationen der Krankenhäuser
Auf den Normalstationen sei die angespannte Lage bereits heute deutlich spürbar, berichtete Janssens aus seiner Klinik und anderen in Nordrhein-Westfalen.
Den DKG-Daten zufolge sind „steigende Belegungszahlen in den Krankenhäusern zu verzeichnen, wobei die Dynamik etwas abschwächt“. Gegenüber der Vorwoche wurden acht Prozent mehr Covid-positiv getestete Patientinnen und Patienten auf den Normalstationen behandelt. Lediglich in drei Bundesländern sank ihr Anteil – Hamburg, Bremen und Berlin. (Datenstand: 16.02.22)
„Die Intensivstationen könnten in den nächsten Wochen nachziehen“, warnte Janssens. Das Problem: „Die Omikron-Welle kommt gerade erst in der gefährdeten Altersgruppe an.“
Dass dieser Anstieg in der Gruppe der Ü-60-Jährigen stattfindet, zeigen aktuelle Zahlen. Die Inzidenzen sinken leicht in der Gesamtbevölkerung, aber noch nicht in den oberen Altersgruppen. Science Media Center Die Grafik zeigt die Inzidenzen einmal für alle Altersgruppen und einmal ab 60 Jahren.
Lage auf den Intensivstationen
Auf den Intensivstationen steigt die Zahl der Covid-19-Fälle aktuell leicht. Das zeigt sich bereits seit Ende Januar. Täglich meldet das Intensivregister (Divi) zwischen 200 und 250 Neuaufnahmen von schweren Verläufen mit Corona. „Die Krankenhäuser sind mitnichten entspannt“, betonte Intensivmediziner Uwe Janssens im Gespräch mit FOCUS Online. Das Gegenteil sei der Fall.
Erst wenn sich der Trend der sinkenden Inzidenzen auch in den oberen Altersgruppen durchsetzen sollte, werden auch hier die Zahlen wieder zurückgehen. Die allgemeine Hospitalisierungsinzidenz steigt laut dem Covid-19-Nowcast-Hub nicht mehr. Auch Intensivmediziner Christian Karagiannidis gab sich „hoffnungsvoll für den weiteren Verlauf“.
Intensivmediziner warnt vor „Freedom Day“-Effekt
Wie sich der Trend auf den Intensivstationen entwickelt, ist derzeit offen. Es wird davon abhängen, wie gut die Risikogruppen geschützt sind – durch Impfungen oder vorherige Infektionen. Dass zu frühe Lockerungen einen gewissen „Rebound“-Effekt oder „Freedom Day“-Effekt auslösen können, hat Dänemark bereits im Herbst 2021 einmal erfahren. Auch jetzt ist ein solcher bereits erkennbar.
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„Natürlich schielen wir nach Großbritannien, nach Spanien und Dänemark und fragen uns, warum wir nicht so öffnen“, sagte Janssens. „Es ist zu befürchten, dass diese Länder ihre Rechnung dafür noch bezahlen werden.“ Dänemark habe ganz aktuell doppelt so hohe Sterbefälle wegen oder mit Covid-19 wie Deutschland, das Gleiche gelte für Spanien.
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Freedom Day: Ja oder Nein?
Ob Deutschland denn am 20. März seinen Freedom Day feiert oder nicht, hängt also an Faktoren, die es schwer machen, die aktuelle Lage zu beurteilen. Wahrscheinlich ist jedenfalls, dass etwa 0,1 Prozent derjenigen, die sich kurz vor oder kurz nach dem Peak der Omikron-Welle angesteckt haben, auf der Intensivstation liegen wird. Ein größerer Prozentsatz auf den Normalstationen. Fraglich bleibt, wie genau das am 17. März bereits in den verfügbaren Daten sichtbar ist.
Bisher haben die Verantwortlichen der Scholz-Ampel sich aber auch noch nicht geregelt, woran sie festmachen, dass die Situation in den Krankenhäusern dies zulässt. Es ist demnach alles möglich.
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