Legt Corona den Turbo ein? Was die Varianten für Deutschland bedeuten

Das Risiko der ansteckenderen Corona-Varianten ist derzeit eines der gewichtigen Argumente gegen Lockerungen. Zur Lage in Deutschland ist aber noch einiges unklar.

Worum es geht: Die Sorge in Deutschland gilt derzeit insbesondere der Variante B.1.1.7, die zuerst in Großbritannien entdeckt wurde. Sie gilt als deutlich ansteckender als frühere Corona-Formen. Möglich wird das durch veränderte Viruseigenschaften, die eine Infektion offenbar erleichtern. Das gilt auch für Varianten aus Südafrika und Brasilien, die ebenfalls als besorgniserregend gewertet werden.

Mahnende Beispiele: Mehrere Länder berichten, dass B.1.1.7 sich zur dominierenden Variante entwickelt hat oder erwarten dies. Einer noch nicht von Fachleuten begutachteten Studie zufolge verdoppelt sich etwa in den USA der Anteil von B.1.1.7 an den insgesamt erfassten Infektionen etwa alle zehn Tage. Wie viel ansteckender B.1.1.7 ist, lässt sich noch nicht sicher sagen. In der US-Studie wird geschätzt, dass es 35 Prozent bis 45 Prozent sind.

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Einfluss auf R: Bessere Übertragbarkeit bedeutet, dass auf einen Infizierten auf einen Schlag eine höhere Zahl an Folgefällen kommt. Damit geht eine höhere Reproduktionszahl einher. Selbst minimal wirkende Veränderungen haben große Auswirkungen, wie der Virologe Christian Drosten einmal anhand einer Faustformel schilderte: Liege der R-Wert bei 0,9, dauere es etwa einen Monat, bis sich die Zahl der Infizierten halbiere – bei einem R-Wert von 0,7 nur eine Woche.

Wenn der R-Wert bei B.1.1.7 um 0,5 erhöht sein sollte, wie RKI-Chef Lothar Wieler kürzlich sagte, würden größere Anstrengungen nötig, um den Wert unter 1 zu halten. Momentan, nach langen Lockdown-Wochen, liegt er nur sehr knapp unter 1. Je kleiner die Zahl, desto mehr verlangsamt sich die Pandemie.

Die Varianten sind da, dominieren aber noch nicht

Lage in Deutschland: Seit Ende 2020 mehren sich Varianten-Nachweise. Vorher wurde allerdings auch nur wenig danach gesucht. Die verfügbaren Daten legen eine zunehmende Verbreitung nahe, das RKI rechnet mit wachsenden Anteilen der Varianten. Die Erkenntnisse beruhen teils auf aufwendigen kompletten Erbgutanalysen, zudem wurden rund 31.000 positive Corona-Proben aus der vorletzten Woche per PCR auf Schlüsseleigenschaften von B.1.1.7 nachgetestet. Treffer gab es in knapp sechs Prozent der untersuchten Proben. Wieler zufolge zeigen die Daten, dass die Varianten angekommen sind, aber noch nicht dominieren. Eine Folgeerhebung ist im Gange.

Einschränkungen: Es werden längst nicht alle Corona-Tests auf Varianten untersucht. Auch regional gesehen gab es bei der Stichprobe Lücken, wie etwa der Leiter des Instituts für Virologie der Uniklinik Freiburg, Hartmut Hengel, erklärte. Die Angabe über ein Vorkommen von knapp sechs Prozent könne nicht als repräsentativ für Deutschland gelten. Andere Experten und auch das RKI verweisen zudem auf mögliche Verzerrungen. Ein Grund dafür kann sein, dass häufiger mutmaßlich interessante Proben untersucht werden, etwa wenn sich ein Patient im Ausland aufgehalten hatte.

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Was kommt? "Bis Anfang April werden die neuen Stämme die vorherigen alle verdrängt haben, also wie in Großbritannien in etwa 100 Tagen", sagte der Infektiologe Hajo Grundmann, Leiter der Infektionsprävention und Krankenhaushygiene der Universität Freiburg, dem "Tagesspiegel". Das sei unabhängig davon, dass die Zahl der Neuinfektionen sinkt.

Lockern? Mehrere deutsche Fachleute, darunter auch Amtsärzte, sind dagegen. Sie fürchten eine dritte, wegen der Mutanten schwerer kontrollierbare Welle. Manche Experten plädieren deshalb dafür, eine noch intelligentere Abwehr zu entwickeln. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach twitterte, epidemiologisch gesehen müssten Maßnahmen sogar verschärft werden, weil eine dritte Welle mit "Turbo-Virus" drohe.

Experte: Lockdown muss noch zwei Monate dauern

Hoffnung: Lockdowns scheinen auch die Varianten in Zaum zu halten. Grundmann führte etwa das Beispiel Großbritannien an. Auch in Irland, das zeitweise die höchste Infektionsrate der Welt gemessen an seiner Einwohnerzahl aufwies, hat sich die Lage wieder einigermaßen beruhigt. "Die angewendeten Maßnahmen greifen auch bei B.1.1.7.", betont Immunologe Luke O'Neill vom Trinity College Dublin.

Auch im Hochrisikoland Portugal scheinen sich die strengen Maßnahmen des seit Mitte Januar herrschenden Lockdowns auszuzahlen: Seit knapp zwei Wochen gehen alle Zahlen nahezu ununterbrochen und zum Teil rapide zurück. Viele Experten sind davon überzeugt, dass die Schließung aller Schulen, Kitas und Universitäten ab dem 22. Januar, gegen die sich die linke Regierung lange gesträubt hatte, einen entscheidenden Beitrag geleistet hat.

Die Gesundheitsbehörden warnen aber vor Nachlässigkeit. "Wir müssen den Lockdown noch zwei Monate aufrechterhalten", meinte am Dienstag Baltazar Nunes vom staatlichen Gesundheitsinstitut INSA. In Irland und Portugal wurden vor allem Lockerungen um die Weihnachtszeit für den Anstieg der Zahlen verantwortlich gemacht.

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