Es hätte so schön sein können: Der Virus verschwindet langsam, aber Gesundheitspolitiker und sogar Krankenkassen haben den Wert der Vor-Ort-Apotheke erkannt. Sie wissen die Kompetenz und den Nutzen dieser niedrigschwelligen Institution zu schätzen und handeln künftig entsprechend. Aber: Die Pandemiegesetze haben uns in falscher Sicherheit gewiegt. Noch gelten sie zwar, doch die ersten Krankenkassen sind bereits zu business as usual übergegangen und retaxieren. Besonders hart trifft es gerade die Zytoapotheken, denen zurzeit fünf- und sechsstellige Rückforderungen ins Haus flattern. Warum das so ist, erklärt Dr. Franz Stadler in einem Gastkommentar.
Die neue Hilfstaxe, Anlage 3, trat am 1. März 2020 in Kraft. Sie war das Ergebnis zäher und langwieriger Verhandlungen zwischen GKV-Spitzenverband und DAV. Viele, die Ahnung von der Materie hatten, kritisierten schon damals das Ergebnis heftig, enthielt es doch mehrere rückwirkende Vereinbarungen. Nur für die an den Verhandlungen beteiligten Vertreter der Apotheker war das alles schon damals kein Problem – sie waren ja nicht unmittelbar betroffen.
Jetzt, gut vier Monate später, beginnt sich das finanzielle Ausmaß dieser Zugeständnisse langsam abzuzeichnen. Die Gesellschaft für Statistik im Gesundheitswesen (GFS), eine bekannte Rechnungsprüfstelle für Krankenkassen, verschickte Ende Juni 2020 eine Menge eingeschriebene Briefe an die betroffenen Apotheken. Dabei ging es nur um einen Wirkstoff (Pemetrexed) und wenige Krankenkassen (unter anderem Barmer und BKK Mobil Oil). Trotzdem belaufen sich die Retaxen auf fünf- bis sechsstellige Eurobeträge, da jede Zubereitung, die nach dem 1. Dezember 2018 mit diesem Wirkstoff hergestellt wurde, nachträglich im Schnitt zwischen 300 bis 400 Euro gekürzt werden darf und gerade wird. Es werden aber noch einige Krankenkassen und einige Wirkstoffe (unter anderem Trastuzumab ab 15. April 2018) folgen.
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Die Auswirkungen dieser Retaxen auf die Liquidität der betroffenen Apotheken unter ohnehin schwierigen Pandemiebedingungen kann sich jeder vorstellen. Nein, nicht jeder. Zumindest der Leiter und die Mitglieder der Verhandlungskommission des Deutschen Apothekerverbands nicht. Sie haben diesen Vertrag unterschrieben, mit einer rückwirkenden Preissenkung industriepolitisches Neuland betreten und zu allem Überfluss auch noch eine zweite Rückwirkung eingebaut: Sie erlaubt den Krankenkassen bei erstmaligen Markteinführungen nach Preisabfragen, die sie selbst durchführen, auch künftig rückwirkende Rabatte zu verhandeln. Die Rückwirkung ist immerhin begrenzt auf 16 Monate (!!).
Durch die Unkalkulierbarkeit dieser Regelungen werden gerade kleinere herstellende Apotheken zum Aufgeben gezwungen und das obwohl wir aus Gründen der Versorgungs- und Arzneimittelsicherheit gerade diese Apotheken mit Reinraum stärken müssten. Nur sie können adhoc herstellen, sich also dem aktuellen Patientenbefinden ohne Verluste anpassen, kurze Haltbarkeitsangaben der Fachinformationen einhalten und unnötigen mechanischen Stress durch lange Transporte bei empfindlichen Wirkstoffen vermeiden.
Aber: Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.
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