Top-Virologe Christian Drosten sagt, dass er künftig auf eine Lebendimpfung per Nasenspray gegen das Coronavirus setze. FOCUS Online erklärt, wie ein solcher Impfstoff funktionieren könnte – und welche Vorteile er gegenüber den bisher bereits wirksamen Vakzinen hätte.
Geht es nach Charité-Chefvirologe Christian Drosten, ist sie der „nächste Meilenstein“ in Sachen Pandemie-Bekämpfung: die Lebend-Impfung über die Nase. Diese hätte dem Mediziner zufolge einen „viel besseren Übertragungsschutz“ als die bislang zugelassenen Vakzine, die in den Oberarm verimpft werden, erklärt er in einem Interview mit dem Tagesspiegel. FOCUS Online erklärt, was es mit dem Impfstoff auf sich hat.
1. Was ist ein Lebendimpfstoff überhaupt?
Lebendimpfstoffe enthalten geringe Mengen vermehrungsfähiger Krankheitserreger, „die jedoch so abgeschwächt wurden, dass sie die Erkrankung selbst nicht auslösen“, erklärt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Dazu gehörten etwa die Vakzine gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken.
Gelangen die Erreger über die Impfung in den Körper, wird eine Infektion nachgeahmt und das Immunsystem bildet Antikörper dagegen. „Der Impfschutz hält meist lange an – bei einigen Impfstoffen sogar lebenslang“, erklärt das Bundesministerium für Gesundheit. So gehe man etwa nach einer zweifachen Impfung gegen Masern von einem lebenslangen Immunschutz aus.
2. Können Lebendimpfstoffe Krankheiten auslösen?
In der Regel nicht. Nur in seltenen Fällen könne die Impfung zu einer leichten „Impfkrankheit" führen – wie bei den sogenannten Impfmasern. „Dies ist ein leichter, masernähnlicher Ausschlag, der einige Wochen nach der Impfung auftreten kann und nicht ansteckend ist“, erklärt die BZgA. Diese ist in der Regel harmlos.
FOCUS Online unterstützt den Impf-Aufruf an dem sich über 2000 Unternehmen beteiligt haben und dafür ihr Logo zu einem Impf-Appell abgeändert haben.Jetzt sollen fundierte Informationen – auch vor dem Hintergrund der sich rasant ausbreitenden Omikron-Virusvariante – die Bereitschaft der Menschen steigern, sich impfen zu lassen.
3. Wie wirkt eine Nasenspray-Impfung?
Drosten spricht sich im Interview für einen Lebendimpfstoff aus, der direkt in die Nase gesprüht wird und somit die Schleimhäute immunisieren könnte. Die bislang gegen Corona zugelassenen Vakzine sind nicht nur sogenannte Tot- beziehungsweise mRNA-Impfstoffe – sie sind auch sogenannte „systemische Impfstoffe“. Das bedeutet, dass sie in den Muskel im Oberarm gespritzt werden.
Sie sorgen zwar in der Regel dafür, dass Geimpfte nicht mehr schwer erkranken. Infizieren können sich Geimpfte aber weiterhin und somit das Virus auch weitergeben. Die aktuellen systemischen Impfstoffe erzeugen also keine „sterile Immunität“ gegen Corona.
Die schleimhautbasierte Abwehr könne hingegen bereits die Aufnahme des Virus blockieren, wie Kai Schulze, der am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung die Immunreaktion auf Impfungen erforscht,bereits im Sommer dem Wissenschaftsmagazin „Spektrum“ sagte. Indem der Impfstoff direkt in der Nase verabreicht wird, werden auch dort Antikörper gebildet, wo wir sie am dringendsten brauchen: in den Atemwegen. Die ersehnte sterile Immunität rücke damit in Reichweite. Denn: Geimpfte würden somit nicht mehr zu den Ansteckungen beitragen – und auch keine, gegen die Impfung unempfindlichen Varianten mehr ausbrüten.
Auch gegen Grippe gibt es bereits ein solches Spray: Der Lebendimpfstoff ist für Kinder und Jugendliche im Alter von 2 bis einschließlich 17 Jahren zugelassen, wie das Paul-Ehrlich-Institut erklärt.
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4. Wieso gibt es noch keinen Lebendimpfstoff für die Nase?
Dass bislang weder eine Corona-Impfung für die Nase noch ein Lebendimpfstoff zugelassen ist, hat denselben Grund: Die Entwicklung ist in beiden Fällen sehr kompliziert. „Die mukosale Immunität (also die Immunität der Schleimhaut) ist komplexer als die systemische“, sagte etwa Schulze.
Das liege daran, dass die Schleimhaut den Vakzinen gewisse Hindernisse in den Weg lege. Dort gebe es etwa Proteine, die als Barriere für Fremdkörper wirkten. Lande ein Impfstoff auf diesen, dauere es eine Zeit, bis diese zur Schleimhaut durchdringe. Auch der pH-Wert der Schleimhaut erschwere das. „Wenn man etwas injiziert, kann man davon ausgehen, dass 100 Prozent in den Körper gelangen“, erklärt Schulze. „Wenn man hingegen etwas über die Schleimhaut gibt, dann variiert das.“
Und auch die Entwicklung eines Lebendimpfstoffs gegen Corona gestaltet sich schwierig. Dafür ist es nötig, den Erreger so stark abzuschwächen, dass er im Körper nur noch als harmloses Virus auftaucht. Auch müssen die Forscher verhindern, dass die Impfstoffe im Körper nicht mehr mutieren. Bislang konnte hierfür keine Lösung gefunden werden.
5. Wer arbeitet schon an einem Lebendimpfstoff für die Nase?
Einen Lebendimpfstoff als Nasenspray gegen Corona gibt es bislang nicht. Vielmehr überprüfen Hersteller im Augenblick die Wirkungsweise ihrer bereits zugelassenen Vakzine als Spray. Andere testen, wie gut Lebendimpstoffe allgemein wirken.
Der britische Hersteller Astrazeneca erforscht etwa bereits, ob sein als Injektion zugelassener Vektor-Impfstoff auch als Nasenspray verabreicht werden kann. Auch das russische Unternehmen Sputnik überprüft die Wirksamkeit seiner Booster-Dosis als Nasenspray.
Und auch weitere Unternehmen forschen weltweit an Impfstoffen als Nasenspray oder -tropfen. Darunter auch deutsche Forscher. Einen Überblick über die laufenden Verfahren gibt der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa):
- Das Deutsches Zentrum für Infektionsforschung der Medizinischen Hochschule Hannover arbeitet etwa an einem Nasenspray-Impfstoff.
- Am Universitätsklinikum Tübingen wird gemeinsam mit der Abteilung Molekulare Medizin des Max-Planck-Instituts für Biochemie in Martinsried ein Vektor-Impfstoff gegen Covid-19 auf der Basis Replikations-inkompetenter Sendai-Viren entwickelt, der als Nasenspray verabreicht werden kann.
- Die Universität Würzburg forscht aktuell an einer „lebenden“ Schluckimpfung. Diese basiert auf einem Typhus-Vakzin und soll mithilfe bestimmter Bakterien Sars-CoV-2-Antigene produzieren.
- Und auch am Universitätsklinikum Erlangen läuft derzeit ein Forschungsprojekt bei dem die Nasenspray-Impfung bereits erste Erfolge zeigte. Die Wissenschaftler testeten bei Mäusen eine Booster-Impfung über die Nase und stellten fest, dass diese lokale Antikörper entwickelten. Nun arbeiten die Forscher an einem Mundspray.
6. Ab wann können wir mit einem Lebendimpfstoff durch die Nase rechnen?
Wann die Hersteller in ihren Studien so weit fortgeschritten sind, dass Lebendimpfstoffe durch die Nase tatsächlich Anwendung finden, ist bislang unklar. Bis dahin schützen die aktuell zugelassenen Impfstoffe aber weiterhin vor einem schweren Verlauf. Wer also noch zögert, sich impfen zu lassen, sollte nicht auf einen etwaigen Lebendimpfstoff oder ein Impf-Nasenspray warten.
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