Verbreitung von Fehlinformation und Verschwörungstheorien zu SARS-CoV-2
Die Coronavirus-Pandemie hat bei vielen Menschen starke Verunsicherungen ausgelöst und es besteht ein hoher Informationsbedarf, der insbesondere im Internet vielfach mit Fehlinformationen und Verschwörungstheorien bedient wird. Wie sich solche falschen Informationen global verbreiten und welche Gefahren das mit sich bringt, wird in einem aktuellen Beitrag des renommierten Fachmagazins „Nature“ beleuchtet.
Sowohl zur Entstehung des neuen Coronavirus SARS-CoV-2 als auch zu dessen Ausbreitung existieren zahlreiche wilde Theorien, die durch keinerlei wissenschaftliche Untersuchungen belegbar sind, sich aber mit einer enormen Geschwindigkeit global verbreitet haben. In dem aktuellen Übersichtsartikel haben Forschende die Entstehung und Verbreitung der Fehlinformation und Verschwörungstheorien rund um SARS-CoV-2 analysiert und die daraus folgenden Risiken dargelegt.
Fehlinformationen anfangs kaum relevant
In mehreren Studien wurden Millionen Social-Media-Posts rund um COVID-19 ausgewertet und die Verbreitungswege von unwissentlich weitergegebenen Fehlinformationen, Verschwörungstheorien und gezielte Falschaussagen erfasst. In der frühen Phase der Pandemie hätten bei den Posts auf Twitter zum Beispiel die Fehlinformationen nur eine unbedeutende Rolle gespielt, berichten die Forschenden. Vielmehr hätten grundlegende wissenschaftliche Unsicherheiten über den Ausbruch im Fokus gestanden, da wesentliche Merkmale des Virus wie die Übertragbarkeit und die Mortalität nur mit großen Fehlerquoten abgeschätzt werden konnten.
„Unsicherheitsvakuum“ durch Wissenslücken
Durch das ehrliche Eingeständnis von Wissenslücken entstand ein „Unsicherheitsvakuum“, das es oberflächlichen Quellen ermöglichte, ohne wirkliche Expertise einzuspringen, erläutert der Biologe Carl Bergstrom von der University of Washington in Seattle. So entstanden zum Beispiel auch einige Verschwörungstheorien, die Bill Gates, den Mitbegründer von Microsoft, als treibende Kraft hinter der Pandemie vermuten. Manche behaupten, Gates habe das Virus selbst geschaffen, andere sagen, er habe es patentiert und plane die Anwendung eines Impfstoffs, um Menschen zu kontrollieren.
Bill Gates und das Coronavirus
Mitte März wurde schließlich auf der Internetseite Biohackinfo.com fälschlicherweise behauptet, Gates plane, einen Coronavirus-Impfstoff als Trick einzusetzen, um Menschen durch einen injizierten Mikrochip oder eine Quantenpunkt-Spionagesoftware zu überwachen. Ein entsprechendes YouTube-Video, das mittlerweile fast zwei Millionen Clicks erreicht hat, ging zwei Tage später online. Auch der ehemalige Berater des US-Präsidenten Donald Trump, Roger Stone, kommentierte die Theorie im April in einer Radiosendung und fügte hinzu, dass er einem von Gates finanzierten Coronavirus-Impfstoff niemals trauen würde.
Hohe Reichweite mit geringem Aufwand
So zog die Verschwörungstheorie ihre Bahnen und über das Interview berichtete die Zeitung New York Post, ohne den Gedanken zu entkräften. Der Artikel wurde von fast einer Million Menschen auf Facebook geteilt oder kommentiert. „Das ist eine bessere Leistung als die meisten Nachrichtenbeiträge in den Mainstream-Medien erzielen“, betont Joan Donovan, Soziologin an der Harvard-Universität in Cambridge, Massachusetts. Und hier liegt ein Kern des Problems: Angesichts der extrem hohen Reichweite, die sich mit Fehlinformationen und Verschwörungstheorien auf einfache Weise erzielen lässt, besteht ein Anreiz sich solchen Themen gezielt zu widmen.
Coronavirus perfekte Voraussetzung für Verschwörungstheorien
Die Gates-Verschwörungstheorien sind Teil einer Flut von Fehlinformationen über das Coronavirus, die sich online verbreitet hat. Zwar entstehen solche Theorien um jedes größere Nachrichtenereignis, doch die Coronavirus-Pandemie bietet die perfekten Voraussetzungen für die Verbreitung von Gerüchten und Fehlinformationen, erläutert der Datenwissenschaftler (Data Scientist) Walter Quattrociocchi von der Universität Ca’Foscari in Venedig. Denn die Menschen verbringen mehr Zeit zu Hause und suchen online nach Antworten auf eine unsichere und sich schnell verändernde Situation.
Überfülle an Informationen
„Das Thema ist polarisierend, beängstigend, fesselnd“, so Quattrociocchi. Zudem sei es für alle Interessierten wirklich einfach, an Informationen zu gelangen, die mit dem eigenen Glaubenssystem übereinstimmen. „Eine Überfülle an Informationen – manche korrekt und manche nicht – macht es schwierig, vertrauenswürdige Informationsquellen und verlässliche Orientierungshilfen zu finden“, betont der Experte. Diese Situation werde als „infodemisch“ bezeichnet.
Gefahren der Fehlinformationen
Das Problem der „Infodemie“ sei ihr riesiges Ausmaß. Denn es werden viel mehr Informationen produziert, als wir wirklich analysieren und konsumieren können, erläutern die Forschenden. Und in einer globalen Gesundheitskrise führen ungenaue Informationen nicht nur in die Irre, sondern sie können über Leben und Tod entscheiden, beispielsweise wenn Menschen anfangen, ungeprüfte Medikamente einzunehmen oder Ratschläge des öffentlichen Gesundheitswesens zu ignorieren, warnen die Expertinnen und Experten in dem Fachbeitrags.
Organisierter Betrug mit Fehlinformationen
Zudem sind auch organisierte Betrügereien ein erhebliches Problem. So wurden in diesem Jahr mehr als 68.000 Website-Domains mit Schlüsselwörtern rund um das Coronavirus registriert, von denen viele versuchen, mit mit falschen Behandlungsversprechungen fragwürdige Produkte zu verkaufen oder die persönlichen Daten der Nutzerinnen und Nutzer abzugreifen. Einige Betrugswebsites haben es zudem geschafft, sich durch die Verwendung einer Kombination von Schlüsselwörtern, die optimiert und auf ein bestimmtes Publikum ausgerichtet sind, an die Spitze der Suchergebnisse bei Google zu setzen.
Verlässliche Informationen aufwerten
Insgesamt besteht ein drastisches Problem mit der Verbreitung von Fehlinformationen im Internet, auch wenn die Beweggründe dahinter äußerst unterschiedlicher Natur sein können. Da sich Menschen ohnehin nicht davon abhalten lassen, auch unbegründete Gerüchte weiterzugeben, stellt sich die Frage, wie die Verbreitung verlässlicher Informationen so gestärkt werden kann, dass sie sich schneller und weiter verbreiten können, als die Fehlinformationen, resümieren die Forschenden.
Social-Media-Plattformen müssen handeln
Auch die Social-Media-Plattformen sind dabei in der Pflicht. Zwar liege ihr Hauptziel darin, das Engagement der Nutzerinnen und Nutzer zu maximieren, und nicht in der Weitergabe evidenzbasierter Informationen. Doch haben Facebook, Google, LinkedIn, Microsoft, Reddit, Twitter und YouTube die Herausforderung erkannt und bereits eine Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Fehlinformationen angekündigt.
Beiträge vom brasilianischen Präsident gelöscht
Beispielsweise wurden Beiträge des brasilianischen Präsident Jair Bolsonaro mit Fehlinformationen zur Wirkung von Hydroxychloroquin gegen COVID-19 bereits gelöscht und auch Werbung für „Wundermittel“ oder für überteuerte Gesichtsmasken wurde unterbunden. Allerdings reagieren die Plattformen oftmals nur sehr träge und entsprechende Fehlinformationen haben sich bis dahin bereits stark verbreitet.
Manche lassen sich nicht überzeugen
Grundsätzlich haben die Bemühungen, gute Informationen bekannter zu machen und schlechte mit einem Warnhinweis zu versehen, zudem ihre Grenzen. „Wenn die Leute denken, dass die WHO antiamerikanisch oder Anthony Fauci korrupt oder Bill Gates böse ist, dann bringt die höhere Bewertung einer alternativen Quelle nicht viel – sie lässt die Leute nur glauben, dass die Plattform mit dieser Quelle konspiriert“, betont Renée diResta vom Stanford Internet Observatory in Kalifornien.
Welchen Quellen wird Vertrauen geschenkt?
Das Problem bildet demnach nicht ein Mangel an Fakten, sondern die Frage, welchen Quellen die Leute vertrauen. Hier hilft es nicht, den Verschwörungstheoretikern zu erklären, dass sie kritische Medienkonsumenten sein sollten, denn sie denken, dass sie genau das sind, indem sie ihre eigenen Nachforschungen anstellen, und das, was die anderen befürworten, als Fehlinformation bewerten.
Ausdrücklich warnen die Forschende auch davor, wie extremistische Gruppierungen Fehlinformationen rund um das Coronavirus nutzen, um die Aufmerksamkeit von Menschen und nebenbei eine Aufgeschlossenheit für radikale Ansichten zu gewinnen. „Die Zunahme von Angst und Fehlinformationen rund um COVID-19 hat es Promotern von böswilligen Gedanken und Hass ermöglicht, sich mit dem Mainstream-Publikum über ein gemeinsames Thema von Interesse auseinanderzusetzen und es zu hasserfüllte Ansichten zu drängen“, so die Forschenden. (fp)
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