Nasenzellen bieten Angriffspunkte für Coronaviren
Die genauen Übertragungswege des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 sind immer noch nicht vollständig aufgeklärt. Unklar war bislang, welche Rolle die Nase bei der Übertragung spielt. Ein Forschungsteam aus Cambridge zeigte nun, dass bestimmte Zellen in der Nasen- und in der Darmschleimhaut die nötigen Rezeptorproteine und Enzyme aufweisen, damit SARS-CoV-2 eindringen kann.
Forschende des Wellcome Sanger Institute in Cambridge, England zeigten, dass Zellen in der Nase und in der Darmschleimhaut das Rezeptorprotein ACE2 und das Enzym TMPRSS2 aufweisen. Beides ist die Grundvoraussetzung, damit das Coronavirus SARS-CoV-2 in die Zellen eindringen kann. Zuerst wurde davon ausgegangen, dass das Virus hauptsächlich die Epithelzellen der Atemwege befällt. Die Erkenntnisse wurden in den zwei hoch renommierten Fachjournalen „Nature Medicine“ und „Cell“ präsentiert.
Neuen Eintrittsort für SARS-CoV-2 entschlüsselt
Die Entstehung und Entwicklung (Pathogenese) von COVID-19 ist noch immer nur in den Ansätzen bekannt. Ein englisches Forschungsteam leistete nun einen großen Beitrag zum Verständnis der neuen Erkrankung. Das Team identifizierte zwei spezifische Zelltypen in der Nase als wahrscheinliche Erstinfektionspunkte für SARS-CoV-2. Die Forschenden zeigten, dass Kelch- und Flimmerzellen in der Nase einen hohen Gehalt an Rezeptoren aufweisen, die das Virus verwendet, um in unsere Zellen zu gelangen.
COVID-19: Die Rolle der Nase war unklar
Die neuen Erkenntnisse tragen dazu bei, die hohe Übertragungsrate von COVID-19 zu erklären und bieten gleichzeitig neue Ansätze für Behandlungen und Strategien zur Eindämmung. Es ist zwar bekannt, dass sich SARS-CoV-2 über Tröpcheninfektionen verbreiten kann und dass das Virus den Rachen und die Lunge befällt. Welche Rolle die Nase dabei spielt, war bislang allerdings unklar. Das Forschungsteam konnte nun die genauen Zelltypen bestimmen, die in der Nase für SARS-CoV-2 angreifbar sind.
20 verschiedene Gewebetypen untersucht
Die Forschenden analysierten mit modernsten Verfahren 20 verschiedenen Gewebetypen von nicht infizierten Menschen. Dazu gehörten beispielsweise Zellen aus Lunge, Nasenhöhle, Auge, Darm, Herz, Niere und Leber. Die Forschenden suchten danach, welche Zellen die beiden wichtigsten Eintrittsproteine ausprägen (exprimieren), die SARS-CoV-2 benötigt, um die Zellen zu befallen.
Die Nase als wahrscheinlichster Erstinfektionsweg
„Wir stellten fest, dass das Rezeptorprotein – ACE2 – und die TMPRSS2-Protease, die den Eintritt von SARS-CoV-2 aktivieren kann, in Zellen verschiedener Organe exprimiert werden, darunter auch in den Zellen der Naseninnenhaut“, erklärt Studienerstautor Dr. Waradon Sungnak. Die Untersuchungen kristallisierten heraus, dass vor allem die schleimproduzierenden Becherzellen und Flimmerzellen in der Nase eine hohe Konzentration der nötigen Eintrittsproteine aufweisen. „Das macht diese Zellen zum wahrscheinlichsten Erstinfektionsweg für das Virus“, betont Sungnak.
Nasenzellen können von den Viren schnell erreicht werden
„Dies ist das erste Mal, dass diese speziellen Zellen in der Nase mit COVID-19 in Verbindung gebracht wurden“, ergänzt Dr. Martijn Nawijn aus dem Forschungsteam. Die Lage dieser Zellen auf der Oberfläche des Naseninneren mache sie für das Virus sehr gut zugänglich und könne auch die Übertragung auf andere Menschen begünstigen. Dies sei eine mögliche Erklärung für die schnelle Ausbreitung.
Augen- und Darmzellen ebenfalls angreifbar
Die beiden wichtigsten Eintrittsproteine ACE2 und TMPRSS2 wurden auch in Zellen in der Hornhaut des Auges und in der Darmschleimhaut gefunden. Dies deutet auf einen weiteren möglichen Infektionsweg über das Auge und die Tränenkanäle hin und offenbart zudem das Potenzial für einen fäkalen beziehungsweise oralen Übertragungsweg.
Der Atlas der menschlichen Zellen
Die Untersuchungen wurden im Rahmen des globalen „Human Cell Atlas-Konsortiums“ durchgeführt. In diesem ambitionierten Projekt sollen alle menschlichen Zellen analysierten werden, um Krankheiten und gesundheitsbezogene Prozesse besser zu verstehen. Mehr als 1.600 Personen in 70 Ländern sind an diesem Projekt beteiligt. Die Daten sollen Forschenden weltweit offen zur Verfügung stehen. Durch das Projekt konnten jetzt schon wichtige Erkenntnisse über COVID-19 gewonnen werden.
„Während wir den Atlas der menschlichen Zellen erstellen, wird er bereits verwendet, um COVID-19 zu verstehen und zu ermitteln, welche Zellen für die Erstinfektion und Übertragung entscheidend sind“, betont Dr. Sarah Teichmann, die Co-Vorstitzende des Projektes. Die Erkenntnisse bieten Teichmann zufolge auch eine Grundlage für die Entwicklung potenzieller Behandlungen und Strategien zur Eindämmung.
Der Atlas bietet neue Herangehensweisen
„Durch die genaue Bestimmung der Merkmale jedes einzelnen Zelltyps hilft der Human Cell Atlas den Forschenden, Krankheiten einschließlich COVID-19 auf eine völlig neue Art und Weise zu diagnostizieren, zu überwachen und zu behandeln“, fügt Professor Sir Jeremy Farrar hinzu, der Direktor des Wellcome Sanger Institute. Die Zusammenarbeit über Grenzen hinweg und der offene Austausch von Forschungsergebnissen sei entscheidend für die rasche Entwicklung wirksamer Diagnostika und Therapien, um sicherzustellen, dass kein Land zurückbleibt. (vb)
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