Immer mehr Bakterien entwickeln Resistenzen gegen bestehende Antibiotika. Forscher arbeiten auf Hochtouren an neuen Wegen, um alternative Antibiotika zu finden. Dabei suchen sie vor allem in der Natur – auf Pflanzen, Insekten oder in Boden-Proben.
Sie finden sich in Gewässern, auf Schlachthähnchen und in Kliniken: Antibiotikaresistente Bakterien sind vor allem für immungeschwächte Menschen eine Gefahr. Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) machen zudem verbreitete Infektionskrankheiten Sorgen: Bei rund 500.000 neuen Tuberkulose-Fällen 2016 wirkten schon mindestens zwei Antibiotika nicht mehr, 250.000 Menschen sterben pro Jahr an resistenten Tuberkulose-Erregern. Auch gegen Lungenentzündung oder Harnwegsinfekte helfen gängige Antibiotika oft nicht mehr. Zugleich wird es für Forscher und Industrie immer härter, neue Waffen gegen die Bakterien zu entwickeln.
"Alle einfachen Zielstrukturen im Bakterium sind gefunden"
"Es gibt noch Angriffsziele für Antibiotika, aber es ist schwieriger geworden. Alle einfachen Zielstrukturen im Bakterium sind gefunden", sagt der Infektiologe Winfried Kern vom Universitätsklinikum Freiburg. Doch gibt es interessante Forschungsansätze.
Wissenschaftler um Bradley Hover von der Rockefeller University in New York analysierten auf der Suche nach neuen Antibiotika rund 2000 Proben von Böden quer durch die USA, wie sie im Fachblatt "Nature Microbiology" berichten.
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Gängige Antibiotika helfen nicht mehr – worin Forscher nun ihre Hoffnung legen
1. Malacidine: Die so entdeckten Wirkstoffe – Malacidine genannt – sind eine neue Klasse von Breitbandantibiotika, die gegen viele Bakterienarten wirken. An einer Tierwunde töteten sie sogar die gefährlichen Krankenhauskeime MRSA (Methicillin-resistente Staphylococcus aureus), die etwa Geschwüre, Harnwegsinfekte, Lungenentzündung oder Blutvergiftung auslösen können. Gesunde Tierzellen zeigten keine Vergiftungserscheinungen. Ob daraus ein Medikament wird, ist dennoch ungewiss. Nur einer von zehn Wirkstoffen, die überhaupt bis zur klinischen Prüfung gelangen, ist bei diesen Studien mit Menschen erfolgreich.
"Das ist eine große Chance, dass man nach den Genen sucht", sagt Axel Brakhage, Direktor des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena, der Pilze per Gentechnik analysiert. "Es gibt einen Riesenschatz in der Natur, den wir noch heben können." Mit oder ohne Gentechnik: Andere Forscher fanden Antibiotika in Blättern, auf Bienen oder in Bakterien, die Ameisen besiedeln.
"Doch es gibt immer weniger Firmen, die Antibiotika entwickeln", meint Brakhage. Mit anderen Medikamenten lasse sich viel mehr Geld verdienen. Sein Team entwickelt den Tuberkulose-Wirkstoff BTZ043. Allein die Tierversuche kosteten mehrere Millionen Euro. Bis zum Abschluss des ersten von drei nötigen klinischen Versuchen waren es 13,5 Millionen Euro. Es sei schwer gewesen, das Geld von der öffentlichen Hand zusammenzubekommen.
Es gibt auch Ansätze, Bakterien ohne Antibiotika zu bekämpfen
2. Phagen: Vor mehr als 100 Jahren wurden Bakteriophagen entdeckt. Das sind Viren, die nicht Menschenzellen, sondern ganz spezifisch Bakterienarten zerstören. Während die westliche Medizin nach dem Zweiten Weltkrieg auf Antibiotika gesetzt habe, seien etwa in Georgien weiter Phagen genutzt worden, erklärt Mikrobiologe Wolfgang Beyer von der Universität Hohenheim – etwa gegen Lungenentzündung.
Im Westen flackere die Phagenforschung erst seit einigen Jahren wieder auf, doch es gebe bislang keine abgeschlossene europäische klinische Studie. "Pharmafirmen haben kein Interesse an der Phagentherapie, denn alle wichtigen Einzelschritte sind schon publiziert und daher nicht patentierbar." Für die Industrie sei es zudem aufwendig, die Massenproduktion der Phagen nach den vorgeschriebenen Qualitätsstandards zu gewährleisten.
Das Haupthindernis für die Phagentherapie in der EU sei jedoch das Fehlen eines Zulassungsverfahrens für solche bislang hier nicht genutzten Systeme, sagt Beyer. Die EU startete 2013 immerhin das Projekt Phagoburn, bei dem Forscher Brandwunden mit Phagen behandelten. "Es kam jedoch nicht viel raus", so Beyer. Ein erster Versuch habe nur wenige Patienten gehabt, zudem seien Brandwunden von vielerlei Bakterien besiedelt, Phagen wirkten aber sehr spezifisch.
In Deutschland begann 2017 mit Förderung des Forschungsministeriums das Projekt Phage4Cure, das eine Therapie mit inhalierbaren Phagen gegen den gefürchteten Krankenhauskeim Pseudomonas aeruginosa entwickeln soll. Klinische Versuche dazu starten laut Beyer frühestens 2020. In Belgien immerhin dürften Ärzte einzelnen Patienten ein Rezept geben, so dass diese Phagen in einer speziell dafür ausgerichteten Apotheke holen können.
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Mit Impfungen gegen resistente Krankenhauskeime
3. Impfstoffe: "Es gibt seit vielen Jahren immer wieder Neuentwicklungen von Impfstoffen gegen resistente Krankenhauskeime wie etwa Staphylococcus aureus", sagt Isabelle Bekeredjian-Ding vom Paul-Ehrlich-Institut in Langen bei Frankfurt. "Immer wieder sind diese Produkte zunächst sehr gut gewesen. In Tierexperimenten und ersten kleinen klinischen Studien schützten sie vor der Infektion. Und dann, meistens, sind sie in großen klinischen Studien gescheitert."
Die Ursachen seien nicht immer klar. "Der Körper ist besiedelt mit solchen Bakterien – sie werden dem Menschen ja erst gefährlich, wenn das Immunsystem geschwächt ist." Es könne daher sein, dass die Impfstoffe nicht ausgereicht haben, um die schon vorhandene Immunantwort so zu verändern, dass sie ausreichend Schutz bietet. Zudem erkrankten viele Probanden während des Studienzeitraums nicht an den gesuchten Keimen. Daher sei es manchmal schwierig, in den Studien ausreichend Patienten mit den richtigen Infektionen aufzunehmen. Ihre Zahl sei daher oft zu gering für statistisch signifikante Aussagen. Es gebe derzeit dennoch Studien. "Wir können schon hoffen, dass man in 15 bis 20 Jahren gegen diese Bakterien impfen kann."
Pharmaunternehmen und Staaten sollen mehr Antibiotikaforschung betreiben
Die WHO fordert von Pharmaunternehmen und Staaten mehr Antibiotikaforschung, man könne nicht allein auf die Marktkräfte vertrauen. Von Dutzenden neuen Mitteln, die laut WHO in der Entwicklung sind, böten nur wenige wirklich neue Wege bei der Behandlung. Die anderen seien Modifikationen älterer Stoffe mit der erhöhten Gefahr einer Resistenzbildung.
In Deutschland wurden im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts nach Angaben des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) acht neue Antibiotika auf den Markt gebracht, im zweiten Jahrzehnt könnten es mehr als 16 werden. Auch hier sind die meisten keine neuen Antibiotikaklassen, sondern ähneln schon bestehenden Wirkstoffen.
Sie richten sich vor allem gegen den besonders gefürchteten Klinikkeim MRSA und weitere sogenannte grampositive Bakterien mit ähnlichem Zellwandaufbau. Doch vor allem gegen die zweite große Bakteriengruppe – die gramnegativen – gibt es laut WHO weltweit zu wenig neue Medikamente. Zu ihnen zählen das Darmbakterium Escherichia coli und der Klinikkeim Pseudomonas aeruginosa.
Kleiner Markt und wenig Umsatz für neue Antibiotika
Da neue Antibiotika als Reservemittel oft nur eingesetzt werden, wenn es dringend nötig ist, gibt es zunächst einen sehr kleinen Markt für sie und wenig Umsatz. "Die Branche kann einzelne Projekte zur Antibiotika-Entwicklung aus den generellen Einnahmen mitfinanzieren", sagt VFA-Forschungssprecher Rolf Hömke. Aber sie könne die Entwicklungstätigkeit nicht ausweiten, das wäre unwirtschaftlich.
Doch genau darum wird international gerungen. So gibt es Vereinbarungen der G7- und G20-Gipfel und internationale Initiativen, um die Antibiotikaentwicklung zu fördern, darunter das von der WHO initiierte Programm GARDP, zu dem Deutschland und weitere Länder über 56 Millionen Euro als Forschungsanstoß zugesagt haben. Doch die Entwicklungskosten für ein Antibiotikum betragen für die Industrie laut VFA grob geschätzt eine Milliarde Euro.
Gerade ärmere Länder müssen in der Forschung dringend unterstützt werden
Die Antibiotikaforschung ist nötig, der Kampf gegen die Bakterien ist damit allein aber nicht zu gewinnen. "Neue Medikamente sind natürlich wichtig", sagt Antibiotikaexperte Tim Eckmanns vom Robert Koch-Institut. Aber das sei keine Lösung des weltweiten Resistenzproblems. "Dort, wo wir die größten Probleme damit haben, in Afrika, kommen die neuen Medikamente ohnehin kaum hin." Der Kontinent, aber auch Indien, müssten stärker unterstützt werden im Kampf gegen resistente Bakterien, was das RKI bereits mache, etwa beim Aufbau von Laboren.
In Deutschland sei die Situation besser. Dennoch gebe es in großen Unikliniken schon alle paar Wochen einen Patienten, dem kein Antibiotikum mehr helfe. "Das heißt ja noch immer nicht unbedingt, dass er stirbt. Ein Patient hat ja auch noch eigene Kräfte", sagt Eckmanns. "Wir müssen handeln, das ist total wichtig, aber wir sind nicht kurz vor dem postantibiotischen Zeitalter."
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