In Großbritannien haben Forscher gehäuft eine neue Variante des Coronavirus nachgewiesen. Die britischen Behörden bezeichnen die Mutation als deutlich ansteckender als die bislang bekannte Erregerform. Für Panik ist es bisher aber zu früh, sagen Experten.
Besorgt blicken Wissenschaftler und Politiker auf eine neue Variante des Coronavirus, die sich derzeit rasch im Südosten Englands ausbreitet. Das Land stehe vor einer enormen Herausforderung, sagte Gesundheitsminister Matt Hancock. Nach ersten Erkenntnissen britischer Wissenschaftler sei die kürzlich entdeckte Variante des Virus um bis zu 70 Prozent ansteckender als die bisher bekannte Form, heißt es.
Um das Virus einzudämmen, gilt in der Hauptstadt London sowie in weiten Teilen Südostenglands seit Sonntag ein harter Shutdown mit Ausgangssperren – auch über die Weihnachtstage. Passagierflüge aus Großbritannien in viele europäische Länder, darunter Deutschland, sind gestoppt. Einschleppungen der Virus-Variante auch nach Kontinentaleuropa sollen so eingedämmt werden.
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Drosten: Virus ist wahrscheinlich bereits in Deutschland
Virologe Christian Drosten warnt allerdings vor voreiliger Panik. So sei das Virus „gar nicht so neu“. Bereits seit Ende September breite es sich in England aus. Auch in Italien, Belgien, Dänemark, den Niederlanden und Australien seien schon Fälle nachgewiesen worden – das Virus dort anders als gerade in Südostengland „aber nicht hochgekocht“, erläutert der Direktor des Instituts für Virologie an der Berliner Charité im Gespräch mit dem „Deutschlandfunk“.
Auch in Deutschland gebe es vermutlich schon Infektionen mit der Virusform, wenngleich sie hierzulande bisher nicht explizit nachgewiesen worden ist. In keinem dieser Länder habe sich das Virus bisher groß vermehrt. Darum sei er zwar offen für wissenschaftliche Neuigkeiten, „und da kann es durchaus Überraschungen geben“. Die gebe es immer in der Wissenschaft. „Aber ich bin jetzt alles andere als beunruhigt, was das angeht“, konstatiert Drosten.
Weitere Analysen werden Klarheit über Gefahr durch Mutation schaffen
Die Virusform verharmlosen, wolle er damit in keinem Fall. Grund zu übermäßiger Sorge oder gar Panik sieht der Virologe aufgrund der „lückenhaften“ Informationslage bisher aber nicht. Weitere Analysen der britischen Wissenschaftskollegen blieben abzuwarten.
Den schon jetzt etwa von Premierminister Boris Johnson verbreiteten Tenor, die Mutation sei in jedem Fall ansteckender als die bisher bekannte Variante, hält Drosten auf Basis der bisher verfügbaren Daten ebenfalls für fraglich. „Die britischen Wissenschaftler haben eigentlich gesagt: Das könnte was sein, wir wissen es nicht, wir werden aber innerhalb von einer Woche schon entscheidende neue Informationen kriegen.“
Auch die kommunizierten 70 Prozent, um die die Virus-Variante ansteckender sein soll als der Ursprungserreger, stellt der Charité-Direktor in Frage. Diese Zahl sei von Seiten der britischen Politik einfach so genannt worden, inwieweit sie wissenschaftlich allerdings belastbar ist, sei unklar. Möglicherweise handele es sich dabei auch nur um einen vorläufigen Schätzwert.
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Unklar, ob Mutation direkt für Anstieg der Zahlen verantwortlich ist
Außerdem unklar sei, ob die stark gestiegenen Fallzahlen in Südostengland tatsächlich auf die veränderten Eigenschaften der Virus-Variante zurückzuführen seien – oder aber ob das neue Virus durch die gerade sehr vielen Fälle allgemein hochgespült worden sei. Auch das Robert-Koch-Institut betont: Aus der Analyse der britischen Wissenschaftler, die den veränderten Virustyp jetzt vermehrt festgestellt haben, lasse sich nicht direkt ableiten, „dass das erhöhte Krankheitsgeschehen im Südosten Englands durch die beobachteten genetischen Veränderungen in der Variante bedingt ist“. Es sei bisher nicht abschließend geklärt, wie sich die neue Variante auf das Infektionsgeschehen überhaupt auswirke, etwa ob sie ansteckender sei oder wie schwer sie verlaufe.
Der rasche Anstieg der Häufigkeit der neuen Virusvariante im Südosten Englands könne zwar darauf hinweisen, dass sie übertragbarer ist als zuvor zirkulierende Varianten. „Es gibt jedoch auch andere mögliche Erklärungen für den Anstieg.“ Auf eine erhöhte Krankheitsschwere im Zusammenhang mit der Variante, gebe es bisher keine Hinweise. Allerdings wurde die Mehrzahl der Fälle bei Personen unter 60 Jahren gemeldet, bei denen die Wahrscheinlichkeit schwerer Symptome geringer ist, schränkt das RKI ein.
Mutationen sind per se nicht ungewöhnlich
Viele offene Fragen zur Virusform sieht auch Richard Neher vom Biozentrum der Universität Basel. So sei es durchaus grundsätzlich plausibel, dass sich die Corona-Mutation schneller ausbreite. Sollte sich das bestätigen, seien deutlich schärfere Maßnahmen nötig, um die Ausbreitung einzudämmen. Doch sei es genauso denkbar, dass die derzeitige verstärkte Ausbreitung in Großbritannien letztlich Zufall sei und etwa auf ein Superspreading-Event zurückgehe.
Andreas Bergthaler von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (CeMM) in Wien hält die derzeitige Entwicklung aus ähnlichen Gründen bisher nicht für „wahnsinnig alarmierend“. Dass Mutationen auftauchen, sei nicht ungewöhnlich, derzeit wisse man nicht, ob die beobachteten Veränderungen die Eigenschaften des Erregers überhaupt entscheidend beeinflussen.
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Beeinflusst Mutation Impfstoff-Wirkung?
Theoretisch könnten Mutationen auch die Wirksamkeit des Impfstoffes beeinflussen; der zielt nämlich genau auf das Spike-Protein ab, das sich bei der neuen Virusform verändert hat. Das Immunsystem könnte dadurch nach einer Impfung blind für den Erreger sein, so die Überlegung. Allerdings erzeuge der entwickelte Impfstoff Immunreaktionen gegen das gesamte Spike-Protein, sagt Virenforscher Neher. „Selbst wenn eine Mutation vorhanden ist, verhindert dies nicht die Erkennung durch das Immunsystem.“ Anders gesagt: Einzelne Mutationen reichen nicht aus, um der komplexen Immunabwehr zu entgehen. Grund für Alarm, weil die Mutation die entwickelten Impfstoffe unwirksam machen könnte, sieht er deshalb derzeit nicht.
Und auch Christian Drosten sieht diesbezüglich bisher keine Gefahr. Zwar sei es schon so, dass die jetzt bei der Virusvariante beobachtete bessere Bindung des Virus an den Rezeptor Konkurrenz zu Antikörpern machen könne und Antikörper dann vielleicht schlechter binden könnten. „Aber wir haben eine Riesenmischung von Antikörpern als Reaktion auf den Impfstoff und das wäre hier nur einer oder ganz wenige Antikörper, die das betreffen würde.“ Dass die Mutation negative Auswirkungen auf die Effektivität der Impfung haben könnte, glaube er im Moment „gar nicht“.
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