„Ich brauche jetzt was Süßes“ – wer glaubt, den Büronachmittag nur mit einem Zucker-Push überstehen zu können, der irrt. Die Auswertung von 31 Studien hat gezeigt, dass Zucker weder wach noch glücklich macht. Auch die vermeintliche Zuckersucht gibt es in Wirklichkeit gar nicht.
Kinder lieben Süßes und viele werden total aufgekratzt, wenn sie eine Tüte Gummibärchen futtern oder sich zentimeterdick Nutella aufs Brot schmieren. Für ihre Eltern ein typisches Zeichen von Zuckersucht, an der sie ja selbst leiden. Wie könnte es sonst sein, dass sie nachmittags im Büro unbedingt einen Schokoriegel oder eine Cola brauchen, um bis zum Feierabend wach zu bleiben?
Ernährungswissenschaftler sind vom Suchtpotenzial bei Zucker dagegen weniger überzeugt. Zwar bevorzugt der Mensch von Geburt an die Geschmacksrichtung süß, mit der schon die Muttermilch ausgestattet ist. Aber eine Sucht, vergleichbar mit Nikotin, Alkohol oder Heroin? Eher nicht.
Drei Zuckermythen entlarvt
Den Mythos vom Zucker, der dick, krank und willenlos macht, hat gerade auch eine Studie der Universität Warwick widerlegt. Die Meta-Analyse von 31 Arbeiten zu verschiedenen Zuckerarten kam zu dem Schluss, dass
Konstantinos Mantantzis von der Humboldt-Universität in Berlin, der federführend an der Studie beteiligt war, sagt: „Die Idee, dass Zucker die Stimmung heben kann, ist so verbreitet, dass Menschen auf der ganzen Welt zuckerhaltige Getränke trinken und süße Snacks verzehren, um schnell ihre Laune zu verbessern, aufmerksamer zu werden oder ihre Müdigkeit zu bekämpfen.“ Die Studienergebnisse würden jedoch zeigen, dass das nichts als ein Mythos sei.
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Selbst die elterliche Beobachtung, dass Kinder nach dem Zuckerkonsum außer Rand und Band sind, lässt sich wissenschaftlich nicht bestätigen. Eine frühere Analyse im „Journal der American Medical Association“ zeigte, dass Zucker das Verhalten oder die kognitive Leistungsfähigkeit von Kindern nicht beeinflusst. Die Studienautoren vermuteten, dass es möglicherweise nur die Erwartungshaltung der Eltern sei, wieso sie den Zucker-Einfluss auf das Verhalten ihrer Kinder beobachteten.
Woher kommt die unbändige Lust auf Süßes?
Aber irgendwo muss die übermäßige Lust auf Süßes herkommen, die viele Erwachsene glauben lassen, süchtig nach Zucker zu sein.
Forscher der University of Iowa haben das Hormon FGF21 (Fibroblast Growth Factor 21) als Verantwortlichen für die manchmal extreme Lust auf Schokolade entdeckt. „FGF21 ist das erste Leber-Hormon, das wir kennen, das speziell die Zuckeraufnahme beeinflusst“, erklärte Matthew Potthoff, Mitautor der Studie. Das Hormon wirkt direkt auf das Belohnungssystem im Gehirn.
Tatsächlich bewirkt Zucker, dass bestimmte Botenstoffe freigesetzt werden, die für Wohlbefinden sorgen. Der süße Stoff aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn – dort wirken auch Suchtstoffe. Und daher verschwimmt die Grenze zwischen Zucker als Belohnungsmittel und Suchtstoff so leicht.
Zucker ist keine Droge, aber Belohnung
In der „Welt am Sonntag“ erklärt Susanne Klaus vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) den Unterschied zwischen Suchtmitteln und Zucker: Erstere braucht der Körper nicht, den Zucker aber sehr wohl. Und sie sagt: „Zucker ist keine Droge.“
Eine Erklärung für die große Lust auf Süßes ist, dass wir gar nicht nach dem Zucker, sondern nach der Mischung aus Süße und Fett gieren: „Experimente zeigen, dass vor allem die Kombination aus Zucker und Fett das Belohnungssystem sehr effektiv anregt“, sagt Susanne Klaus. Das könnte unsere Vorliebe für Schokolade erklären.
Möglicherweise zählt die Gier nach Zucker auch als „Food Addiction“, für die Forscher an der Yale-Universität sogar einen Fragebogen entwickelt haben, die Yale Food Addiction Scale. Aber es bestehen noch viele Forschungslücken hinsichtlich der Abgrenzung zu krankhaftem Essverhalten oder einer Störung im System von Hunger, Sättigung und Appetit.
Appetit, Genuss und „hedonistischer Hunger“
Hier kommt die emotionale Komponente von Essen ins Spiel, deren Bedeutung in einer Gesellschaft des Nahrungsüberflusses größer denn je ist. Der große Appetit auf etwas, das uns Wohlbefinden verschafft, ist unabhängig von Hunger und Sattheit. Es ist eine Frage der Lust.
Die „Welt am Sonntag“ zitiert italienische Forscher, die den Begriff „hedonistischer Hunger“ geprägt haben. Das Team von Palmiero Monteleone hat schon vor einigen Jahren herausgefunden, dass beim Lieblingsessen das Hungerhormon Ghrelin stieg und stieg: Die Freude am guten Geschmack setzte das Sättigungsgefühl außer Kraft. Bei einem ungeliebten Essen passierte das nicht.
Dasselbe passiert Menschen, die sich als zuckersüchtig bezeichnen. Beim Gedanken an Erdbeereis, Schoko-Muffin oder Sahnetorte bekommen sie sofort Appetit, egal wie voll der Magen ist.
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