Bestimmen gesellschaftliche Verhältnisse die COVID-19-Sterberate?
Ein deutsches Forschungsteam suchte nach Gründen, warum die Sterblichkeit durch den Coronavirus SARS-CoV-2 von Land zu Land so stark variiert. Während in Deutschland am 15. März 2020 die Sterberate bei unter 0,3 Prozent lag, betrug die Sterblichkeit in Italien zum gleichen Zeitpunkt rund sechs Prozent. Die Forschenden sehen eine mögliche Ursache für diese Unterschiede in der Form des Zusammenlebens und der sozialen Interaktion.
In Italien sterben von 1000 COVID-19-Erkrankten 60 Menschen – in Deutschland sind es nur drei. Wie kommt es zu solch gewaltigen Unterschieden? Professor Dr. Christian Bayer und Professor Dr. Moritz Kuhn vom Institut für Makroökonomik und Ökonometrie der Universität Bonn versuchen, Antworten auf diese Frage zu finden.
Bestimmen die gesellschaftlichen Verhältnisse die Sterberate?
Die beiden Ökonomen der Universität Bonn haben über verschiedene Länder hinweg die Rolle von Sozialstrukturen mit Letalitätsquoten bei COVID-19-Infektionen verglichen. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass je mehr Erwerbstätige mit ihren Eltern zusammenleben, desto höher ist der Anteil der Corona-Toten zu Beginn der Epidemie.
Mehrgenerationshaushalt als Ursache für erhöhte Sterblichkeit?
In Italien ist die Familienstruktur von folgendem Bild geprägt: Die Großeltern wohnen mit im Haus und beteiligen sich an der Kinderbetreuung, während die Eltern arbeiten gehen. In Italien wird das Modell des Mehrgenerationenhaushaltes wesentlich stärker ausgelebt als es in Deutschland der Fall ist. Was unter sozialen Aspekten durchaus positiv sein kann, könnte während einer Pandemie eine Gefahr darstellen, so die Ökonomen.
Von der arbeitenden Bevölkerung auf die Älteren
Um das soziale Zusammenleben messbar zu machen, untersuchten die Forschenden den Anteil der 30 bis 49-Jährigen, die mit ihren Eltern zusammenleben. Sowohl in Europa als auch weltweit zeigten sich große Unterschiede in der Sterblichkeit in Abhängigkeit von diesem Faktor. Das Team nimmt an, dass das Virus hauptsächlich durch die Erwerbsbevölkerung aus China nach Europa gekommen ist und sich dann hier zunächst vorwiegend unter Berufstätigen verbreitet hat.
Art des Zusammenlebens bestimmt die Weitergabe
„Wenn sich die arbeitende Bevölkerung in hohem Maß infiziert, dann ist das für Bevölkerungsstrukturen wie in Deutschland oder Skandinavien, wo wir weniger generationsübergreifende Formen des Zusammenlebens kennen, weniger dramatisch“, erklärt Kuhn, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn.
In Ländern wie Italien, in denen Ältere oft mit der gesamten Familie unter einem Dach wohnen, steige dann der Anteil der Krankheitsverläufe mit tödlichem Ausgang deutlich. Sei erstmal die ältere Bevölkerung stark betroffen, drohe eine Kettenreaktion, die das Gesundheitssystem überlastet – wie wir es gerade in Italien, vor allem in Bergamo, sehen.
Lesen Sie auch: Schockierender Ärztebericht aus Bergamo – Italiens Covid-19-Epizentrum.
Gegensätzlicher Trend in asiatischen Ländern
Für den asiatischen Raum gelte grundsätzlich der gleiche Zusammenhang, wie die beiden Wissenschaftler mitteilen. Dass die Letalitätsquoten dennoch geringer ausfallen, liege an einer insgesamt jüngeren Bevölkerung und könne zudem auch an anderen Formen der sozialen Interaktion, wie beispielsweise unterschiedliche Begrüßungsrituale, liegen. (vb)
Quelle: Den ganzen Artikel lesen