Wie schnell gewöhnt sich der Geschmackssinn an Essen ohne Zucker und Salz?

Onmeda.de: Frau Dr. Ohla, der Chips- und Schokoladen-verwöhnte Geschmackssinn reagiert ja erstmal eher unterwältigt auf ungesalzenes und ungezuckertes Essen. Warum ist das so?

Dr. Kathrin Ohla: Weil die Diskrepanz zu der Erwartung, die man an die Speise hat, so groß ist. Die Erwartung, die wir an den Geschmack vertrauter Lebensmittel haben, beruht auf langer Gewöhnung und lässt sich nicht von jetzt auf gleich ändern. Brot zum Beispiel gibt es nur als gesalzenes Nahrungsmittel zu kaufen, man lernt es nicht anders kennen. Deshalb schmeckt ungesalzenes Brot für die meisten Menschen fade.

Lässt sich das auch physiologisch erklären? Stumpfen die Rezeptoren in der Zunge irgendwann ab?

Ohla: Kurzfristig kommt es zur sogenannten Adaptation: Wenn man innerhalb weniger Minuten eine Tüte Gummibärchen verputzt, ermüden die Geschmacksrezeptoren gewissermaßen. Darum schmeckt das erste Gummibärchen immer viel süßer als das letzte. Irgendwann reagieren die Rezeptoren nicht mehr. Dieser Effekt hält aber höchstens ein paar Stunden an.

Es gibt also gar keine langfristige Gewöhnung?

Ohla: Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sich durch regelmäßigen Salz- und Zuckerkonsum langfristig etwas auf Ebene der Geschmacksrezeptoren ändert. Das ist aber kaum erforscht.

Dass der Verzicht so schwierig ist, hat vermutlich eher mit der Macht der Gewohnheit zu tun – und mit dem Belohnungssystem im Gehirn: Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die zeigen, dass sich das Belohnungssystem an den regelmäßigen Genuss von energiereicher Kost gewöhnt und damit weniger stark reagiert. Erhöhter Konsum ist eine mögliche Folge, das heißt, wir essen immer mehr, um die gleiche Wirkung zu spüren.

Das könnte erklären, warum die meisten Menschen sich nicht mit einem Apfel als Nachtisch zufriedengeben, sondern lieber zum Schokoriegel greifen, der mehr als viermal so viel Zucker und jede Menge Fett enthält.

Gilt das auch für Salz? Oder wie ist erklärbar, dass viele Menschen stark gesalzene Lebensmittel mögen?

Ohla: Nein, für Salz gilt das nicht. Dass Süßes und Fettiges unser Belohnungssystem aktivieren, hat evolutionäre Gründe: Zucker und Fett sind Energielieferanten, schützen also vor dem Verhungern. Schon Neugeborene freuen sich, wenn man ihnen zucker- und fetthaltige Flüssigkeiten verabreicht – auf Salz hingegen reagieren sie gleichgültig. Denn Salz alleine liefert keine Energie.

Dass wir so gerne Salz essen, hat wohl eher mit dem hohen Fettgehalt vieler salziger Nahrungsmittel zu tun. Da Fleisch, Käse und Fast Food typischerweise stark gesalzen sind, lernen wir schnell, Salz mit Fett und damit mit Energie zu verknüpfen.

Wie lange muss man auf Zucker beziehungsweise Salz verzichten, bis man sich von der täglichen Überdosis entwöhnt hat?

Ohla: Die Geschmacksrezeptoren erholen sich wie gesagt innerhalb von Minuten oder höchstens Stunden. Wie lange man das Belohnungssystem auf Entzug setzen muss, bis es wieder auf kleinere Mengen reagiert, ist noch nicht ausreichend erforscht.

Am schwierigsten ist vermutlich die psychische Umgewöhnung. Bis man Salz und Zucker weniger vermisst, muss man schon ein wenig Geduld haben. Wie lange es dauert, lässt sich aber nicht pauschal beziffern, sondern ist von Mensch zu Mensch verschieden. Das ist wohl ähnlich wie beim Rauchverzicht: Die Lust auf Zigaretten lässt ja auch nicht bei allen Ex-Rauchern gleichschnell nach.

Ist der “kalte Entzug” denn überhaupt sinnvoll, oder würden Sie eher zum langsamen Abgewöhnen raten?

Ohla: Auch das lässt sich nicht pauschal sagen, sondern hängt von der Persönlichkeit ab. Ich zum Beispiel schaffe es nicht, länger als drei Tage zu fasten – ich kenne aber Menschen, die das ohne Probleme einmal im Jahr für vier bis sechs Wochen tun. Durch diesen Reset entwöhnen sie sich sogar von ihren absoluten Lieblingsspeisen – diese schmecken ihnen danach viel zu süß oder zu würzig.

Mir fällt es leichter, mich allmählich umzugewöhnen – indem ich zum Beispiel beim Backen immer ein paar Gramm weniger Zucker verwende. Inzwischen verwende ich für meinen Kuchen nur noch halb so viel Zucker wie früher, und er schmeckt hervorragend, nicht nur mir, sondern auch meinem Mann. Das Umfeld ist übrigens auch ein wichtiger Faktor: Wenn man nicht nur für sich, sondern für seinen Partner oder die ganze Familie kocht und backt, ist eine schrittweise Reduktion meist einfacher.

Frau Dr. Ohla, wir danken Ihnen für das Gespräch!

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28.01.2019

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