Was Patienten jetzt wissen müssen

Brustimplantate, die zu reißen drohen; Hüftprothesen, bei denen Metall aufeinander reibt und Giftstoffe freisetzt: Nur zwei Beispiele für Probleme mit Medizinprodukten, die fest im Körper der Betroffenen verankert sind.

Allein in Deutschland wurden 2017 mehr als 14.000 Todesfälle, Verletzungen und andere Komplikationen im Zusammenhang mit Medizinprodukten gemeldet. So viele, wie noch nie, berichten die “Süddeutsche Zeitung”, WDR und NDR. Demnach hat sich die Zahl der Verdachtsmeldungen in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht.

Das allein bedeutet zwar noch nicht, dass Implantate und Prothesen heute gefährlicher sind als noch vor zehn Jahren. Die Zahlen lassen sich unter anderem damit erklären, dass Ärzte und Kliniken heute häufiger Probleme mit Medizinprodukten an die Behörden melden. Auch werden heute mehr Produkte genutzt.

Unstrittig aber ist, dass selbst für riskante Medizinprodukte wie Herzschrittmacher oder Hüftprothesen noch immer lasche Zulassungsbedingungen herrschen – und Ärzte kaum eine Chance haben, sich über Risiken und Nutzen neuer Produkten zu informieren. Was bedeutet das für die Patienten? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Welche Produkte sind von den Problemen betroffen?

Im Prinzip alle Medizinprodukte, vom Heftpflaster über den OP-Haken bis hin zu Insulinpumpen. Besonders kritisch wird es jedoch bei der Gruppe der Medizinprodukte mit einem hohen Risiko für den Patienten. Darunter fallen unter anderem Brustimplantate, Hüftprothesen, Herzkatheter, künstliche Herzklappen oder Stents.

Was sind die Probleme bei der Zulassung dieser Produkte?

Im Vergleich zu Medikamenten sind die Hürden für die Zulassung von Medizinprodukten äußerst niedrig – selbst wenn es um die kritischen Produkte wie Herzschrittmacher oder Hüftprothesen geht. Nach dem Skandal um fehlerhafte Brustimplantate wurde das System im Jahr 2017 zwar europaweit überarbeitet. Dennoch kritisieren Experten bis heute mehrere Probleme:

  • Falsche finanzielle Anreize bei der Prüfung: Anders als bei Medikamenten entscheidet bei Herzschrittmachern und Co. keine Behörde über die Zulassung. Die Aufgabe liegt stattdessen in der Hand sogenannter “Benannter Stellen” – in Deutschland zählen verschiedene TÜV-Niederlassungen dazu. Sie prüfen die Produkte und geben sie für den Markt frei.
    Ein Problem dieses Systems ist die Finanzierung. Die “Benannten Stellen” sind von den Aufträgen der Unternehmen abhängig. Hinzu kommt, dass sich die Hersteller der Medizinprodukte europaweit eine der Zulassungsstellen aussuchen dürfen. Das steigert den Konkurrenzdruck und schafft Anreize, den Prozess für die Unternehmen so unkompliziert wie möglich zu gestalten.
  • Kaum Studiendaten notwendig: Bei neuen Medikamenten müssen Unternehmen mit aufwendigen Studien nachweisen, dass der Nutzen der Mittel die Risiken übersteigt. Bei Medizinprodukten hingegen liegen die Hauptkriterien darauf, die Sicherheit des Produktes zu belegen und zu zeigen, dass es technisch und medizinisch funktioniert. In der Vergangenheit kamen deshalb viele Produkte auf den Markt, ohne systematisch an Patienten getestet worden zu sein.
    Das hat sich 2017 zumindest bei den Medizinprodukten mit dem höchsten Risiko geändert. Seitdem müssen Hersteller auch nachweisen, dass ein vertretbares Nutzen-Risiko-Verhältnis existiert. Anders als bei Medikamenten sind dafür jedoch weiterhin keine Studien vorgeschrieben, bei denen verschiedene Therapien bei zufällig ausgewählten Patientengruppen gegeneinander getestet werden. Sie gelten als bester Weg, um die Wirksamkeit einer Behandlung nachzuweisen.
  • Fehlende Transparenz: Bislang ist es für Ärzte und Patienten kaum möglich, verschiedene Medizinprodukte miteinander zu vergleichen und das beste auszuwählen. Das liegt unter anderem daran, dass die Daten, anhand derer ein Produkt zugelassen wurde, oft geheim bleiben. Zum anderen fehlt ein Verzeichnis, in dem alle verfügbaren Medizinprodukte aufgelistet sind.
    Das soll sich laut einem Beschluss der Europäischen Kommission in Zukunft ändern. Demnach soll die Öffentlichkeit in einer Datenbank über die Existenz aller verfügbaren Produkte informiert werden und eine Zusammenfassung der klinischen Bewertung erhalten. Es bleibe jedoch abzuwarten, ob die veröffentlichten Informationen tatsächlich hinreichend detailliert, neutral und vollständig sein werden, schreiben Kritiker.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass es bis heute erhebliche Kritikpunkte an der Zulassung für Medizinprodukte gibt. Das gefährdet das Wohl der Patienten, da viele Produkte bei der Marktzulassung kaum getestet sind und es Ärzten an Informationen zu Nutzen und Risiken fehlt.

Gibt es Pläne, das System weiter zu verbessern?

Im Jahr 2020 tritt eine neue europäische Verordnung in Kraft, die die klinische Bewertung der Produkte weiter verschärfen soll. Auch versprach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn jetzt in der “Rheinischen Post” eine industrieunabhängige Stelle aufzubauen, bei der alle eingesetzten Implantate gemeldet werden müssen, um einen besseren Überblick zu erhalten.

Die Folgen der laschen Regelungen aus der Vergangenheit werden jedoch noch lange nachwirken. Oft verstreichen Jahre, bis sich Mängel bei Implantaten bemerkbar machen

Wie finde ich heraus, ob mit meinem Implantat alles in Ordnung ist?

Ist ein Produkt von einem Rückruf, einem Warnhinweis oder anderen Problemen betroffen, müssen Ärzte ihre Patienten darüber informieren. Wer keine Nachricht bekommt und trotzdem Bedenken hat, kann ebenfalls seinen Arzt um eine Einschätzung bitten. Gerade in spezialisierten Zentren haben Mediziner eine Reihe von Erfahrungen mit verschiedenen Implantaten.

Schwieriger ist es, selbst Informationen zu den Risiken eines Implantats einzuholen. Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM gibt es eine Datenbank, in der Maßnahmen wie Rückrufe erfasst werden.

Patienten, denen geraten wurde, ein Implantat einzusetzen, sollten mindestens einen zweiten Arzt um eine Einschätzung bitten. Oft ist es außerdem ratsam, sich nicht die allerneuesten, kaum genutzten Produkte einsetzen zu lassen. Ratsam ist zudem, nach dem Eingriff einen Implantatpass einzuholen. Dieser enthält Informationen, welches Produkt eingesetzt wurde.

Was mache ich, wenn es Probleme mit meinem Implantat gibt?

Am besten ist es, den damals behandelnden Chirurgen aufzusuchen. Dieser kenne die Befunde am besten, zitiert die “Süddeutsche Zeitung” einen Experten. Er kann deshalb überprüfen, ob das Implantat erneuert werden sollte. Im Zweifel ist es jedoch auch in diesen Fällen ratsam, noch eine Zweitmeinung einzuholen.

Selbst wenn ein Produkt von einem Rückruf betroffen ist, bedeutet das nicht automatisch, dass es herausoperiert werden muss. Daneben kann auch die Betreuung durch den Arzt angepasst werden. Dazu zählen zum Beispiel regelmäßige Blutproben, wenn bei einem Implantat Metall aufeinanderreibt und gefährliche Stoffe freigesetzt werden können.

Habe ich Anrecht auf eine Entschädigung?

Wer aufgrund von Beschwerden ein Implantat erneuern lassen muss, sollte den Vorgang gut dokumentieren und im Krankenhaus nach den OP-Unterlagen fragen. Außerdem sollte die Klinik dem Patienten das herausgenommene Implantat aushändigen – er hat ein Recht darauf. Es kann bei einem Gerichtsverfahren als Beweisstück dienen.

Hat ein Unternehmen ein Implantat zurückgerufen, können sich Patienten mit den OP-Unterlagen in einem ersten Schritt direkt an die Herstellerfirma wenden. Die Unternehmen bieten in diesen Fällen zum Teil direkt Schmerzensgeld an. Dann liegt es im Ermessen des Patienten, zu entscheiden, ob die Summe angemessen ist. Falls nicht, können Patienten eine Klage erwägen und einen Fachanwalt für Medizinrecht zurate ziehen. Diese Möglichkeit besteht auch, wenn das Unternehmen kein Angebot macht.

Hilfe erhalten Patienten bei den Verfahren in der Regel von ihren Krankenkassen. Eine weitere Möglichkeit ist, eine Selbsthilfegruppe um Unterstützung zu bitten – diese gibt es beispielsweise für schadhafte Hüftprothesen.

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